Ein Bilder-Wochenende in der Hauptstadt
Am Samstag traf sich die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) in Berlin und Potsdam, und ich erfuhr bei dieser Gelegenheit nicht nur, was die DGPh mit der Societas Jesu verbindet, sondern konnte das Wochenende auch noch zum Besuch verschiedener Ausstellungen nutzen.
Meine erste Station nach dem Einchecken war das Fotografiska in der Oranienburger Straße, nur einen kurzen Fußweg vom Hotel entfernt. Das Mutterhaus dieses Hauses der Fotografie hatte ich im September beim Fujifilm X Summit in Stockholm kennengelernt und dort erfahren, dass es weltweite Filialen gibt, in New York beispielsweise und neuerdings eben auch in Berlin.
Seit 1908 stand an dieser Stelle die Friedrichstraßenpassage, eine Art frühes Einkaufszentrum. Nach mehreren Wechseln von Eigentümer und Nutzung waren 1980 große Teile abgerissen worden, aber ein Rest zunächst erhalten geblieben. 1990 rettete ihn eine Künstlerinitiative vor dem geplanten Komplettabriss, indem sie den Bau besetzte und dort das Kunsthaus Tacheles gründete. Die Künstler wurden 2012 vertrieben (die erste Generation der Initiative hatte sich da längst zurückgezogen), aber zu diesem Zeitpunkt stand das Haus bereits unter Denkmalschutz. Inzwischen ist hinter der Ruine und der noch immer imposanten Fassade wieder eine Passage entstanden, die luxuriös, aber auch ziemlich tot wirkt, und die einst dem Verfall preisgegebene Ruine wird vom Fotografiska bespielt.
Die bemalten Wände aus der Zeit des Tacheles hat man dankenswerterweise konserviert, statt das Gebäude brutal zu entkernen und für die Belange von Fotoausstellungen vollständig umzugestalten – das Fotografiska vermittelt den Anschein, als sei es dort nur zu Gast. „Arm, aber sexy“ hat eben mehr Charme als reich und tot.
In der Ausstellung NUDE (noch bis zum 21. Januar 2024), die den male gaze auf weibliche wie männliche Körper mit einem female gaze konterkariert, blieb ich bei einem Video der slowakischen Künstlerin Evelyn Bencicova hängen. Vor acht Jahren, zum Beginn ihrer Karriere, hatte ich sie in DOCMA 65 vorgestellt.
Mit der Einzelausstellung –USSYPHILIA (bis zum 14. Januar 2024) der US-amerikanerischen Transfrau Juliana Huxtable – mittlerweile eine Berlinerin – konnte ich wenig anfangen, aber das mag an mir als Cis-Mann liegen.
Spannender fand ich die Videos in Candice Breitz’ Ausstellung Whiteface (bis zum 4. Dezember 2023): Die ebenfalls in Berlin lebende weiße Südafrikanerin hat, mit Zombie-Kontaktlinsen und verschiedenen blonden Perücken, weiße Amerikaner wie Tucker Carlson, Bill Maher und Rachel Dolezal lippensynchron nachgesprochen, die mit ihrem Status als Weiße hadern. In ihren Aussagen geht es immer um die Rasse – ein in der Biologie längst diskreditiertes Konzept, da sich Menschen nicht sinnvoll in Rassen unterteilen lassen, das in US-amerikanischen Diskursen aber noch immer sehr lebendig ist. Beteuerungen der Art, man sei kein Rassist und seine besten Freunde seien Schwarze, klingen lächerlich, und die Befürchtungen, die Weißen sollten ausgerottet werden, erscheinen abwegig, aber in einem Punkt musste ich den von Breitz Persiflierten zustimmen: Die Idee, dass es prinzipiell keinen Rassismus gegenüber Weißen geben könne, finde ich ebenfalls absurd.
Auf dem Rückweg ging ich noch beim Magicum (Berlin Magic Museum) in der Großen Hamburger Straße vorbei, aber die 12 Euro Eintritt lohnen sich nicht wirklich.
Am Samstag ging es im schnieken Ambiente der Staatsbibliothek zu Berlin mit der Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Photographie e.V. weiter. Die DGPh hat inzwischen rund 1200 Mitglieder und etwa jeder Zehnte war nach Berlin gekommen – anscheinend mehr als üblich, denn der Veranstaltungsort musste im Vorfeld wegen der hohen Zahl der Anmeldungen zweimal gewechselt werden. Für mich war es die erste Mitgliederversammlung, an der ich teilgenommen habe. Nun sind Vereinsversammlungen nur selten ausnehmend spannend – es geht um die Entlastung des Vorstands, den Bericht der Kassenprüfer etc., das Übliche und für einen Verein Unvermeidliche eben. Der Vorstand konnte allerdings einen besonderen Erfolg seiner Arbeit vermelden: Nachdem die Fotografie bislang nicht im Deutschen Kulturrat vertreten war, wurde insbesondere auf Betreiben der DGPh auch der Deutsche Fotorat als neunte Sektion aufgenommen.
Nach der Mitgliederversammlung war noch Zeit zum Umziehen für die anschließende Abendveranstaltung: Die Foto-Gala der DGPh, die in Potsdam im Museum Barberini stattfand (wenn man mit der Berliner S-Bahn dahin fährt, könnte man Potsdam für einen Vorort Berlins halten, obwohl es doch die Hauptstadt von Brandenburg ist). Den Conferencier gab der Schauspieler Matthias Matschke, bekannt unter anderem aus der heute-show und als Professor T in der deutschen Version der Serie. Matschke wies in seiner Einführung auf eine Gemeinsamkeit der DGPh und der Jesuiten hin: Nur diese beiden Institutionen seien so bedeutend, dass sich ihre Mitglieder deren Kürzel an ihren Namen anhängen, also SJ (für Societas Jesu) beziehungsweise DGPh.
Der Anlass der Foto-Gala war die Verleihung von vier der Preise, die die DGPh jährlich vergibt. Der Bildungspreis ging an die Fotobus Society für ihre innovative Bildungsarbeit von und mit Studierenden der Fotografie. Den Sektionspreis für Wissenschaft, Medizin und Technik teilten sich Prof. Thomas Henning und Ralf Ehrenwinkler für ihre Arbeit an den IR-Kameras des James Webb Weltraumteleskops. Mit dem Dr. Erich Salomon-Preis für Reportagefotografie wurde der polnische Fotograf Rafał Milach ausgezeichnet – dafür spendierte Leica eine mit dem Namen des Preisträgers gravierte Q3. Stehende Ovationen gab es schließlich für das Ehepaar Ute und Werner Mahler, den Mitbegründern der Agentur Ostkreuz, denen der diesjährige Kulturpreis verliehen wurde.
Am Sonntag hatte ich bis zur Rückfahrt nach Hamburg noch viel Zeit und sah mir deshalb die Edvard-Munch-Sonderausstellung Zauber des Nordens (noch bis zum 22. Januar 2024) in der Berlinischen Galerie (Alte Jakobsstraße 124–128) an. Dem Titel zum Trotz ist deren zentrales Thema die Zeit Munchs in Berlin, wo unter anderem der Lebensfries und Porträts Harry Graf Kesslers und Walther Rathenaus entstanden – Rathenau kommentierte damals, das hätte man nun davon, wenn man sich von einem großen Künstler malen ließe: Das Bild würde „ähnlicher als man ist“. Diese Ausstellung wird ab dem 18. November durch die Schwesterausstellung Lebenslandschaft im Potsdamer Museum Barberini ergänzt. Deshalb steht in voraussichtlich drei Wochen schon wieder eine Reise nach Berlin und Potsdam an.
Von der Berlinischen Galerie aus liegt das Jüdische Museum gleich um die Ecke, weshalb ich mir dort noch in die Sonderausstellung Ein anderes Land (bis zum 14. Januar 2024) über jüdisches Leben in der DDR anschaute. Wer ein Ticket für eines der beiden Museen kauft, bekommt das andere günstiger.
Als letzte Station stattete ich noch der Neuen Nationalgalerie einen Besuch ab, die ich nach der grundlegenden Renovierung noch nicht wiedergesehen hatte. Dort ist noch bis zum 27. November die Ausstellung 75/75 anlässlich des 75. Geburtstags von Isa Genzken zu sehen, die 75 ihrer Objekte versammelt und einen Überblick über ihr Lebenswerk gibt.