Die Photoshop-Killer kommen!
Hallo in die Runde! Olaf hier.
Die Photoshop-Killer kommen!
Den Eindruck könnte man jedenfalls erhalten, wenn man dieser Tage die Social-News verfolgt hat und dabei über Seiten wie etwa diese http://www.webdesignerdepot.com/2015/02/affinity-releases-a-free-for-now-photoshop-killer/ stolpert. Diese Nachricht wurde ziemlich gehypt und sehr oft geteilt, in Videos besprochen und getwittert.
Etwas objektiver geht es da schon auf dieser Seite zur Sache http://t3n.de/news/photoshop-alternative-erreicht-593546/ auf der von einer Alternative die Rede ist. Es geht um die neue Software Affinity Photo der Softwarefirma Serif. Die Firma ist – den Rezensionen zufolge – mit dem Vektorprogramm Affinity Design bereits ein großer Wurf gelungen. Entsprechend hoch sind nun die Erwartungen.
Aber schauen wir uns das mal kritisch etwas genauer an.
Was ist überhaupt eine Alternative?
Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden: Eine Alternative im Softwarebereich ist ein Programm, das man anstelle eines anderen für seine eigenen Zwecke einsetzen kann, ohne dabei spürbare (!) Abstriche in beispielsweise den folgenden Punkten zu machen:
- Qualität
- Workflow
- Performance/Stabilität
- Funktionen
- Flexibilität
Und nun liegt es in der Natur der Dinge, dass jedes Bildbearbeitungsprogramm immer wieder am Platzhirschen Photoshop gemessen wird. Dass dies eigentlich unsinnig ist, zeigt schon, dass es vielen Menschen völlig ausreicht, in Instagram einen Filter über ein Knipsbildchen (meist ein Selfie) zu legen – und viele viele andere finden das dann auch tatsächlich cool. Aber niemand käme auf die Idee, Instagram als Photoshop-Killer – oder gar das Ende der Fotografie – zu bezeichnen! Komischerweise ist das bei Bildbearbeitungsprogrammen anders. Dabei geht es auch bei diesen nur um drei Dinge:
- Den Anwendungsbereich: Wem das JPEG aus der Kamera oder gar dem Smartphone reicht, braucht keine ausgefeilten Photoshop-Funktionen, High-End-Raw-Konvertierung, Lab und Auto-Exportfeatures. Der braucht aber auch kein Affinity Photo. Wer nur Fotos optimieren möchte, braucht keine ausgefeilte Pinsel-Engine wie Photoshop oder Corel-Painter – aber Konzeptkünstler dagegen schon. 3D-Effekte … Vektor-Anwendungen … HDR … Panoramen … Stapelmodi … Tiefenstacking … gibt es alles in Photoshop. Zwar gibt es für jeden Anwendungsbereich natürlich Spezialprogramme – aber als Gesamtpaket deckt Photoshop die meisten Anwendungen oft sehr gut und sehr komfortabel ab.
- Den Anspruch: Wir Menschen sind alle unterschiedlich genügsam. Dem einen macht es gar nichts aus, wenn er für jeden Filter immer wieder durch verschachtelte Menü klicken muss, der nächste (ich zum Beispiel) ist schon irritiert, wenn man ein Tastaturkürzel mit nur ein wenig Verzögerung ausgelöst wird. Ebenso ist es bei der Qualität der Raw-Entwicklung, der eine guckt genau hin, der andere nicht so sehr und ein Dritter hat es sich vielleicht zur Lebensaufgabe gemacht, auch bei 300%-Ansichtsgröße noch die optimale Pixelauflösung aus den Raws herauszukitzeln. Ansprüche sind verschieden – und das ist gut so. Und wiederum muss man Photoshop zugestehen, dass es in den oben genannten fünf Punkten ganz vorne mitspielt, und nicht – wie man es von einem Allrounder erwarten würde – nur im Mittelfeld.
- Das Preis-Leistungs-Verhältnis: Aktuell kommt meiner Meinung nach keine andere Software an das der Photoshop/Lightroom-Kombination im Foto-Abo (ca. 12 €/Monat) heran – der Wermutstropfen daran ist vor allem Kopfsache, denn man kauft die Software nicht, sondern mietet sie. Das ist wahrscheinlich der Hauptgrund auf der Suche nach einer legalen Alternative zu Photoshop … Früher war es eben der abschreckend hohe Kaufpreis.
All diese Aspekte muss man in Betracht ziehen, wenn man Software vergleicht. Nur weil für mich aktuell Photoshop aktuell das Nonplusultra am Markt ist, heißt das auf keinen Fall, dass dies für jeden gilt! Digitalmaler finden in anderen Softwares (Corel Painter, Art Rage und Co.) noch mehr Pinselstrich-Variation und realistischere Oberflächentechniken, für Designer ist Illustrator und Fireworks (letzteres: Entwicklung leider eingestellt) besser geeignet und ein Einsteiger kommt mit Photoshop Elements und seinen praktischen – aber für den fortgeschrittenen Anwender total nervenden – Assistenten und Modi einfacher und schneller zu besseren Ergebnissen als mit Photoshop.
Killerstatus: Ja! WENN …
Also wenn ich die Verwendung von Photoshop in vielen Youtube-Tutorials als Maßstab ansetze: Ja, dann könnte es ein Killer sein – aber da würde oft auch GIMP als Photoshopkiller völlig ausreichen. Denn selbst bei Verwendung der neuesten Photoshopversion haben erstaunlich viele Anwender noch nie etwas von Einstellungsebenen, Vektorebenen, nichtdestruktivem Vorgehen und dergleichen gehört und die ganze Macht der Pinselengine wird auch gern ignoriert.
Das bedeutet nicht, dass diese Leute keinen grenzgenialen Bilder erschaffen können! Das auf keinen Fall. – Sie nutzen nur nicht das Potential der von Ihnen verwendeten Software (=Photoshop) voll aus!
Fazit: Wenn man die neueste Photoshop-Version immer noch so einsetzt wie Photoshop 3 (als die Ebenen erfunden wurden) dann braucht man Photoshop heutzutage nicht mehr – und auch kein Affinity Photo! Das von damals beherrscht mittlerweile jedes Programm.
Killerstatus generell: Nein, Affinity Photo ist kein Photoshopkiller!
Aber wie sieht es anspruchsvoller Sicht mit einem umfangreichen Anwendungsbereich aus (siehe oben)? Im Folgenden möchte ich nur eine lose Liste von negativen und positiven Punkten geben, die mir beim Testen aufgefallen sind (die zahlreichen Bugs will ich gar nicht erwähnen – es ist halt eine Betaversion):
Affinity Photo bietet – anders als die meisten Hobby-Programme auch CMYK– und Lab-Unterstützung – zudem sind sämtliche Funktionen auch in 16 Bit verfügbar. Das ist doch schon mal etwas. Vom Umfang her stehen jedoch nur ein Bruchteil der Filter von Photoshop zur Verfügung (übrigens gibt es keinen von den Filtern, die in Photoshop ausschließlich nur in 8 Bit funktionieren). Affinity Photo basiert hierbei auf den Core Image-Funktionen von Apple. Der geplante Transfer in die Windowswelt wird deshalb wohl noch etwas auf sich warten lassen.
Positiv ist, dass der Perlin-Noise-Filter mehr Optionen als der antike „Wolken“-Filter in Photoshop bietet. Beides ist gegenüber einer zeitgemäßen und aus 3D-Programmen bekannten „Noise“-Engine aber immer noch sehr eingeschränkt.
Affinity Photo soll schneller als Photoshop sein. Also auf den Programmstart, das Laden und Anzeigen von Dateien und die Raw-Bearbeitung trifft das schon einmal nicht zu. Photoshop CC2014 startet ca. 1 Sekunde schneller als AP.
Übrigens, nichts von den im Affintiy-Photo-Trailer gezeigten Funktionen ist in Photoshop unmöglich, langsamer oder komplizierter – im Gegenteil! Vieles ist in der Affinity-App deutlich unintuiver und hakeliger (ich schieb das mal auf den Beta-Status!). Bitte nicht falsch verstehen: Diese – übrigens nur für den Mac erhältliche – Software macht auf mich einen wirklich guten und durchdachten Eindruck! Manches ist in den Menüs sogar intuitiver sortiert als in Photoshop. Die Programmgröße ist dank aktuellem Code ohne 25 Jahre Ballast schön klein, und die Oberfläche ist schick, schnell und unterstützt – anders als Photoshop – sämtliche Mac OS-Funktionen (Vollbild & Co.). Interessanterweise beherrscht Affinity aber die grundlegendste Funktion nicht: Drag & Drop einer Datei auf das Dock-Symbol …
Shortcuts sind nah an den Photoshop-Vorbildern orientiert, so dass man sich da oft nicht umgewöhnen muss. Es gibt jedoch keinerlei Kontext-Menüs (Rechtsklick!) – das verlangsamt die Bedienung, weil man sich dann eben doch durch Menüs hangeln muss. Die ganze Bedienung basiert noch auf modalen Dialogfeldern und Slidern, die man aufrufen und bestätigen muss – dabei sucht man oft die Schaltfläche, auf die man klicken muss. Die Scrubby-Sliders von Photoshop fehlen mir aber nicht nur in Affinity Photo sondern auch in Adobe Software wie InDesign und Illustrator, die sich allein schon deshalb extrem hakelig anfühlen …
Manche Ideen würde ich gern in Photoshop sehen. So gibt es mehrere Masken pro Ebene statt dem dafür in Photoshop notwendigen Gruppengewurschtel (ich hab es jedoch partout nicht hinbekommen, die Masken auch als Bild einzublenden und zu bearbeiten; geht aktuell anscheinend nicht). Es gibt sehr schöne Auto-Optionen per Assistant – z.B. was passieren soll, wenn man mit einem Pinsel auf einer Vektorebene malt und ähnliches).
Aber letzten Endes fehlt es für den anspruchsvollen Anwender an jeder Ecke und Kante an Funktionen oder/und Qualität (Raw … Korrekturen … Malen … Ebenen … Design etc.) – der ganze Workflow braucht für jede Anpassung spürbar mehr Klicks als in Photoshop. Der Rawkonverter hält einem Vergleich mit Camera Raw nicht stand. Er setzt vermutlich auf dem Mac OS-X-Rawkonverter auf, der auch schon Aperture zugrunde lag und gerade in der Qualität der Tiefen/Lichter-Rettung im Vergleich zu Camera Raw/Lightroom und anderen Raw-Konvertern nicht gerade glänzen konnte (auch die Tiefen/Lichter-Korrektur nach der Raw-Konvertierung fällt extrem gegenüber der von Photoshop ähnlich deutlich sichtbar ab). Hier nur mal ein Beispiel bei der ich versucht habe in Lightroom bzw. Affinitiy Photo den Dynamikumfang des Fotos zu nutzen. In Lightroom habe ich prinzipiell nur die Lichter abgedunkelt mit diesem Ergebnis:
In Affintiy Photo gestaltet sich dasselbe sehr schwierig. Zum einen lässt sich der Weißabgleich nur sehr rudimentär festlegen, zum anderen wird das Bild sehr dunkel gerendert, zeitgleich wirken die Lichter dennoch zeichnungslos. Sicher lässt sich das Bild (wie auch in Lightroom) besser abstimmen, aber ich habe schlicht die Lust verloren, weil es mir partout nicht gelingen wollte, sowohl den Himmel als als auch den Boden ähnlich detailliert und artefaktfrei wie in Lightroom hinzubekommen:
Na mal schauen, wie es sich weiter entwickelt – etwas Konkurrenz für Adobe kann definitiv nicht schaden und könnte die Entwicklung beleben. Aktuell wird es aber auch schon daran scheitern, dass es nur eine Macversion gibt.
Die – auf deutsch verfügbare – Betaversion gibt es aktuell kostenlos. Also testet doch mal selbst. Denn zu den Pinsel- und Vektormöglichkeiten habe ich ja noch gar nichts geschrieben! 😉 Eure Meinung?
Beste Grüße,
Eurer Olaf Giermann