Der Tag wird kommen
„THE DAY WILL COME“ – das kann düster dräuend oder auch hoffnungsvoll klingen, und gerade aufgrund dieser Ambivalenz hat es Krzysztof Candrowicz zum Motto der 6. Triennale der Photographie in Hamburg gemacht, deren künstlerischer Leiter der Kunstsoziologe aus Lodz ist. Vom 18. bis 28. Juni ist Hamburg der Mittelpunkt der Welt der Fotografie, mit rund 70 Ausstellungen in Museen, Galerien und auf öffentlichen Plätzen, ergänzt durch eine Fülle weiterer Veranstaltungen.
Das Zentrum der Triennale bildet ein aus Containern improvisiertes „Dorf“ vor den Deichtorhallen und einige der teilnehmenden Museen sind nicht weit entfernt. Die Kunsthalle beispielsweise, in der Fotografien einst weltweit erstmalig in einem Museumskontext gezeigt worden waren, oder das Museum für Kunst und Gewerbe, das nach dem Krieg die fotografische Sammlung der Kunsthalle übernommen hatte. Und natürlich das Haus der Photographie in einer der beiden Deichtorhallen. Daneben zeigen das Bucerius Kunst Forum, der Kunstverein, das Hamburg Museum, das Altonaer Museum und das Museum der Arbeit eigene Ausstellungen, die sich auf unterschiedliche Weise dem durch das Motto vorgegebenen Thema widmen – der Zukunft der Fotografie und der Zukunft, wie sie mit den Mitteln der Fotografie dargestellt wird.
Die Ausstellung „#snapshot“ im Oberhafenquartier, kuratiert vom Finnischen Museum für Fotografie, zeigt dagegen die Gegenwart, von Katzenfotos und Selfies bis zum „Sexting“, also dem Austausch erotisch/pornografischer Selbstporträts per Smartphone. Einen großen Teil der einstigen Lagerhalle nehmen Berge von Fotos ein, Abzüge aller Bilder, die während eines einzigen Tages auf Flickr hochgeladen worden waren.
Gleich nebenan im Oberhafenquartier macht der Olympus Photography Playground Station. Auch wenn man meint, den Playground schon zu kennen – dieses ist das zweite Gastspiel in Hamburg –, lohnt sich der Besuch, denn es ist immer wieder Neues dort zu sehen.
Diesmal sind es die Installationen „Day“ und „Night“ von Maser und Leigh Sachwitz, deren Farb- und Lichteffekte eine Fülle lohnenswerter Motive ergeben – Leihkameras von Olympus stehen für eben diesen Zweck bereit. Für Lightpainting-Experimente gibt es einen eigenen Darkroom mit Stativen und geeigneten Lichtquellen.
Unsere kleine DOCMA-Delegation hatte eine Menge Spaß zwischen Nacht und Tag; Ausschnitte aus dem unruhigen Verlauf der „Nacht“ sind hier links zu sehen. Es handelt sich um ein teilweise transparentes Haus, auf dessen Wände vier Beamer ständig wechselnde Muster projizieren – wer zu epileptischen Anfällen neigt, sollte diesen Teil der Ausstellung besser meiden.
Wenn ich eine Ausstellung besonders herausheben müsste, dann wäre es „When Man Falls“, eine Retrospektive von Arbeiten des britischen, seit langem aber in New York lebenden Fotografen Phillip Toledano im Haus der Photographie. Die einzelnen Werkgruppen stehen in einem Zusammenhang, der sich teilweise aus dem Lebenslauf Toledanos erschließt. Nach „Days With My Father“, einem berührenden Protokoll der Jahre, in denen er seinen an Demenz leidenden Vater gepflegt hatte, und der annähernd gleichzeitig entstandenen Serie „A New Kind of Beauty“ über extreme Fälle der plastischen Chirurgie enstand „Maybe“. Dies ist eine Erforschung dessen, was Toledanos eigene Zukunft bringen könnte, je nachdem, ob er einem DNA-Test oder verschiedenen Wahrsagern Glauben schenkte. Phil Toledano hat sich als Obdachlosen inszeniert, als verfetteten Kleinbürger, als Büroangestellten im Cubicle, aber auch als reichen Schnösel zwischen blonden Schönheiten oder bei seiner Verhaftung durch FBI-Beamte. Als gelähmten Schlaganfallpatienten im Rollstuhl ließ er sich von einer Pflegerin durch die Straßen New Yorks schieben und stellte dabei fest, dass er für seine Umgebung einfach unsichtbar wurde. Den Abschluss der Ausstellung bildet eine assoziative Bildserie über seine ältere Schwester, die mit neun Jahren in einem Feuer ums Leben kam.
Verglichen mit den sehr persönlichen Bildern Toledanos wirken die – teilweise mit einer Großformatkamera entstandenen – Fotos von Henrik Spohler eher kühl und sachlich, aber gerade darin liegt ihr Reiz, ob er nun Containerhäfen, Frachtflugzeuge und Logistikzentren zeigt, die unsere Bestellungen im Internet an ihr Ziel bringen, die Knotenrechner des weltweiten Datennetzes oder die industrialisierte Landwirtschaft („When Millennium Begins“ in der Barlach Halle K).
Das Museum für Kunst und Gewerbe hat sich mit seiner von Esther Ruelfs und Teresa Gruber kuratierten Ausstellung dem Thema „Sharing“ unter verschiedenen Aspekten genähert: „Sharing a Portrait“, „Sharing a Group“, „Sharing Memories“, „Sharing a Product“, „Sharing Lust“, „Sharing Evidence“, „Sharing Knowledge“, „Sharing The World“, „Sharing a Collection“ und „Sharing Photographs“. Zu überraschenden Ergebnissen führt eine interaktive Installation, mit der man denselben Suchbegriff in die Bildersuchmaschinen unterschiedlicher Staaten einspeisen kann: Dass der Begriff „women“ in iranischen und ägyptischen Suchmaschinen keine Bilder leicht oder gar nicht bekleideter Frauen zu Tage fördert, überrascht nicht, aber warum findet die iranische Bildersuche Illustrationen, die die Erzeugung eines Bildes durch eine Linse zeigen, ihr ägyptisches Pendant aber Motorräder?
Die Triennale der Photographie endet am Sonntag; viele der Ausstellungen haben aber noch weit länger geöffnet und so lohnt sich ein Besuch in Hamburg auch noch über den 28. Juni 2015 hinaus.