EOS R5 und R6: Canon macht Ernst
Seit Monaten hat Canon seine Kunden mit immer neuen Andeutungen heiß auf das neue spiegellose Spitzenmodell EOS R5 gemacht. Heute wurde es (zusammen mit dem einfacher ausgestatteten Schwestermodell EOS R6) endlich vorgestellt. Was sagen die neuen Modelle über Canons Produktpolitik aus?
Nach dem langen Vorlauf der Produktankündigung wird sicherlich jeder, der sich auch nur ein wenig für Canons Systemkameras interessiert, den intensiv beworbenen und heute Mittag per Streaming in alle Welt verbreiteten ReImagine-Event auf YouTube verfolgt haben. Was die neuen Modelle EOS R5 (ab Ende Juli 2020 für rund 4385 Euro erhältlich) und EOS R6 (ab Ende August für rund 2631 Euro im Handel) auszeichnet, ist daher bekannt, aber was folgt daraus?
Die Zukunft gehört den spiegellosen Systemkameras, was die langjährigen Marktführer Canon und Nikon dazu zwingt, sich neu zu positionieren. Mit der bisherigen Allgegenwärtigkeit ihrer DSLR-Systeme wird es nicht ewig weitergehen, und bei den spiegellosen Kleinbildkameras hat Sony einen großen Vorsprung. 2018 antworteten Canon wie Nikon mit eigenen spiegellosen Systemen, aber die damals eingeführten Modelle erschienen vielen Fotografen, die mit Sony fremdgegangen waren, nicht als hinreichender Grund, reumütig zu den früher dominanten Herstellern zurückzukehren. Auch treue Anhänger der DSLR-Systeme sahen keine Veranlassung, zum spiegellosen System ihres bevorzugten Herstellers zu wechseln. „ReImagine“ kann man so interpretieren, dass es sich Canon noch einmal von Grund auf neu überlegt hat, wie eine spiegellose Kamera aussehen müsste, und die Kenndaten wie das Design der EOS R5 und R6 bestätigen diese Vermutung.
Wer die Fotografie mit Canons DSLRs gewohnt ist, wird mit einer R5 oder R6 nicht fremdeln. Die Kameragehäuse sind zwar so kompakt, wie es das spiegellose Bauprinzip möglich macht, aber ein DSLR-Fotograf muss für das Handling nicht umlernen. Seltsamkeiten wie der konfigurierbare Touchbar der EOS R sind verschwunden; stattdessen gibt es einen viel nützlicheren Mini-Joystick.
Die Eckwerte insbesondere der EOS R5 verraten, dass sich Canon an die Spitze des Feldes setzen will – also vor Sony, während der alte Konkurrent Nikon eine geringere Rolle zu spielen scheint. Dass der neuentwickelte Sensor 45 Megapixel auflöst, dürfte auch durch den 8K-Videomodus motiviert sein: Wenn man von einem 8K-Videobild mit 7680 Pixeln in der Breite ausgeht, ergibt sich bei einem kleinbildtypischen Seitenverhältnis von 3:2 eine Auflösung von 42 Megapixeln. 8K-Video wird derzeit noch selten benötigt, aber die R5 kann die 8K-Daten des Sensors auch auf 4K herunterrechnen, und dieses Oversampling sorgt für besonders klare, detailreiche Videobilder ohne Interpolationsartefakte. Das volle 8K-Format erlaubt die Extraktion von Einzelbildern, die klassisch aufgenommenen Standbildern ebenbürtig sind, und macht es möglich, zunächst eine Totale aufzunehmen und beim Videoschnitt durch eine Verschiebung eines 4K-Ausschnitts im Nachhinein verschiedene Einstellungen zu simulieren.
Als Knüller könnte sich Canons neuer Bildstabilisator erweisen, sofern er auch in der Praxis die angekündigten Leistungsdaten unter Beweis stellt. Die Bildstabilisierung mit einem beweglichen Sensor ist für Canon Neuland, soll aber schon in der ersten Generation in der Kombination mit einem Bildstabilisator im Objektiv bis zu acht EV bringen. Das würde konkret bedeuten, dass man statt mit 1/250 Sek. eine volle Sekunde belichten könnte, ohne Verwacklungsunschärfe befürchten zu müssen. Dieses Kunststück wird nicht unter allen Umständen gelingen, denn innerhalb einer Sekunde kann man die Kamera viel weiter bewegen, als es irgendein Bildstabilisator ausgleichen könnte, aber kombiniert mit einer ruhigen Hand könnte es funktionieren.
Der Sensor der R5 ist ein für Canon typischer Dual-Pixel-Sensor. Unter jeder Mikrolinse befinden sich also zwei nebeneinander liegende Pixel, mit denen ein Autofokus per Phasendetektion möglich ist. Es gibt 5940 wählbare AF-Messfelder, die sich über das gesamte Bildfeld erstrecken. Im Tracking-Modus kann der Autofokus erkannten Gesichtern von Menschen und Tieren folgen und auf die Augen scharf stellen – ein Gebiet, auf dem bislang Sony führend ist. Zur Motiv-, Gesichts- und Augenerkennung setzt Canon ein neuronales Netzwerk ein. Ein Shoot-out zwischen Canon und Sony dürfte spannend werden.
Neben ihrem klassischen Schlitzverschluss, der für beachtliche 500000 Zyklen spezifiziert ist, setzt die EOS R5 einen elektronischen Verschluss ein, der zwar nach dem Rolling-Shutter-Prinzip arbeitet, den Sensor aber besonders schnell auslesen kann, was die typischen Artefakte in Fotos bewegter Motive minimieren soll. Mit dem elektronischen Verschluss erreicht die R5 eine Serienbildfrequenz von 20 Bilder/Sek. – das schaffen zwar auch die Sony Alpha 9 II und die Fuji X-T3, X-T30 und X-T4, allerdings nicht mit dieser Sensorauflösung.
Ob die neuen Modelle – die neben der R5 angekündigte R6 hat einen 20-MP-Sensor und ist in vielerlei Hinsicht einfacher ausgestattet – die Versprechen einlösen können, wird sich erst in der Praxis zeigen, aber Canons Produkteinführung macht klar, dass sie im Bereich der spiegellosen Kleinbildkameras der Marktführer werden wollen, der sie im DSLR-Bereich sind.
Die bekanntgegebenen Informationen klingen vielversprechend, kein Wunder, die Marketingabteilungen der Firmen sind ja Spitze.
Die 45 MPixel sind sicher ein guter Kompromiss zwischen Pixelwahnsinn und gewünschter Detailreichtum. Falls die Zusammenarbeit zwischen IBIS und Objektivstabilisator wirklich so gut funktioniert, wäre es sicher ein weiterer Fortschritt. Allerdings gilt dies ziemlich sicher nur für nativen R-Objektive und nicht für EF-Objektive, die über den Adapter angeschlossen werden. Da das Sortiment von Objektiven mit dem R-Bajonett noch ziemlich klein ist, kann damit der Vorteil nur zum geringen Teil genutzt werden.
Die R6 ist in etwa mit der 5DIV vergleichbar, oder der 5DSR. Die Bildfolgegeschwindigkeit war mit Shutter erwartbar, ob der elektronische Verschluss bei 45 MPixel auch solch Rolling-Shutter-Effekte wie die A7RIII zeigt, wird man spannend erwarten. Zu bezweifeln ist, ob ein Profi-Sport-Fotograf eine R-Kamera als Hauptkamera nutzen wird. Wenn man pro Spiel etwa 2500 Fotos macht, benötigt man laut Angaben etwa 8 voll geladene Akkus, bei einer 1D (egal ob 1DIII, 1DX, 1DXII oder 1DXIII) ist deren Akku gerade mal halb leer.
Die beiden DO-Teles werden zeigen, ob die optische Qualität an die der weißen Superteles heranreicht. Die geringe Lichtstärke sehe ich wegen der angegebenen Leistungsfähigkeit des AF-Systems nicht als Problem, die Lichtstärke der L-Superteles war ohnehin nur für den AF nötig, den bei 500 bis 800 mm-Teles hat man auch bei offener Blende eine sehr geringe Schärfentiefe, gerade mal ein paar Meter.
Ob die Kamera so gut in der Hand liegt, wie eine 5D-Modell wird sich zeigen, denn die ist zusammen mit den angesteckten Objektiven für mich ein ausbalanciertes System. Die A7-Kameras haben mit der A7RIII endlich eine Form erhalten, mit der man die Kamera gut und sicher halten kann, doch da bei spiegellosen Kameras zwar das Gehäuse klein und auch leichter ist, die Objektive bei gleicher optischen Qualität jedoch praktisch gleich groß und schwer sind, sind sie eben nicht ausbalanciert, sondern kopflastig. Der mehr ins Objektiv geschobene Schwerpunkt des Systems ist beim Fotografieren aus der Hand unangenehm, macht sich bei einer Montage auf einem Stativ ganz besonders bemerkbar. Besonders bei Makroaufnahmen und ganz besonders bei Stackshotaufnahmen.
Je weiter die Befestigungsschraube vom Schwerpunkt entfernt ist, desto fragiler wird die Montage, desto mehr schwingt bei jeder Bewegung des Schlittens das System und führt mangels wirklich stabiler Befestigung (die Auflage am Kameraboden ist eigentlich lächerlich, viele Makroobjektive haben keine Schelle) zu minimalen Änderung der Positionierung und damit zu Ungenauigkeiten.
Wer wirklich ein kleines, leichtes Kamerasystem will, muss auf APS-C umsteigen, doch wer will das?