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Doc Baumann hilft Museum bei jahrhundertelang verschollenem Gemälde

Nach über 300 Jahren ist ein verschollenes Gemälde wieder aufgetaucht, ein Porträt, das Landgraf Carl von Hessen-Kassel im Jahr 1700 in Rom hatte anfertigen lassen. Dass es nun wieder in einem der wichtigsten deutschen Museen betrachtet werden kann, ist auch Doc Baumann zu verdanken, der zur Identifizierung des Bildes beitrug. Heute wurde es in Kassel von Dr. Justus Lange, dem Leiter der Alte-Meister-Abteilung, den Medien vorgestellt.

Der Leiter der Alte-Meister-Abteilung der Museen von Hessen Kassel Heritage, Dr. Justus Lange, präsentierte das jahrundertelang verschollene, von Doc Baumann identifizierte Gemälde von Landgraf Carl von Hessen Kassel heute den Medien.

Die Geschichte begann mit einem Anruf einer Dame, die ich zusammen mit meiner Frau vor ein paar Jahren auf einer Busreise in die Toskana kennengelernt hatte. Sie habe unerwartet von einem Bruder ihrer Mutter ein Haus geerbt und nun auf dem Dachboden ein altes Gemälde gefunden. Ich würde mich mit so was doch auskennen, ob das was wert sei? Nun bin ich zwar Kunstwissenschaftler, aber kein Kunsthistoriker, und für solche Fragen nicht kompetent, aber das Foto, das sie mir dann als Mailanhang schickte und das sie auf dem Dachboden des geerbten Hauses mit ihrem Fund zeigte, interessierte mich nun doch, weil links ein Gebäude zu erkennen war, das das Pantheon in Rom sein könnte. Sie erwähnte, hinten sei ein Zettel befestigt, den könne sie allerdings nicht entziffern.

Frau M. aus Schmalkalden entdeckte das alte Gemälde auf dem Dachboden
ihres kürzlich geerbten Hauses und fragte Doc Baumann um Rat.

Also nutzten wir den Anlass zu einem Wochenendausflug nach Schmalkalden, wo Frau M. wohnt. Sie hatte im frisch geerbten Haus im Wohnzimmer des verstorbenen Onkels bereits Kaffee und Käsekuchen vorbereitet; das Gemälde stand auf einem Stuhl. Zunächst fiel mir der schlechte Erhaltungszustand auf: mehrere Risse, abgeplatzte Farbe, zwei Löcher, stark nachgedunkelter Firnis. Das Gebäude schien tatsächlich das Pantheon zu sein, der Stil Barock, das Porträt des Mannes rechts mit einem Brustharnisch könnte ich zunächst nicht zuordnen.

Auf die Rückseite des Gemäldes war der erwähnte Zettel geklebt, den auch ich nicht ohne weiteres entziffern konnte. Das erste Wort schien „Carolus“ zu heißen (also Karl), eine Jahreszahl „1700“, das vorletzte Wort „Maria“, gefolgt von einem „A“. Sehr viel weiter kam ich nicht. Zu meinem Erstaunen bot mir Frau M. an, ich solle das Gemälde mitnehmen und zu Hause in Ruhe den Zettel entziffern, dann könne man weitersehen.

Ein auf die Rückseite des Gemäldes geklebter, schwer zu entziffernder Zettel ließ das Gemälde
als ein Porträt von Landgraf Carl vermuten.

Gesagt, getan. Ein paar Tage später war ich weiter. Einiges hatte ich entziffert, der Rest ergab sich aus dem Zusammenhang: „Carolus I,, Hass. Landgravius, Hersfeld. Princeps., Catimelib. Dec. Zigenh. Nidd. Et Schaub. Comes, etc, haec effigies anno 1700 Romae a Ioanne Evanescente picta est, e possessione Landgravinae Maria Amalia”.

Das heißt also: Carl I., hessischer Landgraf, dann ein paar Ortsnamen wie Hersfeld, Ziegenhain u.a. Das Gemälde sei 1700 von einem Johannes Evanescente gemalt worden und im Besitz der Landgräfin Maria Amalia. Über diesen Johannes konnte ich nichts finden. Aber ich wusste, dass Landgraf Carl 1700 eine mehrmonatige Reise nach Italien unternommen hatte. Es würde also passen, wenn das Porträt irgendwo dort angefertigt worden wäre.

Schließlich fand ich heraus, dass es ein – inzwischen gedruckt vorliegendes – Reisetagebuch eines seiner Begleiter gab, aufgezeichnet von Johannes B. Klaute: „Diarium Italicum“. Ob sich dort vielleicht ein Hinweis finden ließe?

Also besorgte ich mir das Buch, das wegen der Barock-Sprache und -Orthographie nicht ganz einfach zu lesen ist. Fast hätte ich es aufgegeben, da nichts zu dem Gemälde berichtet wurde, doch gegen Ende, mit dem Eintrag vom 1. März 1700, wurde ich endlich fündig. Die Reisegesellschaft war zunächst in Rom gewesen, dann weitergefahren nach Neapel, und hatte auf dem Rückweg nach Hessen noch einmal in Rom Station gemacht (unter anderem wohl, um das Gemälde abzuholen).

Hier nun der Text von Klaute:

„Nach der Taffel seynd beyde Couriers wiederumb riespediret worden / vnnd habe Ich auf Gnädigsten Befehl den Mahler / mit Nahmen Giovanni Evanescente / welcher seine Wohnung nächst der Hispanischen Stiegen hat / vnnd der bey Serenissimi Hoch=Fürstl. Durchl. erstem Verweilen bey der hinein=Reyse nach Rom allhier Deroselben Bildniß gefertiget / alsobald auffgesuchet / vnnd das vollendete Conterfey abgeholet. Hierbey hat sich ein mercklicher disput erhoben / sintemahlen Seine Hoch=Fürstl. Durchl. sich keinesweegs content zeigeten / vielmehr einen beklagenswerthen defect an Similitude constatiret / vnnd den Vnmuth geäußert / daß der Mahler dem Pantheon des Agrippae / obwohl solches fälschlicher Weise nur mit sieben Columnen dargestellet / mehr Fleiß gewidmet / als dem Antlitz Seiner Hoch=Fürstl. Durchl. Worauff jener repliciret / Er habe für das Conterfey allzu wenig Zeit gehabt / da Seine Hoch=Fürstl. Durchl. gar bälde /vnnd in Eile aufgebrochen. Endlich empfieng selbiger zwey /Drittheile der pactirten Summa. Das Gemählde misset zwey Schuh /drey Zoll in der Breyte vnnd einen Schuh acht Zoll in der Höhe/. Des folgenden Tages ward es wohl verwahret vnnd nach Cassel spediret /  umb Seiner Hoch=Fürstl. Durchl. Hochgeehrten Gemahlinn darmit eine sonderliche Ergötzlichkeit vnnd Hertzens=Freude zu bereiten / wie es der Hohen Fürstlichen Personage geziemend vnnd würdig ist.“

Sofort schlug ich nach, welche Längenmaße 1700 in Hessen-Kassel verwendet worden waren: „Schuh“ (=“„Fuß“) und Zoll. Ich rechnete um: 1 Fuß 4 Zoll ergibt 41,8 cm in der Breite, 1 Fuß 1 Zoll 33,9 cm in der Höhe. Sofort holte ich einen Zollstock (eine hier wirklich passend Bezeichnung) und maß nach: 42 x 34 cm.

Sowohl der aufgeklebte Zettel wie die Tagebucheintragung Klautes lieferten also starke Indizien dafür, dass es sich tatsächlich um ein Porträt von Landgraf Carl handelte.

Am nächsten Tag rief ich Dr. Justus Lange an, den Leiter der Alte-Meister-Abteilung im Kasseler Schloss Wilhelmshöhe der Hessen Kassel Heritage Museen, die zu den führenden Ausstellungorten alter Gemälde in Deutschland zählen. Ich fragte ihn, ob ihm die Existenz eines in Rom gemalten Carl-Porträts bekannt sei. Ohne weiter nachschlagen zu müssen, erklärte er mir: Dieses Gemälde habe es wahrscheinlich gegeben, aber es sei verschollen und lediglich in Klautes Reisetagebuch erwähnt worden, danach verliere sich jede Spur von ihm, daher könne er mir dazu leider nichts weiter sagen.

Als ich andeutete, genau dieses Gemälde stehe gerade vor mir, schlug er sofort vor, es sich anzusehen. Anderthalb Stunden später klingelte es an der Tür, und zehn Minuten später war klar: Hier handelte es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um das über 300 Jahre verschollene Gemälde.

Über die folgenden Verhandlungen möchte ich nichts weiter schreiben; das Ergebnis: Frau M. stellt das Gemälde dem Kasseler Museum als Leihgabe zur Verfügung. Heute Vormittag gab es nun eine Pressekonferenz im Museum, bei der das Bild (das in den kommenden Monaten zunächst restauriert werden soll) zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Alle freuten sich, dass der „Carl“ nach der langen Zeit seinen Weg zurück an seine alte Wirkungsstätte gefunden hat, über der das von ihm errichtete gewaltige Herkules-Monument thront – ebenfalls von einem Architekten aus Rom entworfen. Die Statue des Herkules Farnese auf seiner Spitze war, wie ich Klautes Reisetagebuch entnehmen konnte, das Erste, was er sich gleich am Tag seiner Ankunft in Rom angesehen hatte. Und ich konnte mich freuen, dass ich zu dieser Heimkehr einen kleinen Teil hatte beitragen können.

Dr. Justus Lange verliest den Text aus dem Reisetagebuch von Johannes B. Klaute aus dem Jahr 1700, der zur weiteren identifizierung des Gemäldes beitrug.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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6 Kommentare

      1. A – Üblicherweise schreiben Sie Ihre Beiträge in der Ich-Form, hier „… ist auch Doc Baumann zu verdanken …“
        B – Das Bild mit Frau M. im Mailanhang: KI, nicht schlecht gemacht, aber sicher nicht fotografiert auf einem realen Dachboden
        C – Beim weiteren Lesen kam ich ins Schmunzeln – und das schaffen bei mir nicht viele
        D – Der Humor dahinter könnte zu Ihnen passen
        Heute habe ich nach Ihrer Antwort noch mal recherchiert und nirgendwo eine weitere Erwähnung dieses kulturhistorichen Meilensteins gefunden.
        Ich bleib erst mal dabei: Ein guter Aprilscherz!

          1. Nein, den Johannes B. Klaute gab es als Reisebegleiter Landgraf Carls tatsächlich und sein „Diarium Italicum“ ebenfalls, an dessen Stil und Orthographie ich mich orieniert habe. Zur Auflösung des Malernamens steht einiges in dem Presseausriss, den ich heute gepostet habe – der „sich-Verflüchtigende“.

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