Das Runde und das Eckige
Alle paar Monate kommt irgendjemand auf die Idee, dass Bildsensoren doch eigentlich rund sein sollten, und typischerweise ist derjenige davon überzeugt, als Erster daran gedacht zu haben. Tatsächlich ist die Idee schon ziemlich alt, und es ist Zeit, diesem Wiedergänger einen Pflock durch das Herz zu treiben, damit endlich Ruhe ist.
Jüngst war es der Fotograf Steve Gledhill, der bei PetaPixel die Vorzüge eines runden Sensors pries. Seine Argumente (die schon viele andere vor ihm vorgebracht haben) lassen sich so zusammenfassen: Objektive sind rund und das sind auch die Bilder, die sie erzeugen. Ein Sensor, der den gesamten Bildkreis abdeckt, müsste daher ebenso kreisrund sein. Aus dem runden Sensorbild könnte man dann rechteckige Bilder in beliebigen Seitenverhältnissen wie 1:1, 4:3, 3:2 oder 16:9 ausschneiden, die alle den Bildkreis maximal ausnutzen und so die maximal mögliche Pixelzahl enthalten. Und das gilt wohlgemerkt auch für das Hochformat, so dass sich der Fotograf weder für ein Seitenverhältnis noch für eine Kameraorientierung entscheiden muss. Im Raw-Konverter stehen die Pixeldaten des vollständigen Bildkreises zur Verfügung und wer mag, kann auch beim runden Bild bleiben. Bei einem rechteckigen Sensor nutzt nur ein Seitenverhältnis den Bildkreis optimal; für alle anderen Formate muss dieses Rechteck beschnitten werden.
Das ist so weit alles korrekt. Spricht es aber wirklich für einen runden Sensor? Zunächst einmal wäre ein kreisförmiger Sensor für den gesamten Bildkreis faktisch ein quadratischer Sensor, dessen Kantenlänge dem Bildkreisdurchmesser entspricht. Dessen Ecken blieben dann zwar dunkel, aber es wäre vermutlich aufwendiger, einen wirklich kreisförmigen Sensor zu bauen, als einfach die überflüssigen Pixel eines quadratischen Sensors zu ignorieren. Auch ein kreisrunder Sensor müsste ja immer noch in Zeilen und Spalten organisiert sein, und die Zahl der Zeilen und Spalten wäre ebenso groß wie bei einem quadratischen Sensor. Dieser Sensor wäre dann allerdings flächenmäßig 2,1-fach größer als ein 3:2-Sensor für diesen Bildkreis, und selbst ein wirklich kreisförmiger Sensor wäre immerhin noch 1,68-fach größer.
Je größer der Sensor, desto höher sein Preis, und leider steigen die Kosten überproportional mit der Fläche. Das liegt an der Art und Weise, wie Siliziumchips produziert werden: Ein zylinderförmiger (genau genommen wurstförmiger) Siliziumkristall wird in dünne Scheiben geschnitten, und aus jeder dieser Scheiben („wafer“) entstehen in einem lithografischen Verfahren die einzelnen Chips. Die Wafer sind nun nicht immer perfekt, sondern weisen oft einzelne Fehlstellen auf. Wenn ein solcher Fehler im Bereich eines Chips liegt, ist dieser vermutlich unbrauchbar und muss aussortiert werden. Der Ausschuss hängt nun von der Größe der Chips ab: Sind die Chips klein, dann werden nur wenige von ihnen von einer Fehlstelle betroffen sein und der Ausschuss ist niedrig. Je größer ein Chip ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihn eine Fehlstelle unbrauchbar macht.
Ein größerer Sensor ist also nicht nur proportional teurer, weil man aus einem Wafer weniger große als kleine Chips schneiden kann, sondern sogar überproportional teuerer, weil ein größerer Prozentsatz der größeren Chips Ausschuss ist. Die Frage ist also, ob einem die Mehrkosten für einen deutlich größeren Sensor akzeptabel erscheinen, nur damit man die Kamera nicht gelegentlich ins Hochformat drehen muss, oder damit man quadratische Bilder mit maximaler Auflösung machen kann. Zumal ein quadratisches Bildformat selten nützlich ist; der Hintergrund des quadratischen Formats vieler analoger Mittelformatkameras lag ja auch vor allem darin, dass diese Kameras einen Lichtschachtsucher mit Einblick von oben hatten – solche Kameras kann man nicht so einfach um 90 Grad drehen, um Aufnahmen im Hochformat zu machen. Bei SLRs oder spiegellosen Systemkameras ist das kein Problem.
Es gibt eine Kompromisslösung, die schon vor etlichen Jahren von Kameraherstellern wie Panasonic verwirklicht wurde – erstmals 2007 mit der DMC-TZ2 und DMC-TZ3. Die Idee ist, einen Sensor in Übergröße einzubauen, der groß genug ist, um ein 4:3-Bild in optimaler Höhe und ein 16:9-Bild in optimaler Breite aufzunehmen. Die Seitenverhältnisse 4:3, 3:2 und 16:9 nutzen also den Bildkreis optimal aus. Ein quadratisches Bild ist allerdings kleiner als bei einem runden oder quadratischen Sensor und für Aufnahmen im Hochformat muss man die Kamera immer noch drehen. Dafür sind die zusätzlichen Kosten gering, denn der Sensor muss dazu nur um die 20 Prozent größer sein. Ein solcher Überformatsensor bietet ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis als ein runder Sensor; dennoch findet auch diese Kompromisslösung nur selten Anwendung.
Mit einem runden oder quadratischen Sensor wäre es auch nicht getan. Dazu kämen noch einmal die höheren Kosten für quadratische Displays und Sucher, von denen wiederum fast immer der größte Teil der Fläche ungenutzt bliebe. Das lohnt sich einfach nicht und daher ist nicht damit zu rechnen, dass diese oft vorgeschlagene Idee irgendwann einmal realisiert werden wird.
Und wo war nun der angekündigte „Pflock“? Die aufgezeigten höheren Kosten würde ich gerne mal in absoluten Produktionskosten (nicht marketinggetriebenen Verkaufskosten) in Euro und Cent sehen – wenn ich mir anschaue, was so mancher für 5% mehr Leistung bei Objektiven bereit ist auszugeben, wird das hier wohl eher unter ferner Liefen verbucht werden können. Zumal mit einer größeren Sensorfläche weitere Vorteile einhergehen.
Ach und noch was: quadratisches Format finde ich einfach nur geil – wäre also nett, wenn solche Aussagen nicht als objektiv dargestellt werden würden.
Der Artikel hat mich eher darin bestärkt, dass es endlich Zeit ist für so einen Sensor.
Es ist doch unbestritten, dass man dazu einen viel größeren Sensor benötigt, der auch überproportional mehr kostet. Die mit dem Roten Punkt beweisen jedenfalls, dass nahezu beliebig überteuerte Preise abrufbar sind. Ob sich Käufer für ein überteuertes Produkt finden, sollte man schon dem Markt überlassen. Sie haben kein einiges technisches Argument gegen einen Bildkreis-abdeckenden Sensor genannt – wollen aber den Befürworten „Pflöcke ins Herz treiben, damit endlich Ruhe ist“. Woher kommt der Zorn? Klingt ähnlich verachtend, wie Trump, der das Waterboarding wieder einführen will.
Hat es Sie noch nie gestört, dass sich bei Aufsteckblitzen die Blitzlicht-Richtung mit dem drehen von Quer- auf Hochformat, mit ändert? Eigentlich ein No-Go, was auch Fotoreporter einfach akzeptieren (oder vielleicht nie darüber nachgedacht haben?).
Es tut mir immer in der Seele weh, wenn ich für ein quadratisches Bild ein Drittel der Pixel wegschneiden muss.
Und was ist mit der unergonomischen Kamerahaltung im Hochformat? Ich wette, Sie besitzen ein Hochformatgriff. Wer ist nun der Dumme? Der sich dafür teures Zubehör kauft (und immer noch beim Blitzen die veränderte Lichtrichtung in Kauf nimmt), oder der, der eine smarte Lösung direkt in der Kamera vorschlägt.
Ich sehne mich schon seit Jahren nach so einem Bildkreis-füllenden Sensor. Ich hatte stets den „Marketing-Fuzzies“ die Schuld daür gegeben, nie alles Gute zusammen in eine Kamera zu packen. Doch Ihr Bericht zeigt, dass leider auch für fachkompetent gehaltene Techniker hier blind vor Wut sind.