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Das Mysterium des Purple Fringing

Spätestens seit Anbeginn der Digitalfotografie kennen wir die hässlichen violetten Säume, die manchmal die Konturen dunkler Motive vor einem hellen Hintergrund nachzeichnen und nachträglich nur schwer zu entfernen sind. Was dieses Phänomen des Purple Fringing erzeugt, ist bis heute umstritten.

Purple Fringing
Die violetten Säume des Purple Fringing zeigen sich oft im Gegenlicht; andere Teile des Bildes ohne hohe Kontraste bleiben frei davon.

Als Ursache dieses Abbildungsfehlers werden vor allem drei Effekte diskutiert, die im Objektiv, dem Sensor beziehungsweise der Verarbeitung der Rohdaten des Bildes lokalisiert sind:

  • Chromatische Aberration – genauer gesagt der Farblängsfehler, der dadurch entsteht, dass kurze Wellenlängen stärker als lange Wellenlängen gebrochen werden und die Brennweite des Objektivs um so länger ist, je länger die Wellenlänge des Lichts ist.
  • Übersprechen – das auf ein Sensorpixel treffende Licht wird entweder in einem Nachbarpixel registriert, oder die erzeugten Elektronen diffundieren in ein Nachbarpixel und werden diesem zugerechnet.
  • Demosaicing – die farbigen Säume entstehen durch eine fehlerhafte Interpolation der fehlenden Farbinformationen eines Bildpixels, zu denen ein Sensorpixel ja nur ein Drittel beiträgt.

Ich war selbst mal davon überzeugt, dass Purple Fringing im Sensor entsteht. Wenn Nachbarpixel mehr Licht oder mehr Elektronen registrieren, als ihnen zusteht, würde dieser Zugewinn einen Stich ins Violette zeigen – die grünempfindlichen Sensorpixel sind durchweg empfindlicher als die rot- oder blauempfindlichen Sensorpixel, weshalb Letztere in der Verarbeitung der Rohdaten verstärkt werden müssen, und wenn der Zuwachs durch Übersprechen tatsächlich auf grünes Licht zurückgeht, ginge diese Verstärkung in die Irre und würde die Farbe in Richtung Rot und Blau verschieben.

Purple Fringing
Hier sind es die weißen Segel der Modellboote und die weißen Hemden ihrer Besitzer, die die violetten Säume zu erzeugen scheinen.

Nachdem ich dann leichtsinnigerweise mal behauptet hatte, dass dies die Erklärung sei, schrieb mir Dr. Hubert Nasse, dass ich da im Irrtum wäre – Purple Fringing ginge auf die chromatische Aberration zurück. Nun bin ich zwar nicht ausgesprochen autoritätsgläubig, aber da Hubert Nasse das sagte, der für die Objektiventwicklung zuständige „Staff Scientist“ bei Carl Zeiss, mochte ich ihm nicht widersprechen.

Dass Purple Fringing auf Fehler beim Demosaicing zurückgeht, wie unter anderem der Entwickler eines (heute meines Wissens nicht mehr weiterentwickelten) Raw-Konverters behauptete, war ohnehin wenig wahrscheinlich. Es waren ja bestimmte Kamera-Objektiv-Kombinationen – oft Kompaktkameras, so dass man zwischen der Rolle von Objektiv und Sensor schlecht unterscheiden konnte –, die sich dafür anfällig zeigten, ganz unabhängig vom Raw-Konverter. Wohlgemerkt: Das schließt nicht aus, dass andere Farbartefakte auch durch Demosaicing-Fehler entstehen.

Damit spräche also vieles für den Farblängsfehler als Ursache. Purple Fringing zeigt sich im ganzen Bild, genauso wie der Farblängsfehler – im Gegensatz zu den komplementärfarbigen Säumen des Farbquerfehlers, die zum Rand und den Bildecken hin zunehmen und im Bildzentrum kaum zu beobachten sind. Abblenden reduziert die Farbsäume, was auch für den Farblängsfehler gilt, für den Farbquerfehler hingegen leider nicht. Außerdem sind die Farben des Purple Fringing, typischerweise Violett, aber manchmal – seltener – auch Grün, die typischen Farben der durch den Farblängsfehler verursachten Artefakte.

Und trotzdem … Der Farblängsfehler ist ja im Prinzip eine Fehlfokussierung: Je nach der Wellenlänge entsteht ein scharfes Bild in einer unterschiedlichen Entfernung vom Objektiv, und man kann daher nur auf eine Wellenlänge scharfstellen. Motive in anderen Farben erscheinen leicht unscharf, sofern man die Schärfentiefe nicht durch Abblenden vergrößert. Allerdings erzeugt eine Defokussierung zwar Unschärfe, aber normalerweise kein Überstrahlen. Der unscharfe Hintergrund vor einem mit offener Blende freigestellten, scharf abgebildeten Motiv überstrahlt es nicht, sondern wird von der scharfen Kontur des Vordergrundmotivs begrenzt. Die Farbsäume des Purple Fringing überstrahlen aber dunkle Vordergrundmotive, was es gerade so schwierig macht, sie zu entfernen – man kann sie entsättigen, was aber zu grauen statt violetten Säumen führt, die ebenso unansehnlich sind.

Zudem ist Purple Fringing ein relativ schwacher Effekt, der überhaupt nur störend sichtbar wird, wenn viel Licht im Spiel ist – etwa bei Gegenlichtaufnahmen oder immer dann, wenn helle Motive viel Licht reflektieren. So lange es keine starken Kontraste gibt, werden die Farbsäume nicht nur schwächer, sondern verschwinden praktisch vollständig. Das wäre kaum durch den Farblängsfehler zu erklären, der ja allein auf die von der Wellenlänge abhängende Lichtbrechung zurückgeht. Rotes und blaues Licht wird anders gebrochen als grünes Licht, aber das gilt für alles Licht der jeweiligen Wellenlängen, weshalb der Effekt bei geringeren Kontrasten sichtbar bleiben müsste. Purple Fringing erweckt allerdings den Anschein, dass sehr viel Licht nötig ist, damit genug blaues und rotes (und in der Mischung violettes) Licht für die Farbsäume übrig bleibt.

Es gibt freilich noch einen vierten Erklärungsansatz: den Sphärochromatismus. Dieser Abbildungsfehler geht wie der Farblängs- und Farbquerfehler auf die wellenlängenabhängige Lichtbrechung zurück, ist aber nicht wie der Farblängsfehler eine Fehlfokussierung, sondern eine Variante der sphärischen Aberration. Sphärische, also kugelförmig geschliffene Linsen brechen das Licht unterschiedlich stark, je nachdem, ob es nahe der Mitte oder dem Rand auf die Linse trifft. Bei einem unkorrigierten Objektiv wird das scharfe Bild daher von unscharfen Bildern überlagert, was einen Weichzeichnereffekt erzeugt – helle Bildteile überstrahlen benachbarte dunklere Flächen. Das ist auch das Funktionsprinzip spezieller Weichzeichnerobjektive, bei denen die sphärische Aberration bewusst unkorrigiert bleibt. Aber auch bei gewöhnlichen Objektiven ist die sphärische Aberration nicht immer vollständig korrigiert.

Eine sphärische Aberration tritt schon auf, wenn man es nur mit Licht einer Wellenlänge zu tun hat, aber natürlich auch mit weißem Licht, das alle sichtbaren Wellenlängen enthält. Das Ausmaß der sphärischen Aberration variiert mit der Wellenlänge, und das Ergebnis ist der Sphärochromatismus, den man visuell nicht immer klar vom Farblängsfehler unterscheiden kann. Wenn Purple Fringing auf einen Sphärochromatismus zurückginge, würde dies erklären, warum die violetten Säume dunkle Vordergrundmotive überstrahlen, denn genau das wäre bei einer sphärischen Aberration zu erwarten. Da nicht alles durch das Objektiv gehende Licht zu diesem Effekt beiträgt – es kommt ja darauf an, an welcher Stelle das Licht auf das Objektiv trifft –, wäre auch erklärlich, warum so viel Licht nötig ist, um Purple Fringing zu erzeugen. Schließlich tritt Sphärochromatismus im gesamten Bildfeld einheitlich auf und lässt sich durch Abblenden reduzieren, was eine Grundvoraussetzung für jede Erklärung des Purple Fringing ist.

Daher setze ich mittlerweile auf diese Lösung: Purple Fringing ist Sphärochromatismus. Dr. Hubert Nasse kann mir leider nicht mehr widersprechen, weil er 2016 gestorben ist, aber ich bleibe Gegenargumenten gegenüber offen.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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