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Frühe Montage-Probleme

Frühe Montage-Probleme
Frühe Montage-Probleme / Heutige Ansicht des Sabil Bab al-Nazir / Foto_ Doc Baumann 2016

In jeder DOCMA-Ausgabe stellt Doc Baumann in seiner „Bildkritik“ fehlerhafte Montagen vor. Dabei geht es meist um Perspektive, Schatten oder Plausibilität, selten um falsche Proportionen. Dass Grafiker bereits um 1880 frühe Montage-Probleme hatten, fiel ihm kürzlich auf, als er zwei Holzstiche aus dieser Zeit erwarb.

Genau genommen lässt sich der Begriff „Montage“ nicht wirklich auf Grafiken anwenden, schon gar nicht in der Zeit vor 1900. Natürlich haben Maler und Zeichner in ihren Bildern schon immer Elemente zusammengebracht, die aus unterschiedlichen Quellen stammten. Ein frühes Beispiel aus dem Bereich der antiken Malerei war der Auftrag der süditalienischen Stadt Kroton an den Maler Zeuxis, ein Bildnis der schönen Helena für den Juno-Tempel zu malen. Da er die gewünschte ideale Schönheit bei keinem der ihm vorgestellten Modelle fand, malte er Teile der reizvollsten Jungfrauen der Stadt und kombinierte sie zu einer Gestalt – was man näherungsweise als Beispiel einer frühen Montage betrachten könnte.

Vor der Zeit der Fotografie konnte man sich bei Szenen fremder Länder fast nur auf die eigene Erinnerung oder auf Skizzen verlassen. Und wenn der Zeichner ein Objekt ohne Kontext aufs Papier gebracht hatte, war es schwer, seine Größe korrekt einzuschätzen. Jeder der beiden folgenden Holzstiche erscheint, für sich betrachtet, hinsichtlich der Größenverhältnisse stimmig und richtig zu sein. Doch gegenübergestellt kann nur einer die wahren Proportionen wiedergeben. Entweder sind die Frauen am Brunnen zu groß oder zu klein – ein Beispiel für frühe Montage-Probleme.

Frühe Montage-Probleme
Frühe Montage-Probleme / Brunnen aus der Altstadt von Jerusalem, Holzstich um 1880

 

Frühe Montage-Probleme
Frühe Montage-Probleme / Brunnen aus der Altstadt von Jerusalem, Holzstich um 1880

Und nun wird’s kompliziert, denn auch ich irrte mich zunächst bei der Beurteilung. Ich hatte die beiden Holzstiche günstig bei ebay erworben, weil ich aufgrund der kleinen Darstellung auf der Webseite sicher gewesen war, dass sie den Sabil Bab al-Nazir zeigen, einen rund 500 Jahre alten Brunnen in der Altstadt von Jerusalem, nahe einem der Zugänge zum Tempelberg, dem Haram al-Sharif. Den hatte ich im Herbst 2016 fotografiert (Foto oben), und von ihm besitze ich auch einen kleinen Stahlstich von Finden aus dem Jahr 1836 (unten). Ich erinnerte mich an die israelischen Soldaten, die vor diesem Brunnen den Zugang zum Haram bewachten, und wie die ungefähren Größenverhältnisse gewesen waren. Der Holzstich mit den kleinen Wasserträgerinnen musste also falsche Proportionen – und damit frühe Montage-Probleme – wiedergeben.

Frühe Montage-Probleme
Frühe Montage-Probleme / Stahlstich des Sabil Bab al-Nazir von Finden (1836)

Bei genauerer Begutachtung stellte ich allerdings fest, dass verschiedene Ornamente dieses Brunnens, wie ich sie auf meinem Foto oder dem Stich von 1836 sehen konnte, erheblich von denen der beiden Holzstiche abwichen. Und obwohl einer von ihnen „falsch“ sein musste, stimmten sie doch hinsichtlich der Ornamente weitestgehend überein. Was stimmte hier nicht?

Bei meinen weiteren Recherchen stieß ich darauf, dass es in der Altstadt von Jerusalem in der Nähe des Tempelberges nicht nur den Sabil Bab al-Nazir gibt, sondern auch den Sabil Bab al-Silsileh, ein Brunnen, der ebenfalls an der rechten Ecke einer Kreuzung überbauter Gassen liegt. Den hatte ich damals bei meinen Recherchen nicht gesehen. Aktuelle Fotos des Brunnens zeigen zwar – anders als die beiden Grafiken –rechts und links Treppenstufen, aber auf alten Aufnahmen sieht er genau so aus wie auf den beiden Holzstichen, und dort kann man auch erkennen, dass er sehr viel größer ist als sein Pendant – und dass deswegen der Stich mit den kleinen Figuren hinsichtlich der Proportionen der richtige ist. Vielleicht kannte ja der Stecher der Grafik mit den viel zu großen Frauen ein Bild des Sabil Bab al-Nazir (Fotos von Jerusalem gab es um 1880 ja schon viele) und hatte sich einfach am falschen, aber recht ähnlichen Brunnen orientiert – frühe Montage-Probleme! So, wie es auch mir fast passiert wäre, gäbe es heute nicht die beeindruckenden Möglichkeiten der Web-Recherche.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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