Mit digitaler Bildbearbeitung und Photoshop hat der großformatige Band zu drei Holzschnitt-Werken Albrecht Dürers zwar garantiert nichts zu tun. Und billig ist er auch nicht gerade. Dennoch möchte Doc Baumann den Kunstinteressierten unter Ihnen diese Neuerscheinung gern vorstellen und empfehlen. Dürer – Ein passendes Weihnachtsgeschenk für alle, die sich für Kunst- und Grafikgeschichte begeistern.
Bücher über Albrecht Dürer und sein Werk sind wahrlich keine Mangelware. Aber dieser Prachtband, herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Anja Grebe, hat es in sich und setzt Maßstäbe. Und das im Wortsinne: 33 x 49 Zentimeter ist er groß. Beeindruckende Buchformate kennen Sie bereits von zwei anderen Bildbänden, die ich Ihnen hier in den letzten Wochen vorgestellt habe: einer zur Geschichte der Fantasy Art, der zweite über die von EC-Comics. Die beiden hatten zudem jeweils knapp 600 Seiten – da kommt der Dürer-Band mit einem Viertel des Umfangs dann doch nicht mit, er hat aber denselben Preis: 150 Euro. Oder schlicht umgerechnet: ein Euro pro Seite. (Für den Gegenwert von zwei Exemplaren habe ich 1974 meinen ersten Gebrauchtwagen erstanden …)
Es bedarf also schon erheblicher Motivation für einen Erwerb – sei es bei Käufer/innen zum eigenen Bedarf, sei es bei Schenkenden; dafür wird dann einiges an Platz unterm geschmückten Bäumchen in Anspruch genommen werden. Ob sich das lohnt, muss jede/r selbst entscheiden. Ein Luxus-Produkt ist es auf jeden Fall. Wenn ich Ihnen das Buch hier dennoch ans Herz lege, dann deswegen, weil es erlaubt, das Werk des Reformations-Grafikers (und Malers) Dürer wirklich angemessen zu würdigen.
Dürer im Detail: Ein paar Worte zur Technik
Denn keiner der anderen verfügbaren – oder früheren – Bände gibt diese Zusammenstellung an Holzschnitten so wieder, dass man sich wirklich ein Bild von den Details machen kann. Hier nun sind sie im Originalformat abgedruckt. Was bei verkleinerter Wiedergabe zu grauen oder gar schwarzen Flächen zusammenläuft, ist hier Strich für Strich zu bewundern – oder genauer: Schnitt für Schnitt. Denn Striche gab es ja nur bei den von Dürer gezeichneten Vorlagen. Beim Holzschnitt, einem Hochdruckverfahren, sind es aber nicht die Striche, die bei der Herstellung bearbeitet werden, sondern ihr negatives Umfeld. Das bedeutet also, dass der Holzschneider seitenverkehrt alles aus der Oberfläche der großen Holzplatte entfernen muss, was im Druck kein Strich werden soll – übrig bleiben hauchdünne, druckende Stege.
Heute geht die Kunstgeschichte davon aus, dass Dürer nicht selbst als Holzschneider tätig war, sondern diese Arbeit Spezialisten überließ. So zeigen seine Grafiken nicht allein seine eigene grafische Meisterschaft, sondern auch die handwerkliche Perfektion seiner Formschneider. Während sich Inhalt und Komposition eines Bildes in der Regel auch in der verkleinerten Darstellung recht gut nachvollziehen lassen, sind die handwerklich-technischen Aspekte an Reproduktionen meist nur näherungsweise einzuschätzen. Bei Gemälden geht das fast nur am Original. Bei Grafiken, insbesondere solchen, die nur aus schwarzer Farbe auf weißem Papier bestehen, ist das anders. Aber auch hier erlaubt die Verkleinerung keinen umfassenden Eindruck.
Und das ist nun das wirklich Besondere an dieser Ausgabe: Die 1:1-Reproduktion ermöglicht es den Betrachtern, diese Einzelheiten genau in Augenschein zu nehmen. Meine besondere Hochachtung der handwerklichen Leistungen macht sich dabei an drei Aspekten fest: Der Herausarbeitung nicht nur gerader, sondern auch geschwungener Linien, meist parallel im Millimeterabstand zueinander verlaufend. Dann die Umsetzung nicht nur solcher „einfachen“ Linien, sondern sogar von Kreuzschraffuren – wobei ja immer zu bedenken ist, dass nicht diese Linien selbst ins Holz geschnitten werden, sondern der sie umgebende Bereich entfernt wird.
Drittens schließlich die Unwiderruflichkeit eines Eingriffs. Uns ist es als Bildbearbeitern ja längst in Fleisch und Blut übergegangen, dass unerwünschte Arbeitsschritte sofort – per „Widerrufen“ oder „Rückgängig“ – oder auch später noch – in Photoshop etwa über das Protokoll, Ebenen, Einstellungsebenen oder Ebenenmasken – ungeschehen gemacht werden können. Bei einem Holzschnitt dagegen darf man sich nicht den kleinsten „Schnitzer“ erlauben; was weg ist, bleibt weg, und kann nicht schnell mal wieder drangeklebt werden.
Wenn Sie eine vage Ahnung davon gewinnen wollen, wie das gemacht worden ist, unternehmen Sie doch mal das folgende Experiment: Legen Sie in Photoshop drei Ebenen an: eine weiße als Hintergrundebene, eine schwarz gefüllte Ebene darüber, ganz oben schließlich eine gescannte Linienzeichnungen als Negativ mit reduzierter Deckkraft. Nun weisen Sie der schwarzen Ebene eine Ebenenmaske zu. (Das Ganze funktioniert nur mit Stift und Grafiktablett, mit der Maus als Werkzeug können Sie das gleich vergessen.)
Nach diesen Vorbereitungen arbeiten Sie nun die Linien der Zeichnung in der Ebenenmaske der mittleren Ebene heraus – aber so, dass Sie dort, wo später das weiße Papier sichtbar werden soll, mit schwarzem Pinsel in der Maske malen. Und bitte nur in einer Ansicht in Originalgröße, zoomen gilt nicht, und ohne den Rückgängig-machen-Befehl zu benutzen. Und jetzt stellen Sie sich noch vor, Ihre gescannte Vorlage enthielte auch Kreuzschraffuren … Ich vermute mal, allein die Beschreibung des Prozesses reicht aus, um Ihnen die Lust an diesem Experiment zu vermiesen.
Zudem lässt sich der Stift des Tabletts viel einfacher führen als die Schneidemesser im harten Holz – ich erinnere mich an viele kleine, V-förmige Wunden und Narben im Zeigefinger der linken Hand, als ich vor vielen Jahrzehnten selbst mal ein paar – vergleichsweise grobe – Linol- und Holzschnitte angefertigt habe. Aber auf diese Weise wurden von der Renaissance bis zum Ende des 19. Jahrhunderts alle Holzschnitte beziehungsweise Holzstiche hergestellt (bei Letzteren sind die Details noch weitaus feiner; die Abbildung unten zeigt den Druckstock eines Holzstichs von Friedrich Hottenroth, den ich mal bei ebay erstanden habe; darunter sein – zum besseren Vergleich gekonterter – Abdruck aus dem zweiten Band der „Illustrierten Geschichte des deutschen Volkes“ von 1873).
Dürer im Detail: Kunstgeschichtliches
Der kunsthistorische Hintergrund der Dürer-Holzschnitte soll hier nicht ganz vergessen werden. Der gerade erschienene Band enthält die drei Bücher „Marienleben“ (20 Bilder, „Große Passion“ (12) und die „Apokalypse“ (15), die alle 1511 bei Hieronymus Höltzel hergestellt wurden. Inhaltlich verknüpft sind sie über die christliche Heilsgeschichte: die Vorgeschichte durch das Leben Marias, die Leidensgeschichte Christi in der Passion, das vollendete Gottesreich in der Apokalypse. Das Buch reproduziert die Grafiken zusammen mit den lateinischen Texten der Originalausgaben – Text links, Bild rechts –, diese stammen von dem Mönch Benedictus Chelidonius, die Apokalypse wird vom Bibeltext begleitet.
Die Einführung berichtet über Dürer und die Entstehung der drei Werke. Der abschließende Teil bringt die deutsche Übersetzung der Begleittexte.
Albrecht Dürer. Die drei großen Bücher: Marienleben · Große Passion · Apokalypse. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Anja Grebe. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2020. 143 Seiten auf starkem Papier, Großformat 33 x 49 cm, Hardcover, Halbleinen, im Schuber, 150 Euro
Hi, habe das Buch „Dürer im Detail“ bei a…. betellt und heute geliefert bekommen. Super Druck – wirklich empfehlenswert und kostet als Normalausgabe (nicht die Edelausgabe) 29,95 € (!!). Ist seinen Preis voll wert.
Hallo Herr Kaiser – es freut mich zwar, dass Sie mit dem Buch „Dürer im Detail“ zufrieden sind. Allerdings ist das ein ganz anderes Buch als das, das ich vorgestellt habe. Wie ich ja schrieb: „Bücher über Albrecht Dürer und sein Werk sind wahrlich keine Mangelware.“ Der Autor ist hier Till-Holger Borchert , und wenn ich mich richtig erinnere, zeigt es auch viele seiner Gemälde. Darauf war ich nicht eingegangen (zumal ich Dürer als Grafiker überzeugender finde als als Maler). Aber, wie gesagt, wenn Sie zufrieden sind, ist doch alles in Ordnung. So oder so viel Spaß – und Erkenntnisse – bei der Lektüre.
Doc Baumann
Hallo Doc Baumann, sie haben natürlich recht. Ich habe mich von der Überschrift ihres Artikel leiten lassen und dann icht sorgfältig weitergelesen. Also sorry für die falsche Einschätzung.
Nix für ungut und eine gesunde schöne Zeit wünscht Ihnen Joachim Kaiser