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Computer und Klimawandel

Wenn es um die Verarbeitung und Übertragung von Informationen geht, ist schnell das Adjektiv „virtuell“ zur Hand – es wird ja nichts Materielles bewegt, sondern bloß Bits, also Zahlen. Informationen gelten als eine Art Feenstaub, der mit schnöder Masse und Energie nichts zu tun hat. Aber natürlich stimmt das nicht.

Blue Skies im Hamburger Thalia-Theater. (Szenenfoto: Thalia-Theater)

Letzten Montag sahen wir Blue Skies im Hamburger Thalia-Theater, inszeniert von Jan Bosse nach dem gleichnamigen Roman von T. C. Boyle. Der Klimawandel, in dem wir uns längst befinden, war der metaphorische Elefant im Raum – also auf der Drehbühne –, und von den handelnden Personen, einer nicht ganz durchschnittlichen US-amerikanischen Familie, schwer zu verleugnen. Bei Vater, Mutter und Sohn in Kalifornien war es zu trocken, in Florida, wo die Tochter lebte, zu nass, und die Insekten, die der Sohn erforschte, verschwanden langsam – selbst die von der Mutter gezüchteten und als proteinhaltige Nahrung angepriesenen Grillen verstummten plötzlich. In Florida begegnete man dafür auf überfluteten Straßen Alligatoren und Welsen (und im Kinderzimmer einer Würgeschlange, aber das war ein Kapitel für sich). Zecken und Borrelien spielten ebenfalls eine für die Handlung entscheidende Rolle, und ein kinderfressender Bär, den der Regisseur allerdings einer anderen Geschichte T. C. Boyles entlehnt hatte.

Bei der Nachbereitung in einer Bar mit Blick auf die hell erleuchteten – obschon zu dieser Zeit längst geschlossenen – Geschäfte rund um die Binnenalster kamen wir dann bald auf das Thema, welchen Energieverbrauch all unsere elektronischen Gadgets haben, vom Smartphone bis zum Desktop-Computer, und für wie viel CO2 in der Atmosphäre sie verantwortlich sind. Und hier zählen ja nicht nur unsere eigenen Geräte mit, sondern auch die Router als Knotenpunkte im Internet sowie die Serverfarmen, ohne die es keine Websites, soziale Medien und die diversen Cloud-Dienste gäbe. Ob meine Leser sich wohl dafür interessieren würden, zweifelte meine Begleiterin – aber warum eigentlich nicht?

Von der Vorstellung, die Digitalisierung wäre im Ergebnis umweltfreundlich, weil weniger materielle Dinge erst hergestellt und dann physisch über weite Strecken transportiert würden, mussten wir uns ja bereits verabschieden. Beim Versand einer Nachricht oder einer Datei werden zwar nur Nullen und Einsen übertragen, aber jedes übertragene Bit erfordert einen Schaltvorgang eines Transistors, und der benötigt Energie. Nicht nur einmal, sondern unzählige Male, bis das Bit über viele Router auf seinem Weg den Empfänger erreicht hat. Dabei müssen die als Informationsträger dienenden Spannungen immer wieder verstärkt werden, um Verluste auf den Leitungen auszugleichen, und auch dafür wird Strom verbraucht. Allein innerhalb Deutschlands sind es laut Statista 13 Terawattstunden pro Jahr, um den Betrieb des Internet zu gewährleisten; andere Schätzungen liegen noch höher. Wenn sich dieser Aufwand wenigstens lohnen würde, aber auf den allergrößten Teil der so versandten Informationen könnte man ohne Not verzichten. (Kleiner Tipp: Nicht einmal Katzen würden darunter leiden, wenn es etwas weniger Katzencontent gäbe …).

Im Jahre 2020 war das Internet für 2,8 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich; wäre das Internet ein Land, hätte es auf Platz 6 zwischen Japan und dem Iran gelegen. Einzelne Transaktionen erscheinen hier noch harmlos, aber es summiert sich: Der Versand einer E-Mail pustet 4 Gramm CO2 in die Atmosphäre, mit einem Foto als Anhang sind es schon 30 Gramm. Pro Stunde gestreamten Videos (oder auch einer Videokonferenz) ist man für 400 Gramm CO2 verantwortlich – bei 150 Gramm für jeden mit dem Auto gefahrenen Kilometer muss man schon sehr genau nachrechnen, wenn man mit einer bloß virtuellen Konferenz den Klimawandel bremsen will.

Einer der größten Übeltäter ist das Streaming von Medien, das bereits mehr als die Hälfte des gesamten Datenvolumens im Internet ausmacht. Vor Jahrzehnten wurden Musik und Filme noch in materieller Form erworben, als Schallplatten, Kassetten, CDs und DVDs. Später kaufte man in Online-Stores ein und lud die Medien einmal herunter; danach konnte man sie so oft konsumieren, wie man wollte, und verbrauchte dabei nur Strom für den eigenen Computer, das Tablet oder das Smartphone. Heute dominiert das Streaming, also eine erneute Übertragung, wann immer man einen Musiktitel hört oder einem Film anschaut, womit sich das zu übertragende Volumen potenziert. Damit wird viel Geld verdient, von dem aber nur ein bitter kleiner Teil bei den Künstlern ankommt, und das ist – neben der Umweltbelastung und der Tatsache, dass ich einfach hoffnungslos oldschool bin – ein wichtiger Grund, weshalb ich Musik noch immer auf CD oder im iTunes-Store kaufe und Filme im Kino sehe. Schließlich müsste der Nachschub irgendwann versiegen, wenn Künstler bei aller ohnehin nötigen Selbstausbeutung nicht mehr rechtfertigen könnten, Kunst zu produzieren, statt einer anständigen Arbeit nachzugehen.

Bis zu 700 Watt verbraucht eine H100-GPU, auf der KI-Systeme trainiert werden. (Bild: NVIDIA)

Neben dem Streaming schiebt sich in letzter Zeit die KI immer mehr in den Vordergrund, wenn es um den größten Umweltsünder geht. KI-basierte Anwendungen verbrauchen zwar nicht mehr Energie als konventionelle Software, aber deren Training ist extrem aufwendig – weit aufwendiger als eine klassische Programmierung. Eine NVIDIA H100-GPU, wie sie heutzutage zum Training neuronaler Netze genutzt wird, verbraucht bis zu 700 Watt. Elon Musk will für die Weiterentwicklung seines eigenen KI-Systems (hatte er nicht vor gar nicht so langer Zeit für ein KI-Moratorium plädiert?) jetzt 100.000 dieser GPUs einsetzen – das wären dann 70 Megawatt, die sein Supercomputer aus dem Stromnetz ziehen müsste. Wovon ein nicht geringer Teil als Abwärme in die Umgebung abgegeben würde. Ob dieser brute-force-Ansatz, einfach noch mehr Rechenleistung verfügbar zu machen, tatsächlich zu besseren Ergebnissen führen wird, ist noch einmal eine Frage für sich.

Übrigens: T. C. Boyles lustig-bitterböses Blue Skies kann ich empfehlen, als Roman ebenso wie als Theaterstück.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. Hallo Herr Hussmann

    „Pro Stunde gestreamten Videos (oder auch einer Videokonferenz) ist man für 400 Gramm CO2 verantwortlich – bei 150 Gramm für jeden mit dem Auto gefahrenen Kilometer muss man schon sehr genau nachrechnen, wenn man mit einer bloß virtuellen Konferenz den Klimawandel bremsen will.“

    Vielleicht stehe ich ja auf dem Schlauch, aber das genaue nachrechnen müssen Sie mir jetzt einmal erklären.

    Eine Stunde Videokonferenz erzeugt 400 Gramm CO2, ein Kilometer Autofahrt 150 Gramm, sprich man kann für eine Stunde Videokonferenz ca. 2,66 Km weit fahren!

    Nun finden Videokonferenzen aber über hunderte, wenn nicht tausende von Kilometern statt und das mit vielen Teilnehmern. Würden alle Teilnehmer dann zum Veranstaltungort fahren, wäre das dann vom CO2 Ausstoss wirklich günstiger? Ich glaube eher nicht.

    Nichts desto Trotz haben Sie generell mit Ihren Aussagen aber Recht, dass der Energiebedarf und somit der CO2 Ausstoss durch Computer und Internet für einen grossen Anteil an CO2 verantwortlich ist. Da beisst die Maus keinen Faden ab.

    Freundliche Grüsse
    Hans-Jörg Fritsch

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