Chris Martin Scholl: Von Instagram zum Künstlerdruck
Seit zehn Jahren reist er durch die Welt und lebt den Traum des Lifestyle-Fotografen. Wir haben Chris Martin Scholl, 35, in Berlin auf einen Kaffee getroffen.
DOCMA: Wenn man durch Dein Portfolio schaut, zeigt sich ganz klar, dass Du zwei Themenschwerpunkte hast, die Du auch gerne kombinierst: Architektur und Lifestyle. Kannst Du beschreiben, wie Du diese beiden Foto-Themen zu einem Beruf gemacht hast?
Chris Martin Scholl: Das ist vielschichtiger als es zunächst den Anschein hat. Aber ich will es gerne versuchen: Zunächst verfolge ich den Ansatz „Lifestlye ist Story“. Lifestyle ist ein Thema, das erzählt werden will. Meine Kunden für solche visuellen Erzählungen sind zum Beispiel Hotelketten. Für die entwerfe ich „Travelstories“. Das bedeutet konkret, ich suche in einer Stadt nach den Hotspots, inszeniere die Bilder getreu meinem Stil und produziere damit Blog-Stories für den Online-Einsatz oder Magazinbeiträge, wenn der Kunde mit eigenen Printmedien arbeitet. Die Jobs gehen hier oft über die Fotografie hinaus in den journalistischen Bereich hinein.
Andere Kunden — wie Canon oder Western Digital – kommen eher aus der Technikwelt. Für sie schreibe ich Anwender- und Erfahrungsberichte, bei denen es um den praktischen Einsatz der Produkte geht und die ich mit meinen Bildern garniere.
DOCMA: Wie bist Du zur Fotografie gekommen?
Chris Martin Scholl: Bevor ich die Fotografie für mich entdeckte, war ich neben dem Informatik-Studium als Musikproduzent viel auf Reisen. Zunächst habe ich dabei nur Fotos für mich selbst gemacht, dann ist das Thema mit der Zeit gewachsen und irgendwann habe ich das mit der Musik sein lassen. Seither reise ich, wann immer es meine Zeit zulässt, durch die Welt, um in den Megacities zu fotografieren. Das sind Orte, an denen ich eine Art „Isolation“ fühle und sie mit meinen Bildern auf den Punkt bringen kann.
Meist bin ich dann am frühen Morgen oder am späten Abend allein in den städtischen Kulissen unterwegs und kann mich ohne Ablenkung mit ihren Strukturen, Formen und Farben auseinandersetzen. Am allerliebsten mag ich meine Bilder menschenleer und im Licht der Nacht aufgenommen.
Lange war das nur ein Hobby. 2015 habe ich Instagram als Schaufenster für meine Arbeiten entdeckt und damit nahm dann meine fotografische Professionalisierung Fahrt auf.
Projekte planen
DOCMA: Vermutlich fliegst Du nicht irgendwo hin, läufst wochenlang durch die Gegend, bis Du dann genügend solcher Motive gefunden hast?
Chris Martin Scholl: (lacht) Nein, natürlich nicht. Die meist vier Wochen langen Reisen sind straff getaktet: Drei bis vier Tage pro Metropole müssen reichen, um alle wichtigen Bilder zu machen. Damit das klappt, sind aufwendige Recherchen eine zentrale Voraussetzung. Ich betrachte Städte aus einer Art Architektenperspektive. Dabei schaue ich per Google-Earth, wo die alten Stadteile zu finden sind, und wo die modernen Hochhäuser stehen. Ich durchfahre die Straßen mit Google Streetview und plane die Routen mit Google-Maps. Meist funktioniert das System ganz gut, nur in China habe ich regelmäßig Probleme, weil das öffentlich verfügbare Kartenmaterial schlicht falsch beziehungsweise irreführend ist.
Dank meiner Erfahrung erkenne ich aber inzwischen schon aus den Aufsichten, ob ein Ort spannende Motive bietet oder eher nicht. So entsteht eine Liste von Themen, die ich nach einer Priorisierung der Motive dann vor Ort abarbeite. Nicht immer gelingen schon beim ersten Besuch die besten Bilder. Viel Zeit kosten Location-Checks, die nötig sind, um den richtigen Standpunkt und die passende Aufnahmezeit für ein Motiv zu ermitteln. Hier gilt für mich die Maxime: „Weniger Licht ist mehr“.
Entwickeln und nachbearbeiten
DOCMA: Wie stehst Du zur Nachbearbeitung deiner Fotos?
Chris Martin Scholl: Um den Bildern meinen favorisierten grafischen Look zu geben, ist natürlich Nachbearbeitung angesagt. Auch hier lautet meine Devise: „Weniger ist mehr“. Bei der Basis-Entwicklung verstärke ich im Grunde nur die Kontraste ein wenig. Komplexer sind die Farbkorrekturen. Ich mag meine Bilder besonders in farbreduzierten Varianten. Dabei suche ich ein, zwei, maximal drei dominante Farben. Diese verstärke ich durch HSL-Korrekturen, also durch Änderungen von Farbton, Sättigung und Helligkeit. Meist entsättige ich alle anderen Farben abgesehen von den dominanten, bis sie nur noch erahnbar sind. Das Vorhandensein ganzer Farbspektren empfinde ich in meinen Bildern als störend und ich versuche die wesentliche Information auch farblich herauszuarbeiten.
Ganz ähnlich gehe ich bei den Details vor. Ich retuschiere in Photoshop all das, was ich bei der Aufnahme nicht ausblenden konnte und was da meiner Ansicht nach nicht hingehört, weil das den Purismus des streng grafischen Eindrucks stört.
Natürlich haben meine Fotos damit keinen dokumentarischen Anspruch mehr. Sie sind aber dennoch Bilder, die etwas zeigen, was es so auch gibt. Ich würde nie so weit gehen, Motive einfach nur wegen ihrer Ästhetik aus drei Aufnahmen verschiedener Orte zusammen zu montieren. Sie sollen schon etwas Reales zeigen, aber es muss nicht jeder Mülleimer, jedes Verkehrsschild oder jedes Graffitto mit ins endgültige Bild.
Wenn ich schon bei der Aufnahme merke, dass am Ende zu viel herausretuschiert werden müsste, lasse ich es inzwischen immer öfter sein und fotografiere erst gar nicht.
Fotos drucken
DOCMA: Im Gegensatz zu vielen eher auf die Online-Publikation von Fotos fokussierten Fotografen, druckst Du Deine Bilder aus und verkaufst sie als Fine-Art-Prints in kleinen Auflagen. Was reizt Dich am Fotodruck?
Chris Martin Scholl: Schon bei der Bearbeitung lasse ich meinen Fotos eine Menge Aufmerksamkeit zukommen. Am Ende steckt für mich in jedem Bild zu viel Arbeit, um das Ergebnis einfach nur ins Netz zu laden, wo es von den Betrachtern im besten Fall ein, zwei Sekunden lang angeschaut wird.
Ich habe mich, als mir das bewußt wurde, dafür entschieden, von jedem guten Bild zumindest einen Ausdruck zu machen. Im Druckprozess steckt für mich der kreative Abschluss eines Bildprojekts.
Zum einen verlängert der Ausdruck die Beschäftigung mit den eigenen Bildern, zum anderen erhöht er den Wert einer Arbeit. Gedruckte Bilder verschwinden nicht auf der Festplatte, man kann sie in die Hand nehmen, an die Wand hängen oder verschenken. Und sie lassen sich natürlich auch verkaufen. Daneben entsteht das, was die Amerikaner einen „Body of Work“ nennen, also eine haptische Sammlung von Ergebnissen, die man als sein persönliches Best-of immer wieder neu sortieren oder zusammenstellen kann. Mir macht das mehr Freude als Rankings am Bildschirm zu verteilen.
Farbmanagement
DOCMA: Und die technischen Hürden wie etwa das Farbmanagement?
Chris Martin Scholl: Das ist nach einer kurzen Einarbeitung eigentlich kein Thema mehr. Im Grunde reicht es aus, den eigenen Monitor mit einem Kalorimeter wie dem SypderX von Datacolor zu kalibrieren. Dann sind die Farben, die man selbst sieht, verbindlich. Das reicht für verlässliche Ergebnisse, wenn man mit einem guten Dienstleister zusammenarbeitet. Beim Selberdrucken kommt noch der sicher Umgang mit Farbprofilen hinzu. Aber die kann man von dem Webseiten der Hersteller herunterladen oder notfalls auch mit einem Messgerät selbst ausmessen.
Das Geschäft mit den Bildern
DOCMA: Kommen wir zum Geschäftsmodell. Wie schafft man es, sich von dieser augenscheinlich sehr freien Form der Fotografie zu ernähren?
Chris Martin Scholl: Wie schon erwähnt, arbeite ich für eine ganze Reihe verschiedener Kunden im Bereich Hotellerie, Touristik, Technik und Lifestyle. In der Regel werde ich von denen für konkrete Jobs beauftragt und dafür gebucht, dass ich Bilder in meinem typischen Stil mache.
Bei meinen Reisen funktioniert das etwas anders. Da lege ich das Ziel fest und suche unter den Kunden nach „Sponsoren“. Die bekommen dann für ihre Kanäle einen Teil der Bilder, Blog-Artikel oder andere Leistungen, die sie für ihre Kommunikation nutzen können. Und ich erhalte im Gegenzug ein kleines Honorar, Hotelübernachtungen oder die Übernahme anderer Reisekosten. Das ist natürlich keine Option zum Reichwerden (lacht). Im Alltag arbeite ich auch gelegentlich für ein Berliner Kiezmagazin und verkaufe meine Fine-Art-Prints.
Wenn es Auftragslöcher gibt, fülle ich sie mit Projekten in meinem Stammberuf als Softwarentwickler.
In letzter Zeit steigt allerdings die Nachfrage nach Webinaren, die ich zum Thema Fine-Art-Printing als „Friends with Vision“-Fotograf mit Datacolor abhalte.
DOCMA: Wir bedanken uns für das offene Gespräch.