Ist doch keine Kunst!
Die App Prisma verwandelt mit Hilfe neuronaler Netze Fotos in bemerkenswerte Digital-Grafiken oder Gemälde. Die Ergebnisse sind in der Tat sehr eindrucksvoll – und Doc Baumann fragt sich, ob das Versprechen stimmt: „Jedes Foto wird zu einem Kunstwerk“?
Das eine ist mal sicher: Würde sich eine Bewerberin namens Katharina Prisma an einer Kunsthochschule mit den Ergebnissen, die diese App generiert, für eine Aufnahme bewerben, so hätte sie diese in der Tasche. Gäbe es überhaupt einen Grund, ihr die Zulassung zum Kunststudium zu verweigern, dann wäre das die heimliche Furcht der Professoren, die Dame sei einfach zu gut und könnte sie in den Schatten stellen.
Dabei hätte Katharina keinen blassen Schimmer von Anatomie und Farbenlehre, sie würde bei jeder perspektivischen Konstruktion blamabel scheitern und die Darstellung eines überzeugenden Faltenwurfs würde ihr auch nach wochenlanger Pinselei nicht gelingen. Nur zu einem wäre Katharina in der Lage: Aus Fotovorlagen in Blitzesschnelle hinreißende und markante Gemälde und Grafiken zu machen – in einer Geschwindigkeit, die jeden Schnellzeichner als Schnecke mit einem pfundschweren Häuschen auf dem Rücken dastehen ließe.
Wie funktioniert Prisma?
Nutzer von iPhone und iPad (demnächst auch von Android-Geräten) laden die kleine App herunter und starten sie (https://itunes.apple.com/de/app/prisma-art-filters-photo-effects/id1122649984?mt=8). Erster Schritt: Foto aufnehmen oder bereits vorhandenes Foto auswählen. Zweiter Schritt: Bei Bedarf beschneiden. Dritter Schritt: Passende Stilvorlage aus 35 Vorgaben wählen, antippen, ein paar Sekunden warten (in denen das Bild – und hoffentlich nur das – zu den App-Herstellern in Russland übertragen, umgerechnet und zurückgeschickt wird), dann – falls gewünscht – in beliebiger Deckkraft mit dem Original mischen. Vierter und letzter Schritt: Das Werk sichern und/oder in der Welt verbreiten.
Die Ergebnisse sind fast immer überzeugend. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Mit Werken der namensgebenden Maler wie Chagall oder Lichtenstein haben sie nichts zu tun und niemand käme auf die Idee zu vermuten, man habe hier ein bislang unbekanntes Werk eines dieser Maler vor sich. Aber das ist nur dann schlecht, wenn man den Anspruch hat, es müsse anders sein.
Zudem ist es eine Frage der Ansprüche. Als vor ein paar Wochen eine andere, ebenfalls auf neuronalen Netzen basierende Software einen „Rembrandt“ synthetisierte, war die Klage der Kunsthistoriker groß: Das sei ein plattes, langweiliges und uninspiriertes Bild, das niemand für einen Rembrandt halten könne. Sicherlich kein Kunsthistoriker – aber die Mehrheit der Menschen, denen man es zeigen würde (neben einem Original-Rembrandt, zudem einem El Greco, Dürer und Botticelli), würde sofort sagen: Klar, von Rembrandt! Langweilig und uninspiriert sicherlich – aber das ist so, als würde man einem Achtjährigen, der die Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle 1:1 nachmalt, abfällig vorwerfen, sein Adam hätte zu große Füße.
„Sei ein Künstler!“
Nachdem ich eingangs festgestellt habe, mit den Ergebnissen von Prisma, auf Papier übertragen, sei die Annahme an jeder Kunstakademie gesichert, könnte man kurzschlüssig vermuten, ich hielte diese Bilder für Kunst. Auch wenn Prisma wirbt „Sei ein Künstler!“ und „Jedes Foto wird zu einem Kunstwerk“, so trifft das ebenso wenig zu wie bei Photoshops „Kunstfiltern“ oder all jenen Plug-ins, die mitunter höchst überzeugende Grafiken und Gemälde generieren.
Obwohl ich promovierer Kunstwissenschaftler bin, habe ich fast ein ganzes Leben dazu gebraucht, bis ich kapiert hatte, dass mich nicht Kunst interessiert, sondern Bilder, die sichtbare Wirklichkeit wiedergeben und interpretieren – egal, ob sie in einem Museum hängen, als Auftragsillustration realisiert wurden, ein CD-Cover schmücken oder auf ein Schulterblatt tätowiert sind. Ob sie zusätzlich noch als „Kunst“ gelten, kümmert mich nicht. (Seien Sie gespannt auf ein Interview, das in der nächsten DOCMA zu der Frage erscheinen wird, wann Fotografie Kunst ist.) Ich würde mir wahrscheinlich eher die Prisma-Umsetzung eines für mich bedeutsamen Motivs an die Wand hängen als das, was in den meisten Galerien für zeitgenössische Kunst an den Wänden hängt – nicht nur des Preises wegen. Aber für Kunst halte ich die Prisma-Werke dennoch nicht. Schicken Sie zweimal (fast) dasselbe Bild nach Russland, so kommt zweimal dasselbe Ergebnis mit minimalen Abweichungen zurück. Es gibt keine subjektive Interpretation, keine Entscheidung für Wesentliches, kein Weglassen von Nebensächlichem, keine Gewichtung. Das ist eine schlichte Feststellung, keine Kritik an den neuronalen Netzen und ihren Entwicklern. Die Bilder sind phantastisch, die Kritik im Spiegel dieser Woche an den „bonbonbunten Bildchen“ halte ich für unfair. Noch mehr die Feststellung, „wie schnell man sich an ihnen stattsieht“. Wie schnell sieht man sich denn an den Werken von Fleisch-und-Blut-Künstlern satt, die einmal mit einer bestimmten Masche Erfolg hatten, die sie dann bis zu ihrem Lebensende minimal variiert abspulen) Da kann ich keinen Unterschied entdecken.
Nicht weniger unglücklich ist der Spiegel-Vergleich mit den frühen Plug-ins von Kai Krause. Die wollten und sollten keine „Kunstwerke“ erschaffen, sondern waren einfache Erweiterungen von Photoshop um Funktionen, die das Programm seinerzeit noch nicht beherrschte. (Davon abgesehen ist es ein Jammer, dass diese Module nicht mehr verfügbar sind; für viele von ihnen gibt es bis heute keinen gleichwertigen Ersatz, und Corel hat keine weise Entscheidung getroffen, diese Plug-ins weder weiterzuentwickeln noch im Angebot zu behalten.)
Ein paar Regler für Gewichtungen in Prisma wären sicherlich sinnvoll, aber die App gibt es ja gerade erst ein paar Tage. Seien wir nicht ungeduldig. Außerdem wird niemand gezwungen, die generierten Bildergebnisse direkt zu verwenden. Während die Software Kreativität nur simuliert, haben Sie es in der Hand, mit Bildbearbeitung mehr daraus zu machen.
Genauso wenig, wie seinerzeit trotz gegenteiliger Apple-Werbung Sekretärinnen zu Layouterinnen wurden, nur weil es Mitte der 80er DTP-Software und Laserdrucker gab, werden nun Menschen ohne entsprechende Ausbildung, Fertigkeiten, Talente und Inspiration zu Künstlern, nur weil sie auf ein Prisma-Knöpfchen drücken. Aber das macht gar nichts, denn die entstehenden Bilder sind sehenswert und als malerisch-grafische Umsetzungen von Sichtbarem um Größenordnungen eindrucksvoller als das, was die meisten von uns in Handarbeit hinbekommen würden. Zu befürchten ist allerdings, dass derlei Programme mit neuronalen Netzen im Hintergrund etliche Illustratoren arbeitslos machen könnten (so, wie seinerzeit die Fotografie Maler um ihren Job gebracht hat, die nicht viel mehr konnten als hinreichend ähnliche Porträts von bürgerlichen Auftraggebern auf die Leinwand zu bringen). Für viele Illustrationszwecke sind die Resultate von Prisma mehr als ausreichend.
Nachsatz: Ich habe ein sehr ungutes Gefühl dabei, an einem Wochenende wie diesem über schöne Bildchen zu schreiben. Wo es doch so vieles gibt, das viel, viel wichtiger ist.
Nizza. Was soll man dazu schreiben? Der von mir geschätzte Stephen King würde es vielleicht so ausdrücken: Versuchen Sie sich vorzustellen, dass Sie in den nächsten 12 Sekunden sterben werden. Noch wissen Sie das nicht; Sie ahnen es nicht einmal. Irgendwo, ein Stück entfernt, hören Sie etwas Ungewöhnliches. Es betrifft Sie nicht. Noch acht Sekunden. Das klingt gar nicht gut, vielleicht sogar bedrohlich. Noch fünf. Verdammt – es betrifft Sie doch. Kann so etwas mir passieren? Mir doch nicht! Noch drei. Zu spät. Der Lastwagen donnert auf die zu und zerquetscht Sie. Jetzt sind Sie tot.
Verstehen Sie jetzt, warum ich eigentlich gar nicht über Prisma schreiben will? Ich bin zwar Atheist – aber diesem Attentäter und allen anderen seiner Art wünsche ich, dass es doch einen Gott gibt.
Lieber Doc Baumann,
ich bin nocht gerade immer ihrer Meinung.
Den letzten Satz kann ich aber aber voll unterschreiben.
Wenn ich in DOGMA einen Artikel wie den obigen lese, fällt mir wieder ein, weshalb ich das Magazin mag.
Es ist das Persönliche, was immer wieder durchschimmert und das fehlt mir oft in anderen Zeitungen oder Magazinen.
Zugegeben – «PRISMA» liefert faszinierende Ergebnisse! Da die Berechnung über den Firmen-Server läuft, gibt es aufgrund der aktuellen Beliebtheit aber immer wieder Verzögerungen, . . . und da wäre dann noch die Sache mit der Datenschutz-Problematik: In den Datenschutzbestimmungen behält sich Prisma vor, Nutzerdaten mit Drittanbietern für Werbezwecke zu teilen. Auf der Privacy-Seite des Unternehmens steht auch, dass, wer Bilder hochlädt, Urheber und Besitzer bleibt, Nutzungsrechte aber an Prisma abtritt.*
*Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/digital/computer/Am-Handy-Mondrian-Mangas-und-Monet-perfekt-kopieren/story/31630098
Zum letzten Absatz erlaube ich mir (der ich ebenfalls ein Atheist bin) ein Zitat von Leonardo Di Caprio aus dem Film «Blood Diamond» zu zitieren: « . . . wenn es tatsächlich einen Gott geben sollte, dann hat er diesen Ort schon vor langer Zeit verlassen!»
Aus den bisherigen Kommentaren entnehme ich für mich zwei Ergebnisse:
1. Mit den Prisma-Filtern kann man tolle Ergebnisse erzielen.
2. Das Thema Datenschutz und Transparenz ist zweifelhaft.
Damit ergibt sich für mich die Frage:“Hat jemand schon eine Idee, wie sich die Ergebnisse mit Photoshop umsetzen lassen?“
Kann mich artflix nur anschließen. Lieber Doc Baumann, machen Sie weiter so.
Hallo Doc Baumann,
würde diese App gerne ausprobieren, doch zu Stichwort PRISMA sind verschiedene APPs im Store verfügbar, die mir wahrscheinlichste hat nur 2 katastrophale Bewertungen, die Prisma-APPs variieren zwischen 0,99 und 2,99 € – welche ist von Ihnen getestet? Ein Link bzw. genaue Bezeichnung wäre schön … oder habe ich sie überlesen?
Liebe Grüße, Sebastian Moissl
Ok … wer zweimal liest ist klar im Vorteil … Link gefunden … sorry