Eindrucksvolle Fotobände über die Weltraum-Missionen der NASA gibt es viele. Der Band mit dem Titel „Die Eroberung des Weltalls“ präsentiert als „legendäre Bilder“ aber keine dieser Fotografien, sondern atemberaubende Illustrationen – teils von seinerzeit aktuellen Projekten, teils von zukünftig geplanten. Doc Baumann hat sich den Band für Sie angesehen und empfiehlt ihn als Weihnachtsgeschenk für Grafik- und Weltraumbegeisterte.
„An Anfang steht der Traum“. So ist das einleitende Kapitel dieses Buches überschrieben. Dort findet sich auch der schöne Satz: „Bei jedem großen Raketenstart dokumentieren mehr als 200 Kameras jeden Sekundenbruchteil des Ereignisses, aber die Kamera sieht alles und versteht nichts. Der emotionale Eindruck, die Interpretation und die verborgene Bedeutung dieser Ereignisse finden erst in der Vision des Künstlers zueinander.“
Zitiert wird das ihm Rahmen einer Einladung von 1962, ausgesprochen vom damaligen NASA-Chef James Webb und Hereward Cooke von der National Gallery of Art in Washington an prominente Künstler.
Manche Träume werden wahr – andere nicht (so schnell). Alles, was mit dem Weltall zu tun hatte, war in den 50er Jahren zunächst Science Fiction, vom Blick durchs Teleskop abgesehen. Die doppelseitige Illustration unten, damals von Boeing in Auftrag gegeben, kommentiert der Autor: „1954 prophezeiten die Experten, dass wir Anfang des 21. Jahrhunderts erdnahe Weltraumstationen bauen und zum Mond fliegen würden. Keiner hätte gedacht, dass die ersten Menschen bereits sieben Jahre später ins All vordrangen.“
Dann kam der Sputnik-Schock, die Russen schossen den ersten Satelliten in eine Umlaufbahn, später den ersten Menschen. Die USA setzten alles daran, mit einer gewaltigen Anstrengung erst auf-, dann zu überholen. Mercury-Programm, Apollo-Programm, Mondumrundung, schließlich 1969 die erste Landung auf dem Mond. Später die Entsendung von Robotersonden zu den anderen Planeten des Sonnensystems und weit über dessen Grenzen hinaus. Die gewaltigen Kosten dafür mussten den amerikanischen Steuerzahlern schmackhaft gemacht werden. Fotografierte Bilder davon, was dereinst sein würde, gab es ja noch nicht. Also mussten die Illustratoren ran und sie erschaffen.
Wie der Autor Piers Bizony im Vorwort berichtet, war es gar nicht so einfach, diese frühen Bilder aufzutreiben. Die Originale waren oft längst im Abfall gelandet, Drucke von damals hatten selten die Qualität, um sie in großen Formaten heute präsentieren zu können. So ist diese Zusammenstellung auch das Ergebnis einer langen Suche nach passendem Material. Und man darf sagen: Es hat sich gelohnt. Knapp 200 Illustrationen hat Bizony zusammengestellt.
Das war Propaganda – aber eine, die man sich heute gern wieder anschaut. Mag sein, dass ich dabei zu sehr von mir selbst ausgehe. Ich erinnere mich, solche Abbildungen bereits in meiner Schulzeit begeistert angeschaut zu haben. Einer meiner Klassenkameraden bezog das populärwissenschaftliche Magazin „Hobby“ und ließ mich immer mal wieder darin blättern, ein anderer bekam von seinen Eltern in jedem Jahr einen dicken Band von „Das neue Universum“ geschenkt und ließ mich die ausklappbaren, in Farbe gedruckten Weltraumbilder mit Raketen und Astronauten bewundern. Den dicken Stapel mit Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitten der Raumfahrtmissionen habe ich noch heute. 1969, in meinen ersten Semesterferien, traf ich gerade noch rechtzeitig nach einer Tramp-Reise durch den Schwarzwald zu Hause ein, um die Mondlandung im Fernsehen miterleben zu können.
Das waren die Träume, die wahr geworden waren. Die Realisierung anderer lässt auf sich warten. So zeigt der Band auf einer Doppelseite auch zwei Illustrationen, die sich unauffällig einfügen, aber kein NASA-Projekt dokumentieren, sondern für die Planung von Stanley Kubricks gewaltigem Film „2001 – Odyssee im Weltraum“ von 1968 angefertigt wurden. Ein Jahr vor der ersten Mondlandung. Aber bei Kubrick – genauer bei Arthur C. Clarke, auf dessen Kurzgeschichte die Handlung beruht – ist alles ganz anders. 2001, also in der Realwelt vor 20 Jahren, umkreist eine gigantische Raumstation mit Hotel die Erde, Shuttles fliegen zum Mond, so wie heute von Frankfurt nach New York, und auf dem Erdtrabanten gibt es Siedlungen. Als der Film zum ersten Mal lief, habe ich ihn mir drei- oder viermal angeschaut, insgesamt wohl rund fünfzehn Mal.
Übrigens sind etliche der Illustrationen im Buch von Mond- und Weltraumszenen auch interessante Beispiele für ein Wahrnehmungsproblem (mit fast schon erkenntnistheoretischen Dimensionen). Dass Erkenntnistheorie mitunter nichts elfenbeinturmhaft Abgehobenes ist, sondern in die Tagespolitik überschwappt, sieht man daran, dass aus diesem ganz speziellen Problem eine komplette Verschwörungstheorie geschnitzt wurde: Sind die Amis wirklich auf dem Mond gelandet? Zweifel schienen angebracht, denn wenn die Aufnahmen nicht in einem irdischen Studio aufgenommen wurden, sondern tatsächlich auf dem Mond – wo sind denn dann bitteschön die ganzen Sterne, die dort oben ohne störende Atmosphäre hell erstrahlen müssten? Na? Aha!
Von wegen aha! Gehen Sie nachts mal in einer sternenklaren Nacht nach draußen, nehmen Sie ein paar kräftige Scheinwerfer mit, strahlen Sie einen Mitmenschen mit weißem Maleroverall an, am besten noch mit einem silbermetallicfarbenen Auto im Hintergrund, und machen Sie ein paar Fotos. Na, wo sind nun die Sternchen? Der Himmel ist einfach schwarz. Und dabei hatten Sie nur ein paar mickrige Lampen eingeschaltet und nicht die Sonne mit vielfacher Leuchtkraft am Himmel stehen.
Die schlichte Antwort lautet: Kontrastumfang. Auf der Tagseite des Mondes ist es so hell, dass die Astronauten ohne Helmfilter kaum etwas sehen würden. Mit diesen Kontrasten wären selbst heutige Digitalkameras überfordert. Mit Belichtungsreihen und HDR würde man es vielleicht hinkriegen – falls die für die Sterne nötige Landzeitbelichtungen trotz der Überstrahlungen der Mondoberfläche etwas erkennen ließen.
Ich erwähne das, weil es beide Arten von Illustrationen in diesem Band gibt: Solche ohne Sterne (da haben die Illustratoren mitgedacht) und solche mit (die natürlich mehr hermachen; als künstlerische Interpretation lassen wir das durchgehen, ebenso wie die sichtbaren Antriebsflammen im Vakuum und die dröhnenden Geräusche vorbeifliegender Raumschiffe in Science-Fiction-Filmen. Das ist wie beim Gendern: Mit Sternchen ist es eindrucksvoller, ohne praxisgerechter.)
Apropos Science Fiction: Es gibt wunderschöne Bildbände etwa mit Illustrationen von Syd Mead, Roger Dean, Jim Burns und vielen anderen, auch die Jahresbände der amerikanischen „Spectrum“-Reihe sind hier zu nennen. Die sind zwar mitunter spektakulärer als die im Band „Die Eroberung des Weltalls“, aber im wahrsten Sinne des Wortes Zukunftsmusik. Hier finden Sie dagegen – mehr oder weniger realistische – Projektskizzen mit dem Ziel technischer Umsetzung. Früher oder später. Wie gesagt: Am Anfang steht der Traum.