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Das böse Werkzeug Photoshop ?

Das böse Werkzeug Photoshop
Das böse Werkzeug Photoshop – hier dafür eingesetzt, den Kopf aus Botticellis Gemälde „Geburt der Venus“ auf einen fotografierten Frauenkörper zu verpflanzen / Foto und Montage: Doc Baumann

Im Januar 2018 wurden in Bonn Betrüger verurteilt, die mit Photoshop verfälschte Unfallfotos dazu benutzt hatten, Versicherungen zu prellen. Und vor ein paar Tagen ging eine Meldung durch die Medien, in Remscheid habe ein Eisverkäufer Frauen fotografiert und ihre Köpfe in Porno- und Nacktbilder einmontiert. Ist Photoshop ein Werkzeug für Betrüger?

Die Montagen, die in Bonn Gegenstand des Gerichtsverfahrens waren, müssen immerhin technisch so gelungen gewesen sein, dass sie Unfallgutachter überzeugten. (Man müsste sie selbst einmal sehen – ein Unfall-Gutachter ist eben kein Bild-Gutachter.) In den Meldungen über diesen Prozess wurde ausdrücklich erwähnt, dass bei den Betrügereien das böse Werkzeug Photoshop eingesetzt worden war.

Im Fall der Nackt-Montagen von Remscheid war nur die Rede von Bildmontagen, ohne die dabei benutzte Software zu benennen. Wie auch, solange man den Täter nicht gefasst hatte? Inzwischen ist er wohl identifiziert, ein 59 Jahre alter Eisverkäufer. Eigentlicher Drahtzieher sei ein 63-Jähriger gewesen, der im Ausland lebt. Die Qualität der in dem sozialen Netzwerk Tumir verbreiteten und inzwischen gelöschten, verfälschten Bilder sei nicht besonders gut gewesen: „mehr oder weniger stümperhaft“, wie die Polizei mitteilte.

Obwohl die Nackt-Montagen also wohl als solche erkennbar waren, waren die rund 90 betroffenen Frauen zu Recht empört und erstatteten, nachdem sie von anderen Opfern informiert worden waren, umgehend Anzeige bei der Polizei. Wie Zeitungen berichten, soll sogar das Gesicht einer 13-Jährigen, nach anderen Quellen gar das einer Neunjährige in dieser Weise präsentiert worden sein.

Ich will an dieser Stelle auf die verständliche Verwirrung und Wut der Frauen nicht näher eingehen, deren Porträtfotos in der beschriebenen Weise missbraucht wurden; das habe ich bereits mehrfach an anderen Stellen getan. (Übrigens, zur Wortwahl: Ich denke, ein Foto kann man in der Tat missbrauchen, da es in vielfältiger Weise bestimmungsgemäß gebraucht werden kann. Wenn dagegen stets wie selbstverständlich davon die Rede ist, beispielsweise Kinder seien sexuell missbraucht worden, stellt sich automatisch die Frage, was denn der bestimmungsgemäße sexuelle Gebrauch von Kindern durch Erwachsene wäre …)

Ich möchte hier dagegen ein paar Gedanken über das böse Werkzeug Photoshop mit Ihnen teilen. Lassen wir dabei einmal außer Acht, dass es auch andere Software gibt, mit der man so etwas machen könnte. Längst ist es allgemeiner Sprachgebrauch, dass ein hinsichtlich seiner Abbildtreue fragwürdiges Bild wohl gephotoshoppt worden sei. Selbst wer das Programm noch nie geöffnet hat, kann mühelos die Frage „Haste wohl mit Photoshop gemacht?“ formulieren und denkt nicht daran, etwa nach dem Einsatz von Affinity zu fragen.

Ist also Photoshop schuld an all den Montagen, die in betrügerischer Absicht der einen oder anderen Art angefertigt werden? Da es ohne Photoshop kaum möglich wäre – jedenfalls wenn man höhere Qualitätsmaßstäbe anlegt, als das glücklicherweise wohl der Remscheider Eisverkäufer getan hat –, könnte man behaupten, Photoshop gehöre mit auf die Anklagebank.

Aber so leicht ist es nicht. Denn eigentlich ist das böse Werkzeug Photoshop ein ganz neutrales Programm, mit dem man alles Mögliche realisieren kann. Illustrationen, Kunstwerke, Anzeigenmotive, grauenvoll Schlechtes (qualitativ gemeint) und ästhetisch Hervorragendes … und natürlich auch Fakes mit bösen Hintergedanken.

Man kann einen Menschen mit einem an sich harmlosen Brotmesser erstechen, ihn mit einem Zimmermannshammer übel verletzen, ihm mit einer dicken Prachtausgabe von Thora, Bibel oder Koran den Schädel einschlagen; man kann ihn mit einem Auto gezielt überfahren oder ihn auf den Spitzen eines eisernen Gartenzauns aufspießen. Keines dieser Objekte wurde eigens dafür geschaffen, in dieser Weise – da haben wir’s wieder! – missbraucht zu werden.

Dagegen kann man mit einem Panzer zwar einen auf einem Acker festgefahrenen Lkw aus dem Schlamm ziehen und mit dem Griff eines Revolvers einen Nagel einschlagen – aber diese Gegenstände verlieren durch ihre harmlose Fehlnutzung nicht ihren eigentlichen Bestimmungszweck, nämlich Menschen zu töten. (Ich wohne in Kassel, eine Stadt mit ausgeprägter Rüstungsproduktion; dass es die Stadt früheren Panzer-Fabriken zu verdanken hatte, dass sie im Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche gebombt wurde, ist längst vergessen. Wann immer ein Großauftrag für neue Panzer aus dem Ausland bekannt wird, ist das der Regionalzeitung einen Jubelartikel wert. Ich würde mir wünschen, im selben Umfang würde später über jeden Menschen berichtet, der damit getötet oder zum Krüppel gemacht werden wird. Gewerkschaften, die das unter dem Aspekt von Arbeitsplätzen betrachten, kann ich nicht ernst nehmen. Schwerter zu Pflugscharen zu machen, das wäre nun  tatsächliche ein wünschenswerter „Missbrauch“ der mühsam produzierten Mordmaschinen.)

Photoshop wurde gewiss nicht entwickelt, um betrügerische Bildmontagen anzufertigen, ebenso wenig, wie es der Zweck eines Zimmermannshammers ist, damit Menschen zu erschlagen. Das Argument „Aber ohne die Software ginge das nicht“ ist zwar nicht völlig falsch, aber es führt nicht weiter. Natürlich sollte sich jeder, der etwas Neues entwickelt, auch Gedanken über einen möglichen Missbrauch machen, und es mag Fälle geben, in denen das vorgesehene Gute zurückstehen muss hinter dem deutlich wahrscheinlicheren Schlechten. Manchmal braucht es eine Weile, bis sich das herausstellt. (In den 50er Jahren gab es spannende Disney-Zeichentrickfilme, in denen die Atomkraft in Gestalt eines Geistes aus der Flasche ihre segensreichen Auswirkungen vorführte. Man hätte ahnen müssen, dass Geister in Flaschen meist arglistige Dämonen sind, die nichts Gutes im Schilde führen.)

Man kann den Programm-Entwicklern also nicht den Vorwurf machen, sie hätten das Missbrauchs-Potenzial erkennen und daher auf die käufliche Umsetzung verzichten müssen. Denn würde man diesen Vorwurf erheben, dann wären alle anderen Objekte, die Bildverfälschungen ermöglichen, in derselben Weise mitschuldig. Man könnte dann mit demselben Recht behaupten „Aber ohne eine Kamera ginge das auch nicht“ – ohne digitales Bild keine Möglichkeit seiner Verfälschung. Und so geht es endlos weiter: Computer, Monitore, Festplatten … Dann wäre Word mitverantwortlich für alle damit niedergeschriebenen Lügen und Verdrehungen, Excel für böswillige und verharmlosende Interpretation von Statistiken, Facebook für … nun gut, das ist nun wieder etwas anderes.

Der immer wieder zu lesende Vorwurf, das böse Werkzeug Photoshop sei schuld an „diesen ganzen Manipulationen“, ist also nicht aufrecht zu erhalten und schlecht begründet. Wie alles andere, so kann natürlich auch diese Software missbraucht werden, um Menschen zu schaden. Die Verantwortung jedoch liegt bei denen, die bestimmungsgemäß neutrale Werkzeuge mit schlechten Absichten einsetzen.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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4 Kommentare

  1. Bekanntlich sind ja fast bis heute auch nicht Autos schuld, wenn sie Leute totfahren, und auch dann nur, wenn sie von Menschen schlecht für das autonome Fahren ausgestattet wurden. Und auch nicht Computer für den Missbrauch von Daten.

  2. Der Unfallfoto-Verfälscher haben sich offenbar im bösen Magazin „DOCMA“ kundig gemacht, denn nirgends besser als hier werden alle diese bösen Photoshop-Tricks erklärt 😉

  3. Schön geschrieben. Auch in politischen Diskussionen, zum Beispiel zum Thema Gentechnik, wünschte ich mir dass deutlicher unterschieden würde zwischen einerseits der Forschung und dem dadurch erlangten Wissen und andererseits der Art & Weise wie dieses angewendet wird.

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