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Ironie oder Idealismus? Die Ambivalenz der visuellen Gestalter

Im kreativen Business hat sich in den letzten Jahren ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Wo einst der Optimismus herrschte, dass Design die Welt verändern könne, dominiert inzwischen eine Grundhaltung der ironischen Distanz. Ironie oder Idealismus? Die Ambivalenz der visuellen Gestalter wird von Elizabeth Goodspeed, US-Redakteurin des Designportals It’s Nice That, in einem aufschlussreichen Artikel analysiert.

Grafikdesigner sprechen heute mit auffälliger Selbstironie über ihren Beruf. Sie tragen Kappen mit Aufschriften, die behaupten, dass Typografie die Welt verändern könne, um dann hinzuzufügen, dass dies nur ein Scherz sei. Ihre Laptops zieren Sticker, die verkünden, dass Grafikdesign das Risiko nicht wert sei. In sozialen Medien sammeln sie Beiträge unter Titeln, die ihre Abneigung gegen Design zum Ausdruck bringen, und teilen Memes über ihre berufliche Depression. Ironie ist hier allgegenwärtig. Der Designer Cam Morris merkte kürzlich auf X an, dass es kaum einen anderen Beruf gebe, bei dem die Hälfte der Praktizierenden davon abrate, ihren Beruf zu ergreifen.

Diese Einstellung kontrastiert stark mit der Aufbruchstimmung der 2010er Jahre. Damals schien Design tatsächlich Weltveränderungspotenzial zu haben. Das „Design Thinking“ versprach, mit Recherche und Post-it-Notes jedes Problem zu lösen. Silvio Lorusso, Autor des Buches „What Design Can’t Do“, bezeichne diese Ära als „Design-Panismus“ – den Glauben, dass Design, breit genug angewendet, alles berühren und lösen könne.

Doch diese Überzeugung hat nicht Bestand gehalten. Ironisch betrachtet, produziere Apple heute KI-Emojis, die Steve Jobs wohl missfallen hätten, und Amazon – die meistbesuchte Website der Welt – sähe aus wie ein Flickenteppich aus Pop-up-Anzeigen. Schlechtes Design scheine die Gewinnmargen nicht zu beeinträchtigen. Joseph Alessio, Designer und Art Director aus Oakland, verweise auf das Scheitern von Humanes KI-Pin als Beweis dafür, dass Design nicht mehr das kulturelle Gewicht habe, das es einst besaß. Design Thinking habe seine Grenzen gefunden.

Für Fotografen und Bildbearbeiter dürften diese Entwicklungen vertraut klingen. Auch hier klafft oft eine Lücke zwischen der künstlerischen Ausbildung und dem Berufsalltag. Während Studierende lernen, ausdrucksstarke Werke zu schaffen und für Experimente belohnt werden, landen viele nach dem Abschluss in Jobs mit endlosen Bildkorrekturen oder standardisierten Social-Media-Formaten. Die Diskrepanz sei frappierend – nicht weil die Arbeit unter ihrer Würde wäre, sondern weil niemand sie auf die Einschränkungen und Kompromisse des Berufsalltags vorbereitet habe. Ironie im Kontrast zur Realität könnte hier durchaus eine Rolle spielen.

Für die meisten Kreativen beginnt der Beruf nicht einfach als Job, sondern als Leidenschaft, als Hobby, als eine Art, die Welt zu verstehen. Diese emotionale Bindung verschwindet nicht, wenn die Arbeit zur bezahlten Tätigkeit wird. Die Designerin Mira Joyce betone, dass es schwierig sei, die emotionale Bindung an die leidenschaftliche Mitgestaltung einer Vision für etwas Größeres zu unterdrücken. Sie fühlt sich den Designs und Bildern, die sie mache, tief verbunden – selbst in den korporativsten Kundendynamiken.

Ironie hin oder her, diese emotionale Bindung verhindert jedoch nicht, dass der Arbeitsmarkt Kreative als austauschbare Figuren behandelt – leicht zu ersetzen durch günstigere Freelancer, Junior-Mitarbeiter oder zunehmend durch KI-Maschinen. Die Spannung zwischen dem Gefühl, dass die eigene Arbeit einen definiere, und der Erkenntnis, wie wenig Macht man tatsächlich habe, erschöpft auf Dauer.

Drew Litowitz, Co-Moderator des Podcasts „Graphic Support Group“, weist darauf hin, dass Design einer der wenigen Berufe sei, bei denen die eigene Leistung immer sichtbar ist. Die Greifbarkeit des Portfolios oder der Social-Media-Assets unterscheidet sich stark von vielen anderen Berufen. Kreative präsentieren ständig kleine Momentaufnahmen von sich selbst, wobei jedes Projekt als Stellvertreter für ihren Geschmack, ihre Intelligenz und ihren Wert dient.

Doch langsam scheint sich das Pendel zurückzuschwingen. Nach einem Jahrzehnt der perfektionierten ironischen Distanz wirkten Menschen plötzlich wieder begeistert, wenn jemand einfach sagt, dass ihm seine Arbeit wichtig sei und dass sie etwas bedeuten solle. In einer Kultur, die gegen Aufrichtigkeit allergisch ist, wird das offene Bekenntnis zur Leidenschaft wieder radikal. Ironie bleibt jedoch ein konstanter Begleiter.

Für Fotografen und Bildbearbeiter bietet diese Entwicklung eine Chance zur Reflexion: Wie steht es um die eigene Berufsbeziehung? Wie viel Ironie ist gesund, und wann wird sie zum Hindernis für echte Erfüllung? Wenn KI-Bildgeneratoren die Grenzen zwischen menschlicher und maschineller Kreativität verwischen, könnte gerade die authentische Verbindung zur eigenen Arbeit zum entscheidenden Unterscheidungsmerkmal werden.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

2 Kommentare

  1. „Joseph Alessio, Designer und Art Director aus Oakland, verweise auf das Scheitern von Humanes KI-Pin als Beweis dafür, dass Design nicht mehr das kulturelle Gewicht habe, das es einst besaß. Design Thinking habe seine Grenzen gefunden.“ Der AI Pin ist doch gescheitert, weil es einfach kein gelungenes Produkt war, sowohl was seine Funktionen als auch was sein Design betrifft. Die Besprechungen in beispielsweise The Verge („That raises the second question: should you buy this thing? That one’s easy. Nope. Nuh-uh. No way. The AI Pin is an interesting idea that is so thoroughly unfinished and so totally broken in so many unacceptable ways that I can’t think of anyone to whom I’d recommend spending the $699 for the device and the $24 monthly subscription.“) und WIRED waren ziemlich niederschmetternd.

    Es gibt eben sehr viel schlechtes Produktdesign, und es gibt viele Produkte, die unbrauchbar sind und die niemand braucht – die Crowd-Funding-Szene, die vor Jahren noch wirklich spannenden Ideen die Realisierung ermöglichte, wird mittlerweile von so viel Quatschprodukten überschwemmt, dass man die Perlen gar nicht mehr findet.

    Schlechtes Design findet man überall, selbst bei Herstellern wie Apple. Wer erinnert sich noch an die Rundmaus, laut Steve Jobs die beste Maus der Welt, die sich – wie dann auch Jobs zugeben musste – als unergonomisches Ärgernis erwies? Und selbst das iPhone hätte noch scheitern können, wenn Apple nicht rechtzeitig den App-Markt für Third-Party-Entwickler geöffnet hätte – Steve Jobs wollte nur Apple die Entwicklung echter Apps erlauben.

    Im Nachhinein erinnert man sich natürlich eher an die erfolgreichen Produkte und erliegt dann der Illusion, gutes Design sei früher die Regel gewesen, obwohl es das nie war. Die tatsächlich gültige Regel lautet eher: 95 Prozent von allem ist Mist. Aber nur an die verbleibenden 5 Prozent erinnern wir uns nach Jahrzehnten noch.

  2. 95% Mist ist eine mehr als nachsichtige Bewertung. Vermutlich liegt der Wert irgendwo zwischen 99% und 99,5 %. Das gilt jedoch für alle kreativen Bereiche, egal ob im Bereich Kunst oder eben im Bereich, der von denen die bestimmen, was Kunst ist und was nicht Kunst ist, nicht als „Kunst“ anerkannt wird.
    Alles, was im weitesten Sinn Kreativität erfordert, sei es Musik, Literatur, Grafik, usw., bringt nur zu einem geringen Teil Ergebnisse, an die man sich lange Zeit oder gar sehr lange Teit erinnert.
    Der Wert von Kunst hängt immer vom Zeitgeist ab. Dazu kommt, dass Werke auch „überleben“ müssen. Häufig wird etwas als wertvoll betrachtet, weil es selten ist.
    Zeitgenossen können kaum beurteilen, was zukünftige Generationen als wertvoll finden werden. Bei der Unmenge an Produktionen in fast allen kreativen Bereichen wäre es wirklich interessant zu erfahren, was in ein paar hundert Jahren von den kreativen Produktionen der Jetztzeit herausreagend empfunden wird. Vielleicht ist es ja der ABBA-Riff, aus dem Madonna ein Lied gemacht hat.:)

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