Fuse: Probleme mit der Nacktheit
In der kommenden DOCMA-Ausgabe 81 beschreibt Ihnen Uli Staiger die phantastischen Möglichkeiten von Adobe Fuse – einer Software, mit der Sie schnell 3D-Figuren von Menschen erstellen, modifizieren und animieren können. Doc Baumann fragt sich, warum die Basisformen züchtig mit Unterwäsche ausgestattet und nicht einfach nackt sind.
Wie Fuse funktioniert, will ich Ihnen hier nicht beschreiben. Das kann mein Kollege Uli Staiger als 3D-Experte viel besser. Nachlesen können Sie das ausführlich ab Mitte Februar 2018 in der neuen DOCMA. Sein Artikel hat mich so begeistert, das ich mir noch während des Korrekturlesens das Programm heruntergeladen habe (für CC-Abonnenten ist die Beta-Version derzeit gratis). Auch deshalb, um das Beschriebene besser nachvollziehen zu können.
Allerdings fiel mir beim Experimentieren gleich auf, dass es bei den 3D-Gestalten (characters) in ihrer Basisversion Probleme mit der Nacktheit gibt – sie sind bereits brav mit Unterwäsche ausgestattet.
Das erinnerte mich an den italienischen Renaissance-Maler Daniele da Volterra, der unter seinem Spitznamen „Braghettone“ (Höschenmaler) in die Kunstgeschichte eingegangen ist, nachdem er den päpstlichen Auftrag ausgeführt hatte, Michelangelos peinlich nackte Gestalten in der Sixtinischen Kapelle mit züchtigen Schleierchen auszustatten, um dem Klerus den Anblick der Genitalien zu ersparen.
Offenbar hatten die Geistlichen Probleme mit der Nacktheit, dabei hätten doch gerade sie wissen müssen, dass laut Genesis 1 der Mensch von Gott splitternackt erschaffen wurde. Der weitaus überwiegende Teil der US-Amerikaner hält ja noch heute die Evolution für fragwürdig, 2014 waren es 90%. 33% glauben sogar, dass der Mensch von Gott in seiner heutigen Form konstruiert wurde.
Da Fuse eine US-amerikanisches Software ist, haben es natürlich auch dessen Entwickler und Adobe Probleme mit der Nacktheit und den dortigen kulturellen Rahmenbedingungen. Auf entsprechende Anwenderfragen antwortete einer der Steam-Programmierer: „Nach einer ausgiebigen internen Debatte, und weil wir nicht mit der Möglichkeit kokettieren wollten, dass unsere Seite nur nach einer Altersfreigabe zugänglich wird, haben wir uns entschlossen, die Erreichbarkeit von Fuse dadurch nicht zu beschränken.“
Auch auf der Adobe-Webseite wurde das Thema diskutiert. Dort reagierte Jeanette Mathews auf entsprechende Proteste so: „Es ist ein heikles Thema. Die menschliche Körperform ist schön und wir glauben, dass vollständige Nacktheit und anatomische Korrektheit verfügbar sein sollten, aber wir müssen etwas tun, um Einschränkungen zu vermeiden. Einige Kulturen, Organisationen oder Schulen wollen mehr Kontrolle darüber, was zugänglich sein sollte … Wir haben dieses Thema intern ausgiebig diskutiert und möchten definitiv diese Funktionen künftig anbieten, aber wenn Sie dies schon jetzt benötigen, würde ich Ihnen wohl derzeit eine andere Lösung empfehlen.“ Sie verweist in diesem Zusammenhang auch auf Adobes 3D-Neuentwicklung „Dimensions“, die früher unter dem Namen „Projekt Felix“ lief.
Immerhin gibt es ein Trostpflaster für Anwender/innen, die wenigstens teil-nackte Figuren rendern möchten: Entfernt man bei den Fuse-Voreinstellungen den Haken bei der Option „Modest Mode“, wird die Darstellung bei Frauenkörpern zumindest insofern „un-modest“, als nun ihre Brüste sichtbar werden. Untenrum gibt’s nach wie vor nur die Unterwäsche, die sich allerdings teilweise dadurch entfernen lässt, dass man im Ebenen-Bedienfeld die Map für die Körperoberfläche (unter „Diffus“) doppelklickt und dann die entsprechenden Bereiche hautfarben übermalt. Allerdings bleibt dann trotzdem noch die Bump-Map in diesem Bereich bestehen und müsste ebenfalls retuschiert werden.
Als Gläubiger sollte man ja eigentlich keine Probleme mit der Nacktheit haben, sondern im Gegenteil eher darauf bestehen, dass die Grunderscheinungsform des Menschen – wie bei seiner Geburt – der Nacktzustand ist, den es nicht willkürlich zu überdecken gilt – und als Ungläubiger hat man mit Nacktheit wahrscheinlich ohnehin keine Probleme. Wollte man alle Software kulturübergreifend beanstandungsfrei programmieren, würde es wohl schwierig. Dann müsste Word schon abstürzen, wenn man „Atheismus“ eintippt, „Geburtenkontrolle“ oder „schwul“. In Zeiten des Internets, wo bereits Kinder bei entsprechender Neugier im Web nicht nur Terabytes Nacktes anschauen, sondern entsprechende Leiber auch in Aktion bewundern können, sollte eine mit normalen Genitalien ausgestattete 3D-Figur eigentlich kein unüberwindliches Problem darstellen. (Man könnte den Zugang zu diesen Varianten ja, wenn es denn unbedingt sein muss, dadurch beschränken, dass zunächst eine Frage aufploppt, die von den Anwendern zu beantworten wäre, bevor die Unterwäsche fällt. Etwas, das nur Erwachsene wissen. Aber das ist wohl eine unrealistische Idee, weil die Kleinen die Antwort jederzeit googeln können. Und Erwachsene, die ohne den Lauf eines Revolvers an der Schläfe freiwillig Trump gewählt haben, wären mit Erwachsenen-Fragen wahrscheinlich ohnehin überfordert.)
Probleme mit der Nacktheit hat bekanntlich ja auch Facebook, so dass die dort erscheinende Version dieses Beitrages auf die Darstellung unbekleideter 3D-Brüste verzichten muss, um nicht der Zensur zum Opfer zu fallen. Zensur war stets eine Erscheinungsform von Diktaturen, die darüber bestimmen wollten, welche Inhalte den Beherrschten zugänglich gemacht werden konnten, ohne ihre Macht zu gefährden. Das ist keine erfreuliche Tradition, in der sich diese aktuellen Erscheinungsformen der Prüderie befinden.
„irgendwas mit Vögeln ausdenken“
Der ist gut!
Schönen Regentag noch.
Tut gut wenn jemand der gut schreiben kann die eigene Meinung mal auf den Punkt bringt! Danke dafür!