EMOP Berlin: Zwischen Fotografie und Aktivismus
Für alle, die ihn nicht kennen: Der European Month of Photography, kurz EMOP Berlin findet seit 2004 alle zwei Jahre statt, feiert dieses Jahr sein zehntes Jubiläum und versteht sich als „Germany’s largest photography festival“. Mit der stattlichen Anzahl von etwa 100 Ausstellungen, die in diesem März in Berlin, der deutschen Hauptstadt der Fotografie, und Potsdam gezeigt werden, dürfte der Superlativ nicht aus der Luft gegriffen sein. Das Programm: Unter dem Leitmotiv „Touch“ (Berührung) sollen die unterschiedlichen Fotoszenen „Berlins, Europas und international in Kontakt“ gebracht werden.
Die Highlights der Opening Days des Festivals waren die Jubiläumsausstellung „Touch“, Talks und Panels zu „aktuellen gesellschaftlichen Fragen“ sowie eine Gemeinschaftsausstellung junger Nachwuchskünstler unter dem Titel „Drängende Gegenwart“. Abgerundet wurde das Eröffnungswochenende mit der Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises an die US-amerikanische Fotografin und Aktivistin Nan Goldin, die zudem in der Akademie der Künste ausstellt.
Nan Goldin
Die Wahl der Preisträgerin ist vor allem interessant, weil es sich bei Nan Goldin um eine Grenzgängerin handelt, die nicht nur seit Jahrzehnten große Ehren für ihre fotografischen Arbeiten erhält, sondern auch als Aktivistin in Erscheinung getreten ist. Ihr fotografisches Werk fokussiert sich seit den 80er Jahren auf Themen, die heute im Rampenlicht stehen: die Sichtbarmachung von Minderheiten, speziell der LGBTQ+-Community und die Auseinandersetzung mit den Folgen sexualisierter Gewalt. Etwas bildhafter drückt es die Wikipedia aus: „Goldin hielt ihr Leben und das Leben und Sterben ihrer Freunde mit der Kamera fest. Sie dokumentierte körperliche Misshandlungen, AIDS-Erkrankungen und die Folgen von Drogenmissbrauch.“
Als ehemalige Drogensüchtige wurde sie 2014 durch die Verschreibung des Schmerzmittels Oxycontin erneut abhängig. Nach einem Entzug initiierte sie ab 2018 in mehreren Museen Proteste gegen Spenden der Sackler-Familie. Der Hintergrund: Die Sacklers sind als Mitbesitzer des Oxycontin-Herstellers Purdue Pharma nicht nur für ihr Mäzenatentum bekannt, sondern auch dafür, wirtschaftlich von der Opioid-Epidemie in den USA enorm profitiert zu haben. Man wirft ihnen vor, die Gefahren des von ihnen vertriebenen Medikaments bewusst zu verharmlosen.
Wut und Ohnmacht der Jugend
Das Verschwimmen der Grenzen von Fotografie und Aktivismus lässt sich auch in der Ausstellung „Drängende Gegenwart“ wahrnehmen, in der sieben Bildungseinrichtungen für künstlerische Fotografie herausragende Arbeiten ihrer Zöglinge zeigen. Den jungen Kreativen soll hier „eine Stimme und ein Ort“ gegeben werden, weil sie als Generation „von den gesellschaftlichen Umbrüchen und den existenziellen Krisen unserer Zeit in besonderer Weise betroffen“ sind. So geht es in den 28 präsentierten Arbeiten um Themen der Zeit: Massentierhaltung, die ostdeutsche Provinz, Hochsensibilität, Trauer, Bildüberflutung, Überwachung, Heimweh, die Flat Earth-Theorie, Projektion und Mystifikation, Flucht und Klima oder Kindesmisshandlungen. Ein wenig spezieller sind weitere Positionen zu Themen wie „Individualität der Besitzer*innen einer Gebärmutter“, wie es sich anfühlt, wenn man seinen Kopf in eine aufgeschlitzte Plastiktüte steckt, sexueller Missbrauch in Ghana, Urin, Sand, von Worten losgelöste Sprache oder die übersehenen Gefühle auf der Zungenspitze.
Emop Berlin: Die klassische Fotografie
Aus den anderen rund 100 Ausstellungen kann man allenfalls ein paar Highlights hervorheben:
Freunde der anekdotischen Fotografie werden sich für zwei der drei Ausstellungen im c/o Berlin begeistern. Dort findet man zu einen den Klassiker William Eggelston mit seinen zeitlos gewordenen 70er-Jahre-Farbfotos. Zum anderen sieht man dort die Bilder der russisch-stämmigen Anastasia Samoylova, die sich an der schillernden Fassade eines amerikanischen Traums in der Jetztzeit abarbeitet.
Freude der sozialkritischen DDR-Fotografie dürfen sich über die Schwarzweißbilder Gundula Schulze Eldowys freuen, die in der Galerie Johanna Breede zu sehen sind.
In der Helmut Newton Foundation am Zoo wird die Ausstellung „Brands“, gezeigt. Sie vermittelt einen Eindruck von Newtons Schaffen für verschiedene bekannte Konsum-Marken.
Und – last not least – findet man im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums eine große Ausstellung zum Thema Industriefotografie im geteilten Deutschland. Dort sind die Namen der Fotografen meist weniger bekannt, dafür wird das Thema sehr umfänglich dargestellt.
Fazit
Eine Reise zum Emop Berlin ist in diesem März unbedingt empfehlenswert. So viel spannende Fotografie auf so überschaubarem Raum gibt es selten. Allerdings sollte man sich auf der Übersichtsseite genau informieren, wann welche Ausstellungen auch tatsächlich stattfinden, denn viele der Bilderschauen des Programms öffnen ihre Tore erst später im Monat.