Das Metaversum – sollten wir es fürchten?
Ende letzten Jahres verkündete Mark Zuckerberg den Siegeszug der 3D-Welt „Metaverse“ unter seiner – zumindest geistigen – Führerschaft. Seitdem sind alle großen digitalen Player geradezu hyperaktiv darum bemüht, sich selbst ein möglichst großes Stück von der imaginierten Metaversum-Riesentorte zu sichern.
Hintergrund
Die Motivation der Silicon-Valley-Fraktion liegt auf der Hand: Das Web, wie wir es bisher kennen, hat kaum noch Bereiche, in denen es exponentiell wachsen kann. Statt nun Energie darauf zu verschwenden, Vorhandenes weiter und weiter zu optimieren, erscheint es viel reizvoller, etwas ganz Neues in die Welt zu setzen. Das macht nicht nur mehr Spaß, sondern ist gleichzeitig wirksam gegen die sich in letzter Zeit verbreitende Schwindsucht der Tech-Aktienwerte. Das Metaversum ist so gesehen nicht etwas, was entwickeln wird, weil es möglich ist. Viel eher handelt es sich dabei um eine riesengroße Karotte, die man den Investoren der Finanzmärkte vor die Nase halten kann.
Was ist das Metaversum?
Nach Mark Zuckerbergs Vorstellung ist das Metaversum ein dreidimensionaler Datenraum. Inspiriert vom Roman „Snow Crash“ des amerikanischen Autors Neal Stephenson. Der hatte Ende der achtziger Jahre auf Basis der damals absehbaren technischen Entwicklungen eine dystopische Welt entworfen, in der viele heute alltägliche Techniken vorkommen und in der die Menschen ihr soziales Dasein vornehmlich in einem solchen Datenraum ausleben.
Zuckerbergs Grundidee besteht darin, dass man sich mit einer Datenbrille ausgestattet durch eine virtuelle Welt bewegt. Die 3D-Welt ist eine Art Klon der realen Welt, aufgehübscht und erweitert um digitale Features und Dienstleistungen. Und natürlich soll man dabei eine Oculus Rift-Brille tragen, die Meta, das Unternehmen von Herrn Zuckerberg, verkauft. In Deutschland ist die Brille nicht im Handel, weil der Gesetzgeber damit fremdelt, dass man zum Betrieb des Geräts mit einem Facebook-Profil angemeldet sein muss.
Der Mensch selbst ist im Metaversum als Avatar sichtbar und kann in dieser Rolle jede Form annehmen. Von der eher comichaften Version seiner selbst bis hin zu einem Fantasywesen, dessen Ausgestaltung nur durch die eigene Fantasie oder die kreativen Gestaltungsfähigkeiten begrenzt wird. Frei nach dem Motto: „Sei, wer immer Du sein willst und tue, was immer du tun möchtest.“ Das große Versprechen der unendlich verlängerten Kindheit.
Zugreifen kann man auf das Metaversum mit allen digitalen Geräten vom Smartphone über die Datenbrille bis zum VR-Anzug – je nachdem, wie „immersiv“, also wie weitreichend die illusorischen Stimuli übertragen werden sollen. Soweit die Vision.
Blick zurück nach vorne
Schaut man sich das Konzept genauer an, stellt man bald fest, dass wir im Grunde schon lange in einer digitalen Parallelwelt leben. Nur war die bislang selten dreidimensional und wir kennen sie unter dem Namen „Internet“.
In eher technikaffinen Kreisen spricht man auch nicht unbedingt vom Metaversum, sondern eher vom Web 3, das jedoch mehr Technologien umfasst als die Verlängerung des 2D-Webs in die dritte Dimension.
Die 3D-Optionen an sich ist zudem nicht neu. Ich kann mich noch gut erinnern, wie schon Anfang der 90er Pioniere wie Jaron Lanier mit solchen virtuellen Welten experimentierten. Jedoch – mangels Rechenleistung – nur alleine und mit viel schlechterer Grafik.
Mitte der Nuller Jahre sorgte „Second Life“ für einen kurzen Hype. Das war Zuckerbergs Vision ziemlich ähnlich, konnte aber nur wenige Benutzer auf Dauer fesseln.
Weitaus bessere Grafik und mehr Handlungsmöglichkeiten als bei der Metaverse-Vision gibt es heute schon in einigen Spielewelten wie in Epics Fortnite. Das sind bisher (noch) geschlossene Systeme, in denen man sich aber schon jetzt einen Eindruck davon verschaffen kann, was vielleicht in ein paar Jahren im Bereich der Unterhaltung auf uns zukommt.
Um zu verstehen, welche Möglichkeiten und Gefahren in der Idee des Metaverse liegen, hilft ein Blick auf die Entwicklung des Internets selbst, denn im Grunde befinden wir uns beim Metaverse dort, wo das Internet Ende der 90er Jahre stand.
Web 1
Damals hatte das Internet gerade mit dem Dienst „Email“ das Ende der Briefpost eingeläutet. Mittels der Erkenntnisse, die man durch ihre Suchmaschinen-Eingaben über die Nutzer gewinnen konnte, war es zudem auf dem Weg, die Werbewirtschaft zu revolutionieren.
In den späten 90ern entstand im Netz ein weltweiter Flohmarkt mit dem Namen „Ebay“, der das Kleinanzeigen-Geschäft gedruckter Medien obsolet machte. Ihm folgten weitere disruptive Angriffe auf das „Rubrikengeschäft“, so dass nach ein paar Jahren die Märkte für (gebrauchte) Autos, Immobilien, Kontaktanzeigen oder Jobs erfolgreich digitalisiert waren. Vergleichsportale schafften Preistransparenz und raubten dem lokalen Handel die einstmals auskömmlichen Margen. Digitale Warenhäuser – allen voran Amazon – übernahmen den bis dato analogen Versandhandel.
Im Zuge des Erfolgs dieser neuen Geschäftsmodelle, stellen in den kommenden Jahren zuerst in den USA und dann auch in Europa Zeitungen und Publikumszeitschriften das Erscheinen ein. Ihre klassischen Geschäftsmodelle, die auf einem Mix aus Vertriebseinnahmen, Marken-Werbung und Kleinanzeigen basierten, funktionierten nicht mehr. Stattdessen setzten die verbliebenen Medien auf Online-Präsenzen, verschenkten ihre Inhalte und versuchten mit von Suchmaschinen gesteuerter Bannerwerbung ihr Geld zu verdienen.
Für die Anwender eröffnete sich ein Informationsparadis im Browser: Ganz gleich, wie speziell die Wünsche waren, sie konnten alle Waren zum günstigsten Preis kaufen und bekamen die neusten Nachrichten ebenso wie extrem spezielle Fachinformationen kostenlos nach Hause geliefert.
Zudem stand es jedermann frei, sein eigenes Medium oder Geschäftsmodell online zu starten. Man musste nur eine Internetadresse kaufen, etwas Platz auf einem Server mieten und konnte im Grunde loslegen, sofern man die Seitenbeschreibungssprache HTML beherrschte.
Web 2
Obwohl das recht einfach klingt, waren den meisten Internet-Nutzern diese Hürden zu hoch. Zwar gab es Unmengen privater „Homepages“, die technikaffine Familienväter einrichteten und eine große Zahl an Hobbyseiten. Doch erst mit Foren zu bestimmten Themen konnte eine größere Zahl von Menschen dazu animiert werden, selbst Inhalte beizusteuern. Das Konzept des Mitmachens war der Grundstein des Web 2, bei dem es vor allem um „User generated Content“ ging.
Das große Geschäft machten aber nicht die Produzenten der Inhalte, sondern die Plattformen. Sie animierten einerseits dazu, allen erdenklichen Content hochzuladen, vom persönlichen Statusbericht, über private Fotos, Links, Kommentare zum Weltgeschehen bis hin zu Empfehlungen und Bewertungen von Produkten. Inzwischen geht es vor allem um Videomaterial.
Das Ziel des Web 2 besteht darin, mit dem Material der produzierenden User ein so großes Unterhaltungsangebot zu schaffen, dass die konsumierenden User stundenlang auf der Plattform bleiben und persönliche Datenmuster hinterlassen. Damit geben sie den Betreibern Gelegenheit, ihnen möglichst viel individuelle Werbung auszuspielen, die wiederum für die Werbetreibenden Streuverluste vermindert.
Wie erfolgreich dieses Konzept war und ist, zeigt ein Blick auf die Unternehmensbewertungen der großen drei Datenkraken:
Alphabet (Google, YouTube): 1,3 Billionen bei 76 Milliarden Jahresgewinn 2021
Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp): 0,4 Billionen bei 40 Milliarden Jahresgewinn 2021
Amazon: 1,2 Billionen, bei 33 Milliarden Jahresgewinn 2021
Zum Vergleich: Diese drei Firmen sind an der Börse etwa doppelt soviel Geld wert wie die 40 Unternehmen des deutschen DAX zusammen. Deren Jahresgewinn liegt bei ca. 130 Milliarden Dollar, fällt also nur etwas geringer aus.
Web 3
Allerdings muss man dabei zur Kenntnis nehmen, dass alle drei seit Anfang dieses Jahres etwa 25% an Wert verloren haben. Sie stehen also unter großem Druck, nach neuen Geschäftsmodellen zu suchen.
Unter dem Stichwort Web 3 fasst man Technologien zusammen, die auf der Blockchain basieren und Konzepte wie Dezentralisierung und Token-basierte Wirtschaft (z.B. NFTs) beinhalten.
In Verbindung mit einer begehbaren, dreidimensionalen Oberfläche ergeben sich ganz neue Geschäftsmodelle. Sie eröffnen für den User intensivere Erlebniswelten, für die Produzenten ein riesiges Feld an Gestaltungsaufgaben und für die Datenplattformen die Gelegenheit, noch mehr Informationen über die Benutzer zu sammeln.
Man denke hier nur an die verbesserte Überwachung mittels einer Datenbrille, die sowohl den Raum, in dem der User sich aufhält, erfasst, also auch jede noch so kleine Reaktion auf Inhalte – wie Augenzwinkern, Bewegungen, Veränderungen der Pupille oder des Blutdrucks.
Aktuell steckt das Ganze außerhalb der Spielewelt noch in den Kinderschuhen. Erkennbar sind aber schon erste Ansätze der Industrie, die mit digitalen Klonen ihrer Maschinen die Produktion überwachen und optimieren.
Bis wir alle in den Genuss des Metaversums kommen, müssen sich die grossen Player noch auf Standards einigen. Das gestaltet sich schwierig. Sie haben noch sehr unterschiedliche „Visionen“ der schönen neuen Welt.
Bis dahin sei jedem, der sich dafür interessiert, die Lektüre von Neil Stephenson Klassiker ans Herz gelegt. Schon allein deshalb, damit das Metaverse nicht in einer Dystopie endet, weil es darin nur um die wirtschaftlichen Interessen weniger große Firmen geht.
Stell Dir vor…
…das Metaversum eröffnet-und niemand geht rein…
Vermutlich wird das genau so ein Rohrkrepierer wie seinerzeit das 3-D-TV.
Wer erinnert sich noch?
Niemand?
– Gut so…
Wer mal 5 Minuten Suchmaschine macht könnte auf die Informationen stoßen, daß Facebook und Google keine Privatunternehmen sind, sondern in den Gründungsphasen gern mit Geld von DARPA und anderen Militär/Geheimdienstquellen finanziert wurden.
DARPA hatte um die 2000er Jahre ein Programm „LifeLog“ Das Ziel: eine Datenbank mit allen Aktivitäten und Beziehungen zu erstellen, die ein Mensch hat. Das wurde mehrfach öffentlich, gab Empörung, wurde umbenannt und heißt inzwischen Facebook. Vom Anfang an mit im Boot bei Facebook: Peter Thiel – Palantir. Klingelts bei euch? Finanziert wird das über „In-Q-Tel“ – dem Risikokapitalfonds der CIA, der in Technologien investiert, die die CIA als vielversprechend ansieht.
Facebook sammelt genau die Daten, die auch LifeLog sammeln sollte: Mit wem wir befreundet sind, mit wem wir Zeit verbringen, auf welche Veranstaltungen wir gehen, welche Interessen wir haben, etc.
Seminarpapier des Highlands Forums, „Seminar on Intelligence, Command, and Control“ Dezember 2001, Harvard University
http://www.pirp.harvard.edu/pubs_pdf/o%27neill/o%27neill-i01-3.pdf
Meines Wissens waren die US-Regierung oder ihre Behörden nie an Facebook (Meta) beteiligt; das 2004 eingestellte LifeLog-Projekt der CIA hat jedenfalls nichts mit Facebook zu tun. Peter Thiel hatte frühzeitig in Facebook investiert, aber das ist halt das, was ein Venture Capitalist wie Thiel macht – er versucht, aussichtsreiche Start-ups ausfindig zu machen und mit geschickten Investitionen Geld zu verdienen. Darin ist er ziemlich erfolgreich. Thiel ist zudem nicht besonders regierungsnah; als radikal Libertärer versucht er vielmehr, sich von jedem staatlichen Einfluss und Kontrolle unabhängig zu machen.
In-Q-Tel besaß tatsächlich mal Google-Aktien, was auf den Kauf des Google-Earth-Vorgängers Keyhole zurückging. In-Q-Tel, ein Venture-Capital-Unternehmen, das der CIA nahe steht, obwohl es rechtlich unabhängig ist, hatte in Keyhole investiert, und als Google die Firma – die über Satellitendaten verfügte, wie sie Google für Google Earth brauchte – kaufte, wurde In-Q-Tel teilweise in Google-Aktien ausbezahlt. 2005 hat In-Q-Tel diese aber bereits wieder verkauft.
Man sollte das nicht ausschließlich durch die verschwörungstheoretische Brille sehen.
»Wer mal 5 Minuten Suchmaschine macht könnte auf die Informationen stoßen, daß Facebook und Google keine Privatunternehmen sind,«
Genau da sehe ich eins der großen Probleme unserer Zeit: „Mal 5 Minuten Suchmaschine machen“ ist nicht recherchieren, sondern eben nur „Suchmaschine machen“. Deswegen sollte man dem, was dabei herauskommt, auch nicht 5 Meter weit trauen – um ein Stück weit im Bild zu bleiben 🙂