Digitale Wiedergeburt
35 Jahre ist es her, seit „Blade Runner“ in die Kinos kam. Die gerade angelaufende Fortsetzung „Blade Runner 2049“ wurde von Liebhabern des ersten Films – wie etwa Doc Baumann – mit Spannung erwartet. Detective Deckart/Harrison Ford durfte in der Zwischenzeit angemessen altern. Doch die Replikantin Rachael/Sean Young musste als Neuerschaffung nach alten Blaupausen durch eine digitale Wiedergeburt dargestellt werden. Wie überzeugend ist die CGI-Wiederauferstehung gelungen?
Keine Angst, vom Inhalt des Films werde ich hier nichts verraten. Ich will Ihnen ja nicht die Spannung verderben. Nur so viel sei vorweggenommen: Es gibt wieder einen Blade Runner, einen Replikanten-Jäger also, und irgendwann nimmt der Kontakt zu seinem pensionierten Kollegen Deckard auf, der wie 1982 von Harrison Ford gespielt wird.
Im Laufe der Handlung bietet der neue Replikanten-Hersteller Niander Wallace die neuerschaffene Rachael Deckard als eine Art Tauschobjekt an. Und da er sie für diesen Zweck extra neu erschaffen lässt, ist sie natürlich so schön und perfekt, wie sie es bereits 1982 war (oder im Rahmen der Filmzeit: 2019).
Da die Handlung des Films 30 Jahre nach der des ersten Films angesiedelt ist (also 2049), darf Harrison Ford in Ehren ergraut auftreten (wie übrigens auch Edward James Olmos als sein Kollege Gaff). Sean Young (welch anspielungsreicher Name in diesem Zusammenhang!) arbeitet ebenfalls noch als Schauspielerin – aber mit Ende Fünfzig würde man ihr selbst mit den besten Visagistinnen kaum die nun wieder nötigen Anfang Zwanzig abnehmen.
Digitale Wiedergeburt oder aufbereitetes Filmmaterial?
In den Szenen, die Rachael zeigen, blickte ich also mit besonderem Interesse auf die Leinwand. (Übrigens zum ersten Mal aus einem D-Box-Sessel – meine persönliche Einschätzung: bei manchen Action-Szenen ganz nett, aber nicht die sieben Euro Zusatzkosten wert.) Ich hatte vorher extra nicht im Web recherchiert, um mir die Spannung nicht nehmen zu lassen. Und dann trat Rachael aus der Dunkelheit, zunächst nur als Silhouette zu erkennen, aber in ihren anmutigen Bewegungen unverkennbar die Replikantin von damals. Und schließlich schob sich auch ihr Gesicht ins Licht …
Ja, da ist Rachael, ganz ohne Zweifel. Wie haben die das gemacht? Eigentlich gibt es nur drei Möglichkeiten: Ein perfektes Double, aus Tausenden von Bewerberinnen ausgewählt, die Verwendung alten, vielleicht ungenutzten Filmmaterials von 1982 – oder die digitale Wiedergeburt dank CGI. Gegen die erste Möglichkeit spricht die Wahrscheinlichkeit, gegen die zweite die 3D-Tiefe, aber vielleicht lässt sich so etwas da inzwischen irgendwie berechnen. Und CGI? Nun, nach „Avatar“ und all den digitalen Effekten, ohne die viele Filme heute nicht mehr auskommen, sollte das ja eigentlich kein Problem sein.
Nicht die erste digitale Wiedergeburt
Mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, nicht verfügbare Darsteller digital auferstehen zu lassen, gab es ja schön früher. Bereits im Jahr 2000 musste Ridley Scott – auch Regisseur des ersten Blade Runners – eine solche Lücke schließen: Oliver Reed, der in „Gladiator“ einen Schaukampf-Promotor darstellte, starb während der Dreharbeiten an einem Herzinfarkt, noch bevor alle mit ihm geplanten Szenen gedreht worden waren. Damals verwendete Scott eine Mischung aus CGI und bereits fertigen Aufnahmen, um die noch fehlenden zu realisieren.
Auch im neuen „Star Wars – Rogue One“ erleben die verstorbenen Schauspieler Peter Cushing und Carrie Fisher ihre digitale Wiedergeburt. Die Meinungen dazu sind uneinheitlich: Manche finden das Ergebnis gelungen, andere nicht. (Ich selbst habe nur die entsprechenden Szenen auf YouTube gesehen und fand sie recht ordentlich.)
Rachael aus der Retorte
Denis Villeneuve, der Regisseur von „Blade Runner 2049“ dagegen war entsetzt, als er die Wiederbelebten Carrie Fisher und Peter Cushing auf der Leinwand sah. Zu diesem Zeitpunkt hatte eine auf Digitaleffekte spezialisierte Firma bereits ein Jahr lang an Rachaels character gearbeitet. Nun wurde einiges wieder über den Haufen geworfen und die Digital Artists widmeten sich mit neuer Anstrengung dem Projekt.
Als ich Rachaels Gesicht nun aus der Dunkelheit auftauchen sah, war ich fasziniert (wenn mich auch das technische Interesse leider für kurze Zeit aus der Filmhandlung riss). Falls ich einen Hauch von Künstlichkeit gesehen haben sollte, dann nur deshalb, weil ich dieser Szene entgegengefiebert und meine ganze Aufmerksamkeit auf dieses Gesicht zentriert hatte. Falls!
Rachaels digitale Wiedergeburt ist also zweifellos gelungen – und als ich mich im Web über den CGI-Hintergrund kundig gemacht hatte, musste ich feststellen, dass ich mir das Ganze deutlich einfacher vorgestellt hatte.
„Wäre ich ein Mitglied der Schauspieler-Gewerkschaft, würde ich mir jedenfalls keine Sorgen machen, weil es so kompliziert ist“, sagt Villeneuve zum Ersatz realer Menschen durch – nein, nicht Replikanten, sondern digitale Leinwand-Klone. Es ist wohl doch etwas anderes, Riesenmonster zu erschaffen oder ganze Städte und Planeten in Schutt und Asche zu legen, als als bestimmtes Gesicht so überzeugend per CGI zum Leben zu erwecken, dass die Zuschauer den Unterschied nicht merken.
Wobei die digitale Wiedergeburt von Rachaels Gesicht übrigen nur ein Aspekt der Sache ist: Es dauerte ebenfalls sehr lange, bis die richtige Stimme für sie gefunden war, und die echte Sean Young trainierte eine junge Kollegin, die ihr hinsichtlich Größe, Figur und Motorik weitgehend glich, bis sie jenen eleganten Gang der Androidin gelernt hatte.