David Hockney: Kreative Perspektiven
Wochenlang frustrierte der Anblick von Ausstellungsplakaten, weil die damit werbenden Museen während des Lockdown geschlossen blieben. Dass deren Türen nun wieder offen sind, habe ich genutzt, um mir die David-Hockney-Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum anzuschauen.
Eigentlich sollte diese Ausstellung schon am Sonntag enden, aber die Londoner Tate Britain, die die Gemälde und Zeichnungen David Hockneys ausgeliehen hatte, will sie nun doch erst nach dem 13. September zurück. Die britischen Museen sind schließlich bis zum 1. Juni geschlossen und bleiben es möglicherweise noch länger. In Großbritannien, das nach den USA und Russland die meisten COVID-19-Fälle verzeichnet, ist die Ausbreitung des Virus noch nicht wirksam eingedämmt.
Über David Hockneys unorthodoxe Ideen zur Perspektive hatte ich hier schon einmal geschrieben. Auch diese Ausstellung, die einen Überblick über Hockneys Werk von den Anfängen in den 1950er Jahren bis heute zeigt (und dabei naturgemäß lückenhaft bleiben muss), enthält Beispiele dafür. Mit manchen Bildern scheint Hockney der Zentralperspektive schlicht den Stinkefinger zu zeigen, etwa in Man in Shower in Beverly Hills (1964):
In anderen Gemälden scheint die Perspektive verrückt zu spielen, indem etwa Fluchtlinien nicht am Horizont, sondern beim Betrachter konvergieren. Interessanter ist allerdings eine Bilderserie aus den 70er Jahren, in der Hockney immer wieder dasselbe Motiv abzubilden versuchte – den Patio eines mexikanischen Hotels, in dem er auf eine Autoreparatur warten musste. Er hatte sich die Aufgabe gestellt, den gesamten Innenhof mit seinen Kolonnaden und einem Brunnen im Zentrum in ein Bild zu zwingen, was mit den Mitteln der Zentralperspektive nicht möglich gewesen wäre – als Fotograf müsste man zu einem Fisheye greifen, und auch Hockneys Bilder zeigen schließlich die gebogenen Linien, wie man sie von Fisheye-Aufnahmen kennt.
Hockneys Beschäftigung mit perspektivischen Problemen und mit dem Kubismus, in dem er einen Ansatz zu einer freien Behandlung der Perspektive sah, bilden einen der Schwerpunkte dieser sehenswerten Ausstellung. Wer es nicht bis zum 13. September 2020 nach Hamburg schafft, wird diese Bilder erst wieder in London sehen können – wann immer sich das kulturelle Leben auch dort wieder halbwegs normalisiert.
Um Fragen der Perspektive drehen sich auch einige Artikel in der nächsten DOCMA-Ausgabe, die am 3. Juni 2020 erscheint. In meiner Serie zur Bildgestaltung nach dem Vorbild der Alten Meister zeige ich, wie sich Künstler wie Leonardo da Vinci, Caravaggio und Piranesi schon lange vor Hockney die Perspektive für ihre Zwecke dienstbar gemacht haben, auch wenn sie die Regeln dafür teilweise brechen mussten. Inspiriert durch eine Leserfrage erkläre ich, wie sich eine Zeichnung mit der Perspektive einer bestimmten Brennweite konstruieren lässt und wie man umgekehrt anhand der Perspektive eines Gemäldes herausfindet, mit welcher Brennweite und aus welcher Entfernung man ein Foto mit derselben Perspektive aufnehmen kann.