Für Fotografen lesen sich die Marketingankündigungen des neuen Flaggschiffs iPhone 14 Pro von Apple äußerst verlockend: Eine neue Hauptkamera mit 65 Prozent größerem Bildsensor als der Vorläufer iPhone 13 Pro. Sie verfügt über die Fähigkeit, 48 Megapixel Raws aufzunehmen. Hinzu kommen verbesserte Zoom-Funktionen, mehr Brennweitenauswahl im Porträt-Modus, ein stärkerer (Bild-)Prozessor, ein doppelt so großer Sensor im 120°-Ultra-Weitwinkel-Fotomodul, optimiertes Blitzlicht und verbesserte Low-Light-Fähigkeiten.
Habe ich noch etwas vergessen? Ach ja, die Videofunktion mit Hintergrundunschärfe gibt es nun auch mit 4K-Auflösung, ein Video-Action-Modus ist hinzugekommen, der bei 2.8K Auflösung eine Bildstabilisierung verspricht, die man mit der eines Hardware-Gimbals vergleichen kann. Und die Selfie-Frontkamera kann jetzt auch Autofokus und ist zudem lichtstärker.
Wohlgemerkt, all das zusammen gibt es nur im iPhone 14 Pro und im iPhone 14 Pro Max, die ab rund 1300 Euro erhältlich sind. Das „normale“ iPhone 14 und das iPhone 14 Max (ab 1000 Euro) müssen mit weit weniger Funktionalität im Fotobereich auskommen.
Labortest
Um der Frage nachzugehen, ob sich ein Neukauf für Fotografen wirklich lohnt, sollte man zunächst zwei Ansätze trennen: Labortests und Realwelt-Tests. Wer der Objektivität und der Vergleichbarkeit von Prüfungen mit optischen Messverfahren den Vorzug gibt, findet bei DXO eine Übersicht über alle Apple-iPhones der letzten Jahre und die Leistungswerte der Mittbewerber. Hier ein Auszug:
Danach ist klar: Aus Sicht Hardwaretest-gestählter Zahlenvergleicher lohnt ein Upgrade erst ab rund 50 Prozent Mehrleistung – sonst merkt man kaum Unterschiede. Danach empfiehlt sich das iPhone Pro bestenfalls für bisherige iPhone SE Kunden und alle anderen, die Modelle vor dem iPhone 11 von 2019 einsetzen.
Praxistest
Nun sind aber Fotos mehr als Laborwerte. Sie auf eine Zahl zu reduzieren wäre so, als würde man die Leistungsfähigkeit eines Menschen an seinem Bodymass-Index (BMI) festmachen. Natürlich lassen sich hier Zusammenhänge herstellen, aber die Aussagekraft ist – außer in speziellen Fällen – eher gering.
Aus diesem Grund haben wir das iPhone 14 Pro Max, wie auch schon seine Vorgänger, das iPhone 12 Pro Max und das iPhone 13 Pro Max, in der Praxis getestet. Eine kleine Geschichte über die iPhone-Kamera-Evolution bis dahin lesen Sie hier.
Um herauszufinden, wie sich die Neuerungen so machen, haben wir zunächst Vergleichsbilder mit den Smartphones der 12er und 13-Serie und einer „richtigen“ Kamera gemacht. Anschließend musste sich die iPhone 14 Pro-Kamera bei unterschiedlichen Gelegenheiten und Lichtsituationen im Alltag beweisen, teils mit Vorgängervergleich, teils ohne.
48-Megapixel ProRaws
Um es vorweg zu nehmen: Die ProRaw-Fähigkeiten des iPhone 14 sind für Fotografen das schlagende Argument für ein Upgrade.
Der Vergleich zeigt die Entwicklung: Als Referenz haben wir eine Sony A7r IV gewählt. Die Unterschiede der beiden iPhones treten mehr als deutlich hervor. Das neue liefert mehr Details und muss daher weniger aggressiv schärfen. Mehr noch: Man kommt nicht umhin festzustellen, dass das neue iPhone 14 in dieser Disziplin die Qualitätserwartungen an ein Fototelefon in eine neue Dimension verschiebt.
Doch Apples ProRaw hat bei genauerem Hinsehen wenig mit den Raws gemein, die „normale“ Kameras produzieren. „ProRaw“ ist der Euphemismus für ein von der Kamera bereits vorentwickeltes TIFF, faktisch also ein „lineares“ Raw, das mit 11 Bit Farbtiefe in einem DNG-Container verstaut wird. Klingt wie eine Mogelpackung, hat aber den Vorzug, dass alle Korrekturen von Objektiv- und Sensor-Defiziten bereits vom leistungsstarken A16-Prozessor im Telefon vorgenommen wurden. Man bekommt hier also eine ziemlich gute Version des Ursprungsbildes. Mit der neuen 48-Megapixel-Kamera stehen dann auch die beworbenen 48 Megapixel Auflösung zur Verfügung. Nimmt man Bilder im Heic- beziehungsweise im JPEG-Modus auf, wird die Auflösung ansonsten automatisch auf 12 Megapixel reduziert.
Der Preis für das Mehr an Bildinformation ist die Größe der Datei: Weil das Raw schon entwickelt wurde, also alle Farbkanäle in der Datei komplett enthalten sind, verschlingt so ein Bild je nach Informationsdichte des Motivs zwischen 50 und 120 Megabyte Speicherplatz. Zum Vergleich: Das (komprimierte) Raw der Sony A7r IV mit 61 Megapixel Auflösung verbraucht 50 bis 70 Megabyte Speicher.
Hinzu kommt die mit der hohen Sensorauflösung einhergehende Gefahr des Verwackelns. Zwar gibt es einen eingebauten Bildstabilisator, doch ist der nicht mit denen zu vergleichen, die man aus normalen Kamerasystemen kennt. Wer vom neuen iPhone 14 ProRaw profitieren will, braucht also eine sehr ruhige Hand.
Makro
Verbessert worden sein sollen auch die Makro-Fähigkeiten des 120°-Weitwinkels. Die waren vorher schon recht gut und sind es immer noch. Grundsätzlich stellt sich hier allerdings die Frage, wie man auf die Idee kommen kann, die Makro-Funktion ausgerechnet an das extreme, verzerrungsfreudige Weitwinkel zu koppeln.
Wer es bis an die Grenze von etwa zwei Zentimeter Aufnahmeabstand nutzt, läuft in den meisten Lichtsituationen Gefahr, so nah ans Motiv zu kommen, dass der Schatten des Geräts das Bild teilweise oder sogar ganz abdunkelt. Außerdem treten extreme Unschärfen und Verzerrungen in den Randbereichen des Weitwinkels auf. Setzt man das Makro mit etwas mehr Abstand und einer anderen Brennweite ein, skaliert die Kamerafunktion einen Ausschnitt aus der Weitwinkelaufnahme und es kommt häufig zu unschönen Artefakten.
Sinnvolle Abhilfe würde vermutlich eine Makro-Funktion im Teleobjektiv schaffen. Da ist also noch einiges an Luft nach oben.
Low-Light
Alles richtig gemacht haben die Entwickler dagegen bei der Low-Light-Funktionalität.
Einzige Einschränkung: Wegen der Verwacklungsgefahr sollte man hier auf Raw-Aufnahmen aus der Hand verzichten. Für Fotos unter schlechten Lichtbedingungen bietet sich der Live-Modus an, bei dem die Kamera aus einer Bildsequenz ein einzelnes Foto errechnet. Die versprochenen Qualitätssteigerungen des iPhone 14 lassen sich vor allem beim Einsatz des 24-Millimeter Weitwinkels beobachten. Es liefert mehr Zeichnung in den Tiefen als die Vorgänger-Modelle.
Zoom-Funktionen
Das neue iPhone Pro verfügt über drei Brennweiten (im Kleinbild-Maßstab): Ein 13 Millimeter Ultra-Weitinkel mit 12 Megapixel Auflösung, ein 24er Weitwinkel mit 48 Megapixel Auflösung und ein 77er Tele mit ebenfalls 12 Megapixel-Sensor.
Durch einen Kunstgriff bietet Apple nun als Basis vier Brenweiten (0,5x, 1x, 2x und 3x) an. Bei der 2x Brennweite, analog zu 48 Millimeter, wird der Bildsausschnitt des 24er-Weitwinkels einfach nur auf die Bildmitte beschnitten, so dass (im Raw) eine 24 Megapixel-Auflösung übrig bleibt.
Natürlich kann man auch digital zoomen. Die interne Bildverarbeitung verrechnet dann die physikalischen Brennweiten miteinander. Hier hat man theoretisch ein 30x-Zoom von 0,5x bis 15x. Es empfiehlt sich aber den Bereich über 3x nur in Notfällen zu benutzen.
Porträt-Modus
Im Porträt-Modus bietet das iPhone 14 Pro neben der 1x- und 3x-Brennweite zusätzlich die 2x-Option als 48-Millimeter Äquivalent an. Die Freistellungsfähigkeiten, also die Gestaltung der künstlichen Hintergrundunschärfe und die Präzision der Kantenübergänge haben sich allerdings nicht großartig verbessert. Das könnte aber auch an den Testbedingungen liegen, denn alle Bilder entstanden auf Basis der neusten iOS-Version 16.1. Vermutlich ist die Nachbearbeitung dieser Funktion erheblich von der Software abhängig und nur am Rand von den benutzten Objektiven. Wir zumindest konnten gegenüber den alten Modellen keine signifikanten Verbesserungen beobachten.
Apple wirbt damit, die neuen Modelle beherrschten eine bessere Vordergrundunschärfen-Berechnung. Das stimmt, aber es darf nicht zu viel im Vordergrund zu sehen sein, wie das Beispiel unten deutlich zeigt. Ist nur die Person allein im Bild, funktioniert die Tiefendarstellung besser als zuvor.
Objektivqualität
Bei den verbauten Objektiven macht sich vermutlich niemand Illusionen über die Vergütung oder die eingesetzte Glasqualität. Man darf getrost davon ausgehen, dass hier Kunststoff zu Einsatz kommt, es sich also um das handelt, was der Fotografen-Volksmund verächtlich als „Plastiklinsen“ tituliert. Solche Herablassung täuscht allerdings über die Bildergebnisse in Extremsituationen hinweg. Gut zu beobachten etwa bei Gegenlichtaufnahmen, bei denen die Sonne direkt ins Objektiv hinein scheint.
Hier schlägt sich das 24-Millimeter Objektiv erstaunlich gut. Sowohl, was die geringe Neigung zu Lensflares angeht, als auch beim Umgang mit Überstrahlungen. Die dabei entstehenden Kontrastverluste sind zwar sichtbar vorhanden. Sie lassen sich aber später in der Nachbearbeitung relativ gut mit einer „Dunst entfernen“-Funktion korrigieren.
Video
Braucht man die hinzugekommene 4K-Auflösung beim Kino-Modus wirklich? Für den Großteil der iPhone-Fotografen sei das einmal dahingestellt. Doch, wenn man bedenkt, dass inzwischen viele Berufsfotografen ihr Geld ebenfalls damit verdienen, neben Fotos auch kurze Videos von den Motiven zu drehen, ist ein handliches Werkzeug mit recht überzeugender Qualität jenseits der Brodcasting-Welt, nicht zu verachten. Unter diesem Gesichtspunkt sollte man auch den neuen Action-Modus sehen. Er ermöglicht geschmeidige Kamerabewegungen ohne zusätzliche Hardware – übrigens ziemlich genau so, wie es das Marketing verspricht.
Fazit
Auch wenn Apple die Großartigkeit der neusten iPhone-Generation – wie üblich – etwas überbetont, ist das iPhone 14 Pro für Fotografen eine zunehmend interessante Option als Immer-dabei-Kamera. Es kann zwar nicht alles, liefert jetzt aber mit dem 24-Millimeter-Modul auch Bilder, die man mit rund 8000 x 6000 Pixeln wirklich groß drucken kann. Die Bedürfnisse der meisten Amateure für Erinnerungsbilder sind damit weitgehend erfüllt. Eine „richtige“ Kamera ersetzt das iPhone natürlich immer noch nicht, aber der Abstand schrumpft.
Service für Pixel-Peeper
Wer möchte, kann sich hier ein Paket mit sechs Raws (von Lightroom komprimiert) herunterladen und sich in die Details der Bilder dieser Galerie vertiefen.