Warum sollten sich Bildbearbeiter für Burgen interessieren? Sollen sie gar nicht unbedingt – jedenfalls nicht alle. Aber wer zum Beispiel Fantasy-Montagen macht oder Spiele mit historischem Hintergrund entwirft, sollte schon wissen, wie Burgen tatsächlich aussehen. Doc Baumann hat sich den neuen Bildband „Stone Age – Ancient Castles of Europe“ von Frédéric Chaubin angeschaut.
Natürlich dürfen sich auch alle anderen für Burgen interessieren, unabhängig davon, wie man das Wissen über diese Beispiele mittelalterlicher Architektur dann nutzt. Schließlich üben sie auf viele Menschen eine starke Faszination aus. Sie wirken oft geheimnisvoll, fast immer aber als einschüchternde Symbole für Stärke, Schutz und Macht – auch, wenn viele von ihnen zerstört, irgendwo auf bewaldeten Hügeln nur noch als Steinhaufen und Reste von Grundmauern erkennbar sind. Um so eindrucksvoller erscheinen jene, die die Jahrhunderte mehr oder weniger unbeschadet überstanden haben, und die in manchen Fällen sogar noch immer bewohnt sind.
Der großformatige (26 × 34 cm) Bildband aus dem Taschen Verlag versammelt 200 Burgen aus 21 Ländern Europas. Fünf Jahre lang, von 2015 bis 2020, ist Frédéric Chaubin dafür durch unseren Kontinent gereist. Die seitenfüllenden Aufnahmen zeigen die Bauwerke ausnahmslos von außen, oft eingebettet in die Landschaften, die sie einst beherrschten.
Das Buch eignet sich vor allem für Leserinnen und Leser, die einen visuellen Eindruck von der Vielfalt der Bauformen von Burgen gewinnen und sich an schönen und eindrucksvollen Fotos erfreuen möchten.
Allerdings gibt es – selten bei Bänden des Taschen Verlags – auch ein paar Kritikpunkte: Beginnen wir, da es ja ein Bildband ist, beim Fotografischen: Der Autor (und Fotograf) hat die Bilder mit einer Linhof-Fachkamera auf Filmmaterial aufgenommen, im Format 4 × 5 und 6 × 9. Da erwartet man eigentlich eine hohe Bildqualität. Leider ist das jedoch nicht der Fall. Gewiss, doppelseitige Aufnahmen verlangen eine Menge Daten – aber hochwertige Digitalkameras hätten da wohl bessere Ergebnisse geliefert. Zum einen lässt oft die Schärfe bei genauer Betrachtung zu wünschen übrig (was die Eignung als Coffee-Table-Book nicht schmälert), zum anderen wirken manche Bilder zu hell. Warum einige Seiten schwarzweiß gedruckt sind, erschließt sich nicht ohne Weiteres.
Auch inhaltlich ist nicht alles ganz befriedigend. Das beginnt beim missverständlichen, eher an Fred Feuerstein erinnernden Haupttitel. Zwar ist das kulturgeschichtlich konzipierte Vorwort (in Englisch, Deutsch und Französisch) durchaus lesenswert – die Informationen zu den einzelnen Burgenfotos sind allerdings ausgesprochen spärlich (und mitunter ohne gestalterische Notwendigkeit allzu weit vom beschriebenen Bild entfernt). Wer sich tiefergehend für die Details des europäischen Burgenbaus interessiert, sei etwa auf die dreibändige Ausgabe „Burg“ von Atzbacher, Grossmann u.a. von 2010 hingewiesen, die derzeit allerdings leider selbst in Antiquariaten kaum zu finden ist.
Ein Register sucht man vergeblich. Mittendrin, auf Seite 54/55, stößt man dann unerwartet auf eine Europa-Karte mit den markierten Stellen der Burgen-Standorte, daneben eine in sehr kleinem Schriftgrad gesetzte vierspaltige Liste mit den Namen, alphabetisch nach Ländern geordnet, dahinter die Seitenzahl (und davor eine wenig nützliche Durchnummerierung). Hat man diese Seite erst einmal entdeckt, wird die Orientierung einfacher; am Anfang oder Ende des Bandes wäre sie sinnvoller untergebracht gewesen. Auch die Unterteilung in fünf Kapitel wirkt willkürlich und folgt keinen einheitlichen Kriterien.
Fazit: Ein schöner Bildband, der die Vielfalt europäischer Burgen in einer bisher nicht angebotenen Breite in großen und gut komponierten Fotos präsentiert. Bestens geeignet für einen eindrucksvollen Überblick – weitergehende Informationen zum Thema werden entweder vorausgesetzt oder motivieren zur weiteren Vertiefung als Folge der Lektüre.
Frédéric Chaubin: Stone Age. Ancient Castles of Europe, Taschen Verlag 2021, gebunden, Großformat, 416 Seiten, 50 Euro
Wiedergaben einiger Doppelseiten finden Sie hier.