Don’t push the button!
Kann ein Fotograf ins Gefängnis kommen, nur weil er im falschen Moment auf den Auslöser gedrückt hat? Nicht in China oder Saudi-Arabien wohlgemerkt, sondern in Deutschland? Im Prinzip ja, auch wenn einige Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein solcher Fall eintritt.
Fotografen mussten sich schon immer um die rechtlichen Aspekte ihrer Arbeit oder ihres Zeitvertreibs kümmern. Darin unterscheidet sich die Fotografie von keiner anderen Tätigkeit, denn wer nicht gerade einsam durch die Wüste wandert, muss immer damit rechnen, mit seinem Tun die Rechte anderer zu berühren. Ein Fotograf muss das Recht am Bild abgebildeter Personen beachten, darf nicht ohne weiteres die Besitztümer Dritter fotografieren, sofern das nicht durch die Panoramafreiheit gedeckt ist, und natürlich muss er das Urheberrecht berücksichtigen, wenn er fremdes Bildmaterial für eine Montage nutzen will. Hier stehen meist unterschiedliche Rechte und Ansprüche einander gegenüber, und wenn es hart auf hart kommt, entscheiden Zivilgerichte über solche Streitfälle. Oft endet ein Verfahren in einem Vergleich, aber auch wenn es im Ergebnis teuer werden kann, ist der Unterlegene doch nicht vorbestraft und kommt nicht in Haft. Über diese zivilrechtlichen Aspekte braucht man sich auch erst Gedanken zu machen, wenn man ein Bild veröffentlichen will; wer nur zum eigenen Vergnügen fotografiert oder erst nach einer Sichtung der Aufnahmen entscheidet, was für eine Veröffentlichung infrage kommt, hat erst einmal nichts zu befürchten. All das könnte sich jetzt ändern.
Nach der jüngsten Novellierung des Strafgesetzbuches zum 21.1.2015 stellt der verschärfte § 201a StGB unter bestimmten Bedingungen schon den Akt des Fotografierens unter Strafe, also konkret den Druck auf den Auslöser – bis zu zwei Jahren Gefängnis werden angedroht. Eine geplante oder erfolgte Veröffentlichung ist dazu nicht nötig. Diese Novelle („Neunundvierzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht“) war durch die Edathy-Affäre motiviert, aber die Änderungen und Verschärfungen betreffen keineswegs nur die Herstellung von – wie immer definierter – Kinderpornografie. § 201a, Absatz 1, Nummer 2 des StGB stellt es unter Strafe, wenn man „eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt“. Die unbefugte Herstellung – also auf den Auslöser zu drücken, ohne vorher zu fragen – kann schon ausreichen, um zu einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe verurteilt zu werden. Jedenfalls wenn die Aufnahme „den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt“, was nur sehr vage definiert ist. Macht man die Aufnahme auch einem Dritten zugänglich, genügt es schon, dass das Foto „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“, um sich strafbar zu machen – auch das ein nur vage beschriebener Tatbestand. Zwar wird nur auf Antrag ermittelt, aber im Gegensatz zum Zivilrecht geht der anzeigende Bürger nicht das Risiko eines möglicherweise kostspieligen Rechtsstreits ein; es sind Polizei und Staatsanwaltschaft, die hier ermitteln.
Die neuen Straftatbestände aus § 201a StGB bedrohen insbesondere die Streetfotografie, deren Motive Menschen in der Öffentlichkeit sind – auf Straßen und Plätzen, aber auch im Café, auf dem Bahnhof oder im Flughafen. Streetfotografen fotografieren normalerweise unbemerkt; sie streben nach dem ungestellten Schnappschuss. Im Nachhinein kann der Fotograf um Erlaubnis fragen, die Bilder zu veröffentlichen, aber bereits im Vorfeld zu fragen, liefe seiner Intention zuwider. Es gibt eine große Zahl – auch veröffentlichter – Fotos, die, würden sie heute gemacht, eine Anzeige gemäß § 201a nach sich ziehen könnten. Bilder, die das Elend unschuldig in Not geratener Obdachloser dokumentieren oder die weniger unschuldigen „Bierleichen“ auf dem Oktoberfest zeigen, könnten sicherlich den Tatbestand erfüllen, die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau zu stellen. Manche würden ihr Ansehen bereits erheblich beschädigt sehen, wenn sie in der Nase popelnd abgebildet würden. Gegen eine Straftat spräche es zwar, wenn die Aufnahmen beispielsweise wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken dienen. Man bleibt aber darauf angewiesen, dass das Gericht die Frage, „Ist das Kunst oder kann der Fotograf weggesperrt werden?“, zugunsten des Künstlers beantwortet. Und sollte jemand nur deshalb bestraft werden, weil er, wie die meisten von uns, kein zweiter Henri Cartier-Bresson ist?
Man kann sich natürlich Fälle vorstellen, in denen man einer Verurteilung spontan zustimmen würde – denken Sie etwa an Autofahrer, die angesichts eines Unfalls nicht zu helfen versuchen, sondern die in ihrem Blut liegenden Unfallopfer fotografieren. Auch wenn die Boulevardpresse abgeschreckt würde, solche Bilder zu veröffentlichen, wäre damit etwas gewonnen. Aber § 201a ist ja nicht auf solche Fälle beschränkt.
Nun heißt das nicht, dass die Gefängnisse bald mit Streetfotografen überfüllt sein werden. Deutsche Gerichte neigen generell nicht dazu, das mögliche Strafmaß auszuschöpfen, und auch die Zahl angezeigter Vergehen wird vermutlich gering bleiben. Aber schon wenn einige Streetfotografen am Ende als vorbestraft gelten, wäre die Wirkung für dieses fotografische Genre verheerend. Wer mag sich schon ständig dem Risiko aussetzen, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen oder zumindest mit dem Makel einer Vorstrafe belastet zu sein, nur weil ein Richter einen andere Vorstellung von Kunst hat? Dass Fotografen schon mit den Mitteln des Zivilrechts auf fragwürdige Weise drangsaliert werden können, hat jüngst der Schmerzensgeldprozess gegen den Berliner Fotografen Espen Eichhöfer von der Agentur Ostkreuz gezeigt. Die nun auf der Welle eines Feldzugs gegen Kinderpornografie mit durchgewinkte Verschärfung von § 201a macht es dem Fotografen noch schwerer, auf der Seite des Rechts zu bleiben.
Wenn man die „Entwicklung“ des Rechts verfolgt: Wäre es nicht an logisch und der Zeit, eine Bilderzeugungsgerätebesitzkarte einzuführen – einschließlich eines Speicherkarten- und Filmerwerbscheins und die Anforderungen an deren Erlangung analog zum Waffenrecht auszugestalten?