Das Fotojahr 2022: Halbzeit
Inzwischen liegen die Umsatzzahlen der Kamera- und Objektivhersteller für das erste Halbjahr 2022 vor. In der Folge der Corona-Pandemie und anderer Krisen ist der Fotomarkt noch immer weit von der Normalität entfernt.
Wer den Kameramarkt schon länger aufmerksam verfolgt, wird sich erinnern: Die Verkaufskurven eines Jahres waren stets eine Landschaft mit zwei Bergen, im Frühjahr und im Herbst. Die Täler dazwischen markierten die Saure-Gurken-Zeiten um den Jahreswechsel beziehungsweise im Sommer, in denen die Hersteller das Geschäft mit Cash-back-Aktionen anzukurbeln versuchten. Insgesamt gingen die Zahlen zwar Jahr um Jahr zurück, aber am jahreszeitlichen Verlauf änderte sich nichts.
2020, im ersten Jahr der Corona-Pandemie, ließen Lockdowns an den Produktionsstandorten ebenso wie in den wichtigsten Abnehmerländern die Verkaufszahlen des Frühjahrs einbrechen. Für die Fotoindustrie (aber nicht nur für diese) war das erste Halbjahr 2020 ein Desaster. Dieser Einbruch wurde jedoch im zweiten Halbjahr zumindest teilweise wieder ausgeglichen, nachdem die Nachfrage ebenso wie die Produktion wieder zaghaft angesprungen war und sich die Kundschaft über Monate zurückgestellte Konsumwünsche erfüllte.
2021 brachte keine Normalisierung; vielmehr hielten sich die Zahlen das ganze Jahr über auf einem fast konstanten Niveau – aus der Berglandschaft war eine Ebene geworden. Dafür dürften die anhaltenden Probleme im Bereich der Produktion (Chip-Krise) und der Logistik (fehlende Container, die Blockade des Suezkanals durch die quer liegende Ever Given etc.) verantwortlich gewesen sein – wenn es im Handel nicht genug Ware gibt, spielt die fluktuierende Nachfrage keine Rolle mehr.
In diesem Jahr lagen die Kamera-Verkaufszahlen durchweg noch unter denen von 2021; nur im Juni wurden so viele Kameras wie im selben Monat des Vorjahrs abgesetzt. Die Zahlen für die Wechselobjektive zeigen ein ähnliches Bild:
Schaut man sich die zugrundeliegenden Zahlen genauer an, zeigt dieses Jahr bislang eine Fortsetzung der bisherigen Trends: Sowohl der Markt der Kompaktkameras wie auch der der DSLRs schrumpfen weiter, während sich spiegellose Systemkameras besser als im Vorjahr verkaufen. Generell gilt wie schon in den Vorjahren, dass sich die Umsätze nach Wert erfreulicher als die nach Stückzahlen entwickeln. Mit anderen Worten: Es werden mehr teure Modelle gekauft, während der Markt für Einsteigermodelle wegbricht.
In der letzten Zeit wurden für neue, gut ausgestattete Modelle oft relativ hohe Preise aufgerufen, aber wie die Marktentwicklung beweist, sind hochpreisige Kameras für die Hersteller kein Problem. Sie sind ganz im Gegenteil die Lösung – nämlich für das Problem, dass Gelegenheitsfotografen nur das ohnehin vorhandene Smartphone benötigen und sich von einfachen Kompakt- oder Systemkameras nicht mehr angesprochen fühlen. „Richtige“ Kameras werden überhaupt nur noch von ambitionierteren Fotoamateuren und natürlich den Profis geschätzt, und diese Kunden sind auch bereit, dafür zu zahlen.
Einsteigermodelle, die inklusive Standardzoom weniger als ein Smartphone der Oberklasse kosten, findet man vor allem im DSLR-Bereich; hier ist der Unterschied zwischen der Entwicklung nach Stückzahlen und nach Wert am geringsten. Da beide Trends aber weiter nach unten zeigen, sind wohl auch die Einsteiger-DSLRs eine aussterbende Art. Wer als Kamerahersteller in diesen Zeiten noch Geld verdienen will, muss auf gut ausgestattete spiegellose Systemkameras setzen – und kann dann für diese Modelle auch den entsprechenden Preis fordern. Um als DSLR-Hersteller zu überleben, bleibt nur, sich in einer Nische einzurichten, in der man auch mit überschaubaren Umsätzen noch profitabel sein kann.