Ich bin dann mal im Metaverse …
Mit dem Metaverse (oder Metaversum), einer virtuellen Welt als immersiver Weiterentwicklung des Internet, will Facebook die Welt verändern und in der EU Arbeitsplätze schaffen. Aber ist das nicht ein ganz alter Hut?
Vor mehr als zwei Jahrzehnten, als ich noch Redakteur des macmagazin war, ging in der Redaktion ein Buch von Hand zu Hand: Snow Crash von Neal Stephenson. Mit seinem 1992 veröffentlichten Cyberpunk-Roman hatte Stephenson nicht nur den Begriff „Avatar“ für einen virtuellen Stellvertreter popularisiert – wenn auch nicht erfunden –, sondern auch die Vorstellung eines „Metaverse“ geprägt, einer virtuellen Welt, in die man über ein Terminal mit VR-Brille eintauchen kann.
Das in einem atemlosen Stil geschriebene Snow Crash war eine höchst unterhaltsame Lektüre – keine große Literatur, in vielerlei Hinsicht konventionell und voller Klischees, aber man konnte es auch nicht aus der Hand legen. Der Hacker, Pizzabote und Hobby-Samurai Hiro Protagonist (auf so einen Namen muss man erst mal kommen) erlebt darin wilde Abenteuer in einer dystopischen Zukunftswelt und deren virtuellem Paralleluniversum, mit rasanten Verfolgungsjagden, Schwertkämpfen, Gewaltexzessen der blutrünstigeren Art und auch ein bisschen Sex.
Okay, ein nerdiger Nobody wird Superheld und rettet die Welt, das hat man schon oft gesehen. Dass der Held in einer Krise seiner Ex-Freundin/Ex-Ehefrau begegnet, die sich von ihm getrennt hatte, aber nun seine Pluspunkte zu würdigen lernt – ein sattsam bekanntes Plot-Element unzähliger Hollywood-Filme. Stephensons Grundidee, dass ein Computervirus auch das menschliche Gehirn befallen könnte, ist ziemlicher Blödsinn, und dass er dann auch noch sumerische Götter und die babylonische Sprachverwirrung damit verschwurbelt – geschenkt. Man muss das Buch so schnell lesen, wie es dem Anschein nach geschrieben wurde, dann passt das. Nächstes Jahr soll Snow Crash – warum hat das eigentlich so lange gedauert? – übrigens als Fernsehserie gestreamt werden.
Snow Crash hat in den 90ern viele Menschen inspiriert; auch Computerspiele wie Quake gehen darauf zurück. Vor 18 Jahren entstand mit Second Life eine Art echtes Metaverse – noch nicht so eindrucksvoll immersiv wie das der Science Fiction, aber eine eigenständige virtuelle Welt mit eigener Währung, in der man als Avatar mit frei gestaltetem Erscheinungsbild auch Handel treiben oder auf andere Weise Geld verdienen kann – etwa indem man Platten auflegt oder virtuelle sexuelle Dienstleistungen anbietet. In der Anfangszeit richteten sich auch viele Unternehmen und Organisationen dort mit einer virtuellen Vertretung ein, aber das Interesse flaute schnell ab. Second Life gibt es zwar bis heute, nur spricht kaum noch jemand davon.
Und nun soll das Metaverse, eine Idee aus einem 1992 erschienenen Roman – Mark Zuckerberg war da gerade 8 Jahre alt –, der neue heiße Scheiß sein? Er selbst erscheint davon vollkommen überzeugt, wie man einem längeren Interview mit „The Verge“ entnehmen kann. Und keine Angst, das Metaverse soll keine proprietäre Facebook-Veranstaltung werden, sondern in Kooperation mit anderen Unternehmen und Organisationen entstehen.
Bloß: Will das jemand? Virtual Reality ist ja ganz witzig, und im Rahmen von Spielen ergibt das auch Sinn, aber da leben, nein danke. Als die Pandemie zu häufigen Zoom-Konferenzen zwang, bekam ich den Eindruck, dass viele nicht einmal ein Videobild von sich zeigen mochten. Die Distanz, die die Kommunikation per Computer und Internet schafft, ist doch ziemlich beliebt. Ob man sich nun künftig – wenn auch im Gewand eines fantasievoll gestalteten Avatars – voll und ganz in eine virtuelle Welt begeben möchte, um dort andere Menschen zu treffen – mein Verdacht: Das werden zu einem großen Teil tatsächlich Bots sein –, Veranstaltungen zu besuchen oder einzukaufen? (Der virtuelle Einkauf wird dann übrigens ganz real per Kurier ausgeliefert.) Virtuelle Meetings haben einen Vorteil, auf den Zuckerberg hinweist: Wenn man anderen Teilnehmern etwas zeigen will, ist man nicht daran gebunden, ein Dokument nach dem anderen auf den Bildschirm zu holen; stattdessen kann man so viel Material wie nötig an virtuelle Tafeln des virtuellen Konferenzraums pinnen. Der virtuelle Raum, in dem man sich bewegt, ist ja immer so groß, wie man ihn braucht. Man schaut nicht mehr auf das größere oder kleinere Rechteck eines Bildschirms, sondern kann sich um 360 Grad in jeder Richtung umsehen. Dafür ist ein VR-Interface tatsächlich praktisch. In der Virtualität kann man auch stets tipptopp aussehen, obwohl die im wirklichen Leben getragene Jogginghose schon etwas müffelt.
Die Idee einer solchen virtuellen Welt ist jedenfalls uralt (nach den Zeitmaßstäben des Internet) und hat sich bislang nur in sehr speziellen Bereichen durchsetzen können; ich fürchte, dass sich daran wenig ändern wird.