Die Sonnen-, Gegenlicht- oder Streulichtblende
Zum Abschluss meiner Trilogie über Blenden in und am Objektiv komme ich nun noch einmal auf die Streulichtblende zurück, mit der der erste Teil begonnen hatte. Wozu dient sie, warum kann man nicht auf sie verzichten, und welcher ihrer zahlreichen Namen bezeichnet sie am treffendsten?
Sind heutzutage immer noch Fotografen ohne Streulichtblende auf ihren Objektiven unterwegs? Und wohlgemerkt: Es bringt nichts, sie verkehrt herum aufzusetzen – so etwas mag als modisches Statement durchgehen, wie eine verkehrt herum getragene Baseball Cap, aber für die Fotos, die man damit macht, tut es nichts.
Das Problem, das eine Streulichtblende lösen soll, ist einfach beschrieben: Es geht viel mehr Licht in ein Objektiv hinein, als am Ende auf dem Sensor landet, um dort ein Bild zu erzeugen. Das überschüssige Licht verschwindet aber nicht einfach, sondern seine Energie wird zu einem Teil in Wärme umgewandelt und endet zum anderen Teil dann doch als Streulicht auf dem Sensor, wo es nichts verloren hat. Das gilt es zu verhindern, wobei die Erwärmung des Objektivs das deutlich geringere Problem ist.
Das Objektiv erzeugt ein kreisrundes Bild, aus dem der Sensor einen rechteckigen (und seltener quadratischen) Ausschnitt erfasst. Der Bildkreis muss etwas größer als die Sensordiagonale sein, denn zum Rand des Kreises fällt die Helligkeit ab, und das Bild soll ja bis in die Ecken gut ausgeleuchtet sein. Es gelangt also mehr Licht in die Kamera, als für das Bild auf dem Sensor nötig ist; bei einem Seitenverhältnis von 3:2 sind mindestens 41 Prozent des Lichts überschüssig. Ist der Bildkreis besonders groß – etwa bei manchen Teleobjektiven oder adaptierten Objektiven, die für ein größeres Bildformat gerechnet sind –, sind es auch noch mehr.
Idealerweise wird der Überschuss von einer schwarz mattierten Oberfläche absorbiert, das Licht also in Wärme umgewandelt. Da aber keine Absorption vollständig ist, wird ein Teil diffus reflektiert, vagabundiert als Streulicht durch das Objektiv und kann, von den Linsenoberflächen reflektiert, auf dem Sensor landen. Unter der Überlagerung des scharfen Bildes mit dem Schleier dieses Streulichts leidet dann der Kontrast ebenso wie die Farbsättigung.
Aber das ist noch lange nicht alles, denn auf die Frontlinse des Objektivs fällt Licht aus einem weit größeren Winkelbereich als dem, das im Bildkreis abgebildet wird. Schauen Sie sich einmal ein Objektiv von vorne an und drehen Sie es zur Seite: So lange Sie noch wenigstens einen Teil der Frontlinse sehen, kann Licht aus dieser Richtung das Glas erreichen und wird dann möglicherweise in das Objektiv hinein gebrochen. Meist kommt es nicht weit und trifft gleich hinter der Frontlinse auf die Innenseite des Tubus, aber abhängig vom Winkel kann es auch weitere Linsen passieren und endet erst weiter hinten am Tubus, einer Linsenfassung oder (falls man abgeblendet hat) einer Blendenlamelle. Auch dieses Licht kann nicht vollständig absorbiert werden und ein Teil davon wird als störendes Streulicht reflektiert.
Nun könnte man denken, dass Objektive mit einer so großen Anfälligkeit für Streulicht doch fehlkonstruiert seien. Warum baut man sie überhaupt mit einem runden Querschnitt, wenn am Ende doch nur ein rechteckiger Ausschnitt des Bildkreises benötigt wird? Wären rechteckige Objektive nicht die Lösung der Streulichtprobleme? Aber diese Überlegung beruht auf einem Denkfehler. Verfolgt man das Licht von einem Punkt auf dem Sensor zurück durch das Objektiv, so sieht man, dass das Bündel von Lichtstrahlen einen runden Querschnitt hat und wo immer möglich die gesamte Fläche der Linsen nutzt. Würde man diese auf ein Rechteck beschneiden und damit verkleinern, so gäbe es am Ende tatsächlich weniger Streulicht – aber nur deshalb, weil alles Licht reduziert würde. Ein rechteckiges Objektiv wäre schlicht weniger lichtstark. Der Anteil des Streulichts bliebe derselbe, so dass nichts gewonnen wäre. Außerdem wären die Unschärfe„kreise“ dann ebenfalls rechteckig, was ein eher unschönes Bokeh ergäbe.
Immerhin könnte man hinter der Rücklinse des Objektivs eine rechteckige Maske anbringen. Aufgrund der typischerweise kurzen Schnittweite (dem Abstand zwischen Rücklinse und Sensor) bei spiegellosen Kamerasystemen stünde dafür allerdings wenig Platz zur Verfügung. Das Problem würde auch nur verlagert, denn ob überschüssiges Licht von dieser Maske oder, wenige Millimeter dahinter, in der Kamera absorbiert wird, macht keinen wesentlichen Unterschied.
Da sich Streulicht also nicht durch die Bauweise des Objektivs verhindern lässt, bleibt nur eines: Man muss das Licht, das im Objektiv zu Streulicht wird, mit einer davor angebrachten Streulichtblende daran hindern, überhaupt hinein zu gelangen.
Die Bezeichnungen Gegenlichtblende und Sonnenblende führen daher in die Irre, denn das Licht, das die Blende fernhält, hat keinerlei Besonderheit. Es ist von derselben Art wie jenes Licht, das sie ungehindert hindurch lässt, kommt aber aus Bereichen außerhalb des Bildfelds und ist daher unerwünscht. Streulichtverhinderungsblende würde ihre Aufgabe am besten beschreiben, wäre aber allzu unhandlich; Streulichtblende trifft es daher am besten. Man darf nur nicht vergessen, dass die Blende kein Streulicht zurückhält, sondern vielmehr verhindert, dass es überhaupt erst entsteht. (Direktes Gegenlicht von der Sonne oder einer künstlichen Lichtquelle erzeugt übrigens seine eigenen Probleme, darunter Reihen oft bunter Blendenflecke – von Filmregisseuren schon länger auch als Stilmittel genutzt – sowie Geisterbilder, aber das ist ein anderes Thema und eine Blende vor dem Objektiv könnte dagegen ohnehin nichts ausrichten. Vielleicht werde ich in einem künftigen Blog-Artikel noch darauf eingehen.)
Nachdem der Name geklärt ist, bleibt die Frage, wie eine optimale Streulichtblende konstruiert sein sollte. Die einfachsten Varianten sind schlicht rund und lassen damit das Licht aus dem gesamten Bereich hindurch, der im Bildkreis abgebildet wird – auch Licht, das am Ende links oder rechts und vor allem über oder unter dem Sensor in der Kamera landet. Dafür sitzt eine runde Blende in jeder Position richtig und kann deshalb in das Filtergewinde geschraubt werden. Meine allererste, vor einigen Jahrzehnten erworbene Streulichtblende war von diesem Typ und bestand aus Gummi; durch Umklappen des Gummitubus konnte man sie an zwei verschiedene Brennweiten anpassen.
Um ausschließlich den Sensor zu belichten, müsste das Licht auf einen rechteckigen Ausschnitt beschränkt werden, etwa indem man der Blende einen rechteckigen statt runden Querschnitt gibt. Dabei kommt es auf die präzise Ausrichtung an, denn sitzt sie schief, entsteht eine Vignettierung in den Bildecken. Am leichtesten lässt sich die richtige Lage gewährleisten, wenn die Blende mit einem Bajonett am Objektiv fixiert wird, und dieser Art sind die meisten von den Objektivherstellern mitgelieferten Blenden. Meist sehen sie allerdings gar nicht rechteckig aus, denn als Alternative gibt es die sogenannte Tulpenform: Der Querschnitt so konstruierter Blenden ist zwar kreisrund, nur sind sie links und rechts sowie vor allem oben und unten deutlich länger als in den Ecken; diese verlängerten Teile erinnern an die Blütenblätter einer Tulpe. Aus der Perspektive des Objektivs erscheint der Rand der Blende dann annähernd rechteckig. Die Wirkung ist ähnlich wie bei einer tatsächlich rechteckigen Bauform, aber aufgrund des stellenweise verlängerten Tubus benötigt eine solche Blende mehr Platz.
Ein Spezialfall der rechteckigen Blende ist ein an unterschiedliche Bildwinkel anpassbares Kompendium, entweder mit einem Balgen oder mit vier verstellbaren Klappen (french flags), wie man sie auch von Scheinwerfern kennt. Solche relativ aufwendigen Konstruktionen findet man vor allem im Videobereich, aber auch an Fachkameras – für diese oft mit zusätzlichen Freiheitsgraden für die Fälle, in denen man die Schärfenebene kippt oder den Bildwinkel durch Verschieben des Objektivs ändert.
Die kompakteste Konstruktion besteht aus einem relativ kurzen, schlanken Tubus, an dessen Ende nur ein rundes oder rechteckiges Fenster Licht hindurch lässt. Damit lässt sich der Objektivdeckel allerdings nicht mehr aufsetzen, ohne die Blende vorher abzunehmen, weshalb üblicherweise ein passender Deckel mitgeliefert wird – freilich kann man oft auch ganz darauf verzichten, weil die Streulichtblende alleine schon genug Schutz bietet. Die Verwendung von Filtern vor dem Objektiv wird schwierig bis unmöglich; selbst wenn das Filter unter der Blende noch Platz fände, ließe sich ein Polfilter oder ein variables ND-Filter nicht mehr drehen und daher nicht mehr sinnvoll einsetzen. Das ist allerdings auch bei den übrigen Bauformen nicht unproblematisch, weshalb die Hersteller teilweise eine mit einem Deckel verschließbare Öffnung am Rand vorsehen, durch die man das Filter – mit etwas Mühe – drehen kann.
Obwohl die schlicht runden Streulichtblenden keine maximale Wirksamkeit haben, sieht man sie oft an Teleobjektiven mit sehr langen Brennweiten. Solche Objektive haben einen Bildwinkel von nur wenigen Grad, so dass mehr als 90 Prozent des auf die ungeschützte Frontlinse fallenden Lichts aus Bereichen jenseits des Bildkreises stammen. Schon eine runde Blende kann also den allergrößten Teil des störenden Lichts eliminieren und eine engere Formgebung würde dem nur wenig hinzufügen. Zudem müsste eine tulpenförmige Blende dann unhandlich lang werden. So haben alle Bauformen ihre jeweils eigenen Vor- und Nachteile, und man kommt nicht umhin, einen Kompromiss zu akzeptieren.
Dies ist Teil 3 einer Serie; alle Teile finden Sie unter:
- Blende vs. Blende
- Zentralverschluss vs. Blende
- Die Sonnen-, Gegenlicht- oder Streulichtblende (dieser Beitrag)
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