Immer etwas Neues oder das Neueste haben. Müssen oder wollen? G.A.S. !
Hier mal ein neues Objektiv, obwohl man sowohl Lichtstärke als auch Brennweite anderweitig abgedeckt hat, da mal eine weitere Kamera, obwohl die „alte“ alles macht, was man will. Hier mal eine weitere Gitarre, obwohl schon vier an der Wand hängen. Nur ein paar Gedanken zum „G.A.S.“.
G.A.S.
Als technik-affine Menschen leiden Sie vielleicht auch unter dem GAS – dem Gear Aquisition Syndrom (Ausrüstungs-Anschaffungs-Syndrom). Das betrifft nicht nur Fotografen, sondern beispielsweise auch Musiker. Und es betrifft sowohl Männer als auch Frauen, obwohl es nach meiner Erfahrung bei Ersteren häufiger und dann auch stärker ausgeprägt ist.
Hier mal ein neues Objektiv, obwohl man sowohl Lichtstärke als auch Brennweite anderweitig abgedeckt hat, da mal einen weiteren Body, obwohl der „alte“ alles macht, was man will. Hier mal eine weitere Gitarre, obwohl schon vier an der Wand hängen, da mal eine neue Mundharmonika, obwohl die Schublade längst voll davon ist. Sie kennen das vielleicht – wenn nicht von sich selbst, dann von Bekannten.
Aber woher kommt dieses Verhalten eigentlich?
Das Versprechen
Ein Sammler sammelt. Klar. Sammeln um des Sammeln willens. Aber Fotografen und Musiker? Die kaufen neuen oder anderen Krempel ja, weil sie den WIRKLICH benötigen, richtig? Na, zumindest ist das die Rationalisierung der emotional getroffenen Kaufentscheidung. Man verspricht sich mehr oder weniger, mit dem Neuerwerb schönere Bilder und bessere Musik zu machen.
Inception
Wahrscheinlich kommt G.A.S. auch gar nicht einmal (allein) durch die Werbung, sondern Interessengruppen schaukeln sich eher gegenseitig hoch. Kommentare in einem Forum oder auf einer Social-Media-Plattform, Kommunikation unter kontroversen Youtube-Videos … . Da setzt manchmal eine kleine, unscheinbare Bemerkung etwas in Gang, was dann im Kauf von etwas mündet, das man eigentlich nicht benötigt hätte. Falls Sie den Film Inception kennen: Der basiert genau auf dieser einen Prämisse.
Kleine Erinnerung
Ich erinnere mich zurück an das Fotofestival in Zingst vor ein paar Jahren. Da fragte mich jemand, welche Kamera ich denn nutzen würde. Es war damals die Nikon D800. Erstaunt fragte er mich, warum ich denn nicht die D810 hätte.
Tatsächlich hatte ich darüber vorher nie nachgedacht. Die D800 hatte ja (nach meinen ersten Bridge- und APSC-Kameras) endlich alles, was ich wollte und benötigte. Ich hatte mich also gar nicht umgeschaut, was der Markt so an Neuerungen bot. Wozu auch? Und wozu unnötig Geld ausgeben?
Tatsächlich blieb jene erstaunte Frage meines Gegenübers aber doch in meinem Kopf hängen. Und ich verglich die Funktionen der beiden Kameras. Die Änderungen bei der Neueren waren für meine Zwecke marginal. Aber manche Kleinigkeiten weckten in mir den Update-Wunsch und nur das rationale Gegenüberstellen der Nachteile der alten und der Vorteile der neuen Kamera halfen mir, diesen Wunsch zu unterdrücken. Ich war mehrfach davor, doch noch zuzuschlagen. Eigentlich erschreckend, wie Emotionen uns doch angeblich rationale Wesen vor sich hertreiben.
Smartphone-Hypes
Mir fiel die ganze Geschichte gerade wieder ein, weil ich über böse Kritiken des iPhone 14 gestolpert bin. Dort wurde bitterlich über die ach so geringen Unterschiede zu iPhone 13 beklagt, das auch gerade erst ein Jahr auf dem Markt ist. Ja, dann updated man halt nicht! Meine Güte! So die Ratio.
Da ist ja ein drittes 85 mm Objektiv, oder eine sechste Gitarre aber schon etwas anderes. Die behält man ja länger. Und nutzt sie viel mehr. So das Gefühl!
Nun ja …
Manchmal muss man sich eben rational zwingen, etwas nicht zu tun. Oder … sich doch einfach treiben lassen. Oder man hat jemanden, der über das eigene Equipment wacht … 😉
Ich bin ein schwerer Fall von GAS. Ich habe sehr viel Geld in Kameras, Objektive und Zubehör gesteckt. Ich nenne es aber eher „Prioritäten setzen“. Ich habe zBsp. ein über 20jähriges Auto, das ich noch immer toll finde, und kann nicht verstehen, weshalb man auf die Idee kommen könnte, alle paar Jahre ein Neues zu kaufen :-). Mit dem so gesparten Geld kaufe ich mir halt Fotosachen …
Stimmt, bei Autos gibt es das ja auch. Da bin ich aber auch eher entspannt. Aber bei Kleinelektronik aller Art kribbelt es doch auch noch. 😉
Der Vergleich hinkt etwas…
Ich hab ein 12 Jahre altes Auto. Ich hab aber auch eine 3-5 Jahre alte Foto Ausrüstung. Erst kürzlich hab ich mir eine 2. Canos EOS 6D gekauft, um mit 2 von denen Konzert Video Aufnahmen zu machen.
So what? Ich brauch weder ein neues Auto noch das neuste Foto Equipment, nur das, was ich zum Erreichen meiner Ziele und Wünsche brauch.
Das Auto ist allerdings ein totaler Luxus, ein Cabrio, aber ich liebe es!
Zitat: Und es betrifft sowohl Männer als auch Frauen, obwohl es nach meiner Erfahrung bei ersteren häufiger und dann auch stärker ausgeprägt ist.
Bezweifle, dass diese Behauptung tatsächlich stimmt, doch sicherlich können ausreichend wissenschaftliche Studien diese Behauptung belegen. So eine Behauptung trifft vermutlich zu, wenn man nur ein kleines, nach bestimmten Interessen eingeschränktes Spektrum betrachtet, doch das ist nur trivial.
Zitat: Tatsächlich blieb jene erstaunte Frage meines Gegenübers aber doch in meinem Kopf hängen. Und ich verglich die Funktionen der beiden Kameras.
Nun ist es so, dass man viele Entscheidungen zu einem guten Teil gefühlsmäßig, also aus dem Bauch, trifft. Die Entwicklung des menschlichen Großhirns wird vor allem dazu genutzt, nachträglich gute bis fiese Ausreden und Erklärungen für vorher getroffene Entscheidungen zu finden.
Was neue und/oder zusätzliche Funktionen eines neuen Modells betrifft, so gibt es objektive Feststellungen, dass Hersteller nur selten wirklich alle Wünsche erfüllen, so dass es eben neue Modelle gibt. Andererseits gibt es auch eine objektiv feststellbare technische Entwicklung, sonst würden wir alle noch mit Holzkästen und Glasplatten fotografieren. Was neue Objektive mit ähnlicher oder gleicher Brennweite betrifft lässt sich im Labor messen, dass ältere Objektive die Anforderungen neuerer, hochauflösender Sensoren und Kameras nicht erfüllen. Also.
Welche Kamera und welche Auflösung und Qualität jemand tatsächlich benötigt, lässt sich mit einer gewissen Bandbreite einigermaßen gut eingrenzen. Ob man Fotos überhaupt benötigt, muss auch jede und jeder für sich entscheiden.
Doch vielleicht kann ja der Herr Redakteur auch mal einen sinngemäßen Beitrag über Mode, Schmuck oder Frisuren verfassen.
Die Liste ist fast beliebig erweiterbar.