Das optisch-digitale Hybridobjektiv
Die unvermeidlichen Abbildungsfehler von Objektiven werden schon lange nicht mehr nur durch noch mehr Glas korrigiert, sondern auch nachträglich in der Kamera. DPReview will diese Entwicklung nun anerkennen und Objektive inklusive solcher digitaler Korrekturen testen – eine umstrittene, aber sinnvolle Entscheidung.
Dass Objektive nicht perfekt abbilden, liegt nicht am Unvermögen oder dem mangelnden Willen ihrer Hersteller. Eine Linse bildet nun mal nicht so ab, wie wir uns das wünschen, denn sie gehorcht allein den Gesetzen der Optik, nicht unseren Idealvorstellungen. Man braucht eine größere Zahl von Linsen mit verschiedenen Formen und aus unterschiedlichen Materialien, damit sie zusammen ein perfektes Bild liefern, das plan liegt, gerade Linien gerade abbildet, überall scharf zeichnet und sich für alle Wellenlängen des sichtbaren Lichts gleich verhält – oder dem zumindest hinreichend nahe kommt. Je höher die Ansprüche an die optische Korrektur sind (bei der die Fehler der einen Linse die einer anderen aufheben), desto mehr und teureres Glas muss verbaut werden, und um so aufwendiger muss es in die dazu nötige Form gebracht werden. Die am höchsten korrigierten Objektive sind groß, schwer und teuer, und auch sie sind nie völlig frei von Abbildungsfehlern.
In der analogen Fotografie hatte man keine andere Wahl; Abbildungsfehler konnten allein optisch korrigiert werden. Digitalkameras haben dagegen zusätzliche Möglichkeiten, die verbliebenen Unvollkommenheiten des optischen Bildes nach dessen Digitalisierung herauszurechnen. Ein dunkler Bildrand lässt sich aufhellen und tonnen- oder kissenförmig gebogene Linien lassen sich entzerren. Auch der Farbquerfehler ist gut korrigierbar, denn er beruht ja darauf, dass die Bilder in verschiedenen Wellenlängenbereichen leicht unterschiedlich verzerrt sind – da der Sensor ohnehin zwischen Rot, Grün und Blau unterscheidet, kann die Kamera jeden der drei Farbkanäle individuell entzerren und so einen großen Teil der störenden Farbsäume zum Verschwinden bringen. Diese Korrekturen haben zwar Nebenwirkungen – eine Randaufhellung verstärkt dort das Rauschen und eine Verzeichnungskorrektur geht teilweise auf Kosten der Auflösung –, aber man darf nicht vergessen, dass auch eine optische Korrektur nicht völlig nebenwirkungsfrei ist.
Manche Abbildungsfehler lassen sich allerdings kaum oder gar nicht digital korrigieren. Dazu gehören der Farblängsfehler und der Sphärochromatismus (die sich allerdings auch einer optischen Korrektur selten ganz geschlagen geben), aber auch die sphärische Aberration, die Koma und die Bildfeldwölbung. Mit einer Dekonvolution ließe sich eine so verlorene Schärfe noch teilweise zurückgewinnen, aber die Möglichkeiten sind begrenzt, zumal die letzten drei genannten Bildfehler nicht im gesamten Bildfeld einheitlich sind, sondern zum Rand hin zunehmen.
Insgesamt kann man jedoch sagen, dass digitale Korrekturen die Bildqualität deutlich sichtbar verbessern, und unter dem Aspekt, dass nur zählt, was hinten herauskommt, sind sie zweifellos zu begrüßen. Mittlerweile ist sich auch kein Hersteller mehr zu schade dafür. Selbst Leica, deren Objektiventwicklern es weder am Willen noch am Können fehlt, Abbildungsfehler optisch zu korrigieren, haben beispielsweise bei der Leica Q und Q2 auf starke digitale Korrekturen gesetzt, ohne die diese Modelle so nicht realisierbar gewesen wären – und über deren Bildqualität wird wenig gemeckert.
Kompaktkameras waren die ersten Modelle, die digitale Korrekturen anwandten, aber inzwischen ist diese Technik auch bei Systemkameras mit Wechselobjektiven angekommen, wenn nicht mittlerweile Standard. Die meisten Objektive haben integrierte Korrekturprofile, die von der Kamera in der internen Bildverarbeitung angewandt und auch in die Metadaten von Raw-Dateien geschrieben werden – entgegen einer weit verbreiteten Legende werden digitale Korrekturen fast nie schon auf die Rohdaten angewandt, was ohnehin nur bei einer Vignettierungskorrektur möglich wäre, sondern erst in der Bildverarbeitung in der Kamera oder dem Raw-Konverter ausgeführt. Ob diese Korrekturen automatisch oder optional angewandt werden, hängt vom verwendeten Raw-Konverter ab. Auch bei manchen Kameras sind die Korrekturen einzeln im Menü auswählbar, wobei es allerdings nur wenige Gründe gibt, diese Optionen abzuwählen.
Für Objektivtester stellt sich nun die Frage, mit welchen Einstellungen er oder sie ein Objektiv testen soll. So lange die analoge Fotografie noch eine nennenswerte Rolle spielte, lag es nahe, allein die optische Abbildungsqualität zu testen, denn nur diese zählt, wenn man Film belichtet. Was für einen Sinn hätte es aber, einen Fehler zu bemäkeln, den der Digitalfotograf nie sehen wird, weil ihn die Kamera oder der Raw-Konverter ohnehin herausrechnet? Wenn die digitale Korrektur Nebenwirkungen hat und eine Verzeichniskorrektur beispielsweise mit Unschärfen in den Bildecken erkauft wird, dann fließt das ja ebenfalls in das Testergebnis ein; der Hersteller kann sich also nicht herausmogeln und das Ergebnis bleibt fair – auch gegenüber einem Mitbewerber, der auf eine ausschließlich optische Korrektur setzt. Wenn die digitale Korrektur aber ein ebenso gutes Ergebnis wie die optische Korrektur erbringt, dann ist das eben so – und kein Anlass zur Kritik. Dass DPReview seine Objektivtests künftig mit aktivierten Korrekturprofilen durchführt, finde ich daher richtig, zumal sie auch künftig herausfinden wollen, welcher Art die Korrekturen sind und welche erwünschten oder unerwünschten Wirkungen sie haben.