Eines hatte mir in den letzten Jahren Anfang Juni immer gefehlt – das Umweltfotofestival „horizonte zingst“. Diesmal war ich endlich wieder dabei. Wie war’s, und was hat sich seit meinem letzten Besuch verändert?
Das Fotofestival im mecklenburg-vorpommerschen Zingst war lange Zeit ein Fixpunkt des Jahres gewesen. Früher versammelte sich noch in jedem Jahr die gesamte Redaktion dort, und wenn wir als DOCMA-Gang samt unserem Tross aus Assistent/innen, Models und Freund/innen des Hauses auf dem Deich paradierten, machte das Eindruck, selbst wenn es nur zum Abendessen beim Griechen ging. Dann kam die Pandemie, danach passte es terminlich nicht, aber ich blieb vom Zingst-Virus befallen und wollte irgendwann mal wieder hin.
Warum also nicht jetzt? In offizieller DOCMA-Mission waren in diesem Jahr nur Christoph und Ina Künne dort; mit meiner Begleiterin wollte ich bloß Urlaub am schöneren (ostdeutschen) Teil der Ostseeküste machen. Wir buchten kurzerhand ein Ferienhaus und zwei Fahrräder – das obligatorische Verkehrsmittel in Zingst – und fuhren hin, wie üblich mit Bahn und Bus (wobei man in Letzterem ja nur noch das geniale Deutschlandticket vorzeigen muss).
Mein in früheren Besuchen geschultes Orientierungsvermögen funktionierte noch; in Zingst fühlte ich mich gleich wieder zuhause. Deshalb konnte ich aber auch nicht übersehen, dass die Zahl der Ausstellungen seit der Ära des unersetzlichen Klaus Tiedge doch arg geschrumpft war. Das Hotel Vier Jahreszeiten blieb ebenso unbespielt wie das Strandhotel (ex-Steigenberger), das Kurhaus, der Vorplatz des Max Hünten Hauses, das Hotel Stone und und und … Dabei hatte die Kuratorin Edda Fahrenhorst ein durchaus spannendes Programm zusammengestellt, und wir brauchten ein paar Tage, um alles zu würdigen – wie gesagt, wir waren im Urlaub. Aber da wäre noch deutlich mehr gegangen.
Früher wurden stets Studenten eines Partnerlandes nach Zingst eingeladen, um dann ihre Bilder in der Panzerhalle zu zeigen, und Studenten aus der Region konnten sich im Keller des Hotel Stone präsentieren; beides fehlte mir dieses Mal. Die Siegerbilder des Fotowettbewerbs „Blende“ wurden nun auf der Photo+Adventure in Duisburg statt in Zingst präsentiert. Dass Olympus seine Fotosparte abgestoßen hat und die weiterhin an der Ostseeküste präsente Auffanglösung OM Digital Solutions offenbar mit einem kleineren Etat planen muss, ist bedauerlich, aber nicht zu ändern. Auch die terminliche Ballung von horizonte zingst und Photo+Adventure sowie dem wenige Tage darauf folgenden Oberstdorfer Fotogipfel war eher ungünstig. Man könnte argumentieren, dass diese Events ohnehin ein vornehmlich regionales Publikum aus dem Norden, Westen beziehungsweise Süden der Republik ziehen und daher nicht im Wettbewerb zueinander stehen; dagegen spricht allerdings die Zahl der Münchner Kollegen, die wir in Zingst getroffen haben.
Zu den sehenswerten Ausstellungen, die auch nach Ende des Festivals noch ein paar Monate zu sehen sind, zählen natürlich Michael Mullers Unterwasseraufnahmen, für die er Weißen und anderen großen Haien gefährlich nahe gekommen ist. Das wirkt teilweise auch dann noch etwas unheimlich, wenn einen ein Hai bloß von einer der großen Bildwände angrinst, die auf dem Strand östlich der Seebrücke aufgestellt sind. Wenn der Fotograf nur nicht in den Begleittexten so penetrant auf seiner Einzigartigkeit und der Wattleistung der selbstkonstruierten Blitzanlage herumreiten würde … Da ist mir beispielsweise ein Norbert Rosing doch viel sympathischer.
Da wir erst am 9. Juni in Zingst angekommen waren, hatten wir es nur noch zur Vernissage der „Federn“-Ausstellung von Heidi und Hans-Jürgen Koch auf dem Postplatz geschafft. Die makro- bis mikroskopischen Aufnahmen von Vogelfedern wirken nicht nur durch ihren ästhetischen Reiz; dazu gehören auch die erklärenden Texte zur jeweiligen Funktion der Federn – dabei geht es beileibe nicht nur (und teilweise gar nicht) um das Fliegen. Schließlich hatten schon Saurier als Vorfahren der heutigen Vögel Federn, auch wenn sie den festen Boden nie verließen, wie Hans-Jürgen Koch erläuterte. Schlendert man vom zentralen Postplatz zum Max Hünten Haus, kommt man an Katie Orlinskys Fotoserie zum Verschwinden der Karibus vorbei. Ein ähnliches Thema, wie sich nämlich indigene Völker in der Rettung bedrohter Arten engagieren, behandeln auch die Bilder von David Chancellor („With Butterflies and Warriors“), die im Martha-Müller-Grählert-Park (oder kürzer „Kurpark“) zu sehen sind. Ich wundere mich immer wieder, wie es die Zingster geschafft haben, diesen gar nicht mal so kleinen Park mitten im Ort so zu verstecken, dass ihn Uneingeweihte kaum finden. Vom Kurpark ist es nicht weit zur Peter-Pauls-Kirche und den darin ausgestellten UNICEF Fotos des Jahres 2023. Im Kirchhof kann man übrigens auch das Grab der Heimatdichterin Martha Müller-Grählert entdecken – ihrem Namen und denen ihrer Werke begegnet man in Zingst und in ihrem Geburtsort Barth auf Schritt und Tritt.
Freunde des Bizarren kommen in der Leica Galerie (im alten Bahnhof, der nach der Stilllegung der Bahnstrecke etwas einsam in der Landschaft steht) auf ihre Kosten. Mélanie Wenger hat das Leben von Texanern dokumentiert, die auf ihren Farmen exotische Tiere halten, um sie abzuschießen („jagen“ kann man es nicht ernsthaft nennen) oder abschießen zu lassen. Fotos wie das eines jungen Mädchens, das träumerisch versonnen auf ein Tier anlegt, um es abzuknallen, verstören den Betrachter, aber die Fotografin hat sich selbst jeder Wertung enthalten. Ähnlich irritierend wirken Luca Rotondos Bilder von Menschen mit ihren ausgestopften Haustieren, die im Max Hünten Haus ausgestellt sind. Nur vor dem Haus ist es etwas leer – früher wurde dieser Vorplatz immer für eine Freiluftausstellung genutzt.
Das nächste Umweltfotofestival horizonte zingst findet vom 23. Mai. bis 1. Juni 2025 statt, und wir haben uns bereits entschieden, auch im nächsten Jahr dabei zu sein. Mit etwas Glück ist dann auch das Wetter wieder etwas besser, das in diesem Jahr untypisch schlecht war (allerdings kam auch immer wieder die Sonne ’raus und längst nicht jede vorüberziehende schwarze Wolke regnete sich ab; einer von uns – nicht ich – ging sogar in der Ostsee schwimmen).
Von Zingst aus legten wir dann noch einen Abstecher ins nahe Greifswald ein, denn als Caspar-David-Friedrich-Ultras mussten wir natürlich seinen Geburtsort besuchen. Christoph Künnes dortige Ausstellung KI-generierter Bilder, deren Inspiration jeweils ein CDF-Motiv ist, war leider schon beendet, aber wir besuchten das Caspar-David-Friedrich-Zentrum in dessen Geburtshaus und den Dom. Für den hat Olafur Eliasson jüngst neue Ostfenster geschaffen, deren Farben ein Licht wie in Caspar David Friedrichs Gemälden erzeugen – und Olafur-Eliasson-Fans sind wir ja sowieso.
CDF-Inspirationen stellen sich fast automatisch ein, wenn man durch Greifswald geht, und so entdeckten wir ganz unwillkürlich romantische Motive, auch wenn wir mit iPhones fotografierten.
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