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Bildpoetik: 50mm F/1.2

Mit dem neuen Sigma 1.2/50mm DG DN Art bereichert eine weitere lichtstarke Normalbrennweite das Marktrepertoire dieser wieder in Mode gekommenen Objektivgattung der Motivpoeten.

Weiche Vorder- und Hintergründe lassen auch größere Szenen ein wenig poetisch erscheinen. Um den Effekt zu würdigen, muss man aber etwas genauer hinschauen.
Weiche Vorder- und Hintergründe lassen auch größere Szenen ein wenig poetisch erscheinen. Um den Effekt zu würdigen, muss man aber etwas genauer hinschauen lernen.

Ein guter Grund, sich einmal zu fragen: Wer braucht eigentlich solche Objektive, die vor allem wegen ihrer Weichzeichnugsqualitäten Liebhaber finden? Wir haben das Sigma 1.2/50mm DG DN Art einige Wochen leihweise getestet und kommen – ohne Wenn und Aber – zu folgendem Ergebnis: Optisch, vor allem in Sachen Schärfe, spielt dieses Objektiv in der obersten Liga. Gleiches gilt für die Qualität der Unschärfe – heute vielen unter dem Begriff „Bokeh“ geläufig: Dank 13 Lamellen entstehen hier bei offener Blende wunderbar weiche Vorder- und Hintergründe um das knackig scharfe Motiv im Fokus.

Bildpoetik: 50mm F/1.2

Aufgeblendet ist das Sigma 1,2/50mm ideal, um fast alles, was einem vor die Linse kommt, in ein eindrucksvolles Porträt zu verwandeln: Menschen, Pflanzen, Details. Selbst viele größere Objekte gewinnen optisch, wenn sie dank Blende 1:1.2 im Vorder- und Hintergrund weich in ihre Umgebung übergehen, oder sich kleinteilige Hintergründe sogar in abstrakte Farbflächen verwandeln.

Bildpoetik: 50mm F/1.2

Polarisierung

Sie merken, ich gerate ins Schwärmen. Nüchtern betrachtet liefern andere Festbrennweiten mit etwas geringerer Lichtstärke und weniger Blendenlamellen bei offener Blende auf den ersten Blick ähnliche Ergebnisse. Diese Objektive punkten vor allem dann, wenn es dem Fotografen weniger auf die visuelle Cremigkeit der Hintergründe als auf den Preis ankommt. Auch in Sachen maximaler Detailschärfe kommen einige Objektive, die kürzer, leichter und/oder günstiger sind, dem Sigma 1.2/50mm nahe.

Scharf bis in die Ecken, wenn es das Motiv erfordert – hier auch bei Blende f/1.2. Bildpoetik: 50mm F/1.2
Scharf bis in die Ecken, wenn es das Motiv erfordert – hier auch schon bei Blende f/1.2

Rational betrachtet hat die Entscheidung für ein solches Objektiv also mehr mit einer fotografischen Weltanschauung zu tun als mit vordergründigem Pragmatismus. Die Abbildungsleistung solcher Optiken (und damit meine ich nicht nur das Sigma 1.2/50mm DG DN Art) im Detail zu würdigen, ist das Ergebnis eines längeren Erfahrungsprozesses.

Eine lange Geschichte in Kürze

Als ich vor etwa 45 Jahren mit der Fotografie begann, gehörte zur Grundausstattung meiner Praktica LLC ein Meyer Optik 50mm f/1.8. Die ersten 10 Jahre lang nutzte ich die Offenblende nur, um schlechte Lichtverhältnisse auszugleichen. Eher beiläufig entdeckte ich die Schönheit weicher Unschärfe bei Porträtaufnahmen – und vergaß diese Möglichkeit gleich wieder, weil mir das Spiel mit verschiedenen Brennweiten, Zoomobjektiven und Blitzgeräten bildgestalterisch viel interessanter erschien. Mit dem Kauf meiner ersten digitalen Spiegelreflexkamera vor 20 Jahren erwarb ich wieder ein 50 mm Normalobjektiv, diesmal mit Blende 1:1.4. Zunächst begeistert von den optischen Freistellmöglichkeiten, wandte ich mich bald wieder den im Alltag so viel praktischeren Zoomobjektiven zu.

Durch eine zufällige Begegnung mit einem Fotografen, der sich auf Anraten seines Fotofachhändlers ein Canon L 50 mm 1:1,2 gekauft hatte und nicht recht wusste, was er damit anfangen sollte, hatte ich die Gelegenheit, ein paar Tage mit diesem Objektiv zu spielen. Das war mein Erweckungsmoment. Zuerst scheute ich die Ausgabe für das Canon L 50mm f/1.2 und fotografierte etwa ein Jahr lang fast ausschließlich mit meinem Canon 50mm f/1.4. Dann überwand ich meine Zurückhaltung und kaufte die teurere Version. Diese Liebe dauerte fast drei Jahre. Bis zu dem Tag, an dem ich für eine Illustration die Blende von f/1.2 auf f/5.6 schliessen musste und mir klar wurde, dass mein teures Objektiv leider nicht in der Lage war, ein wirklich scharfes Bild zu erzeugen. Ein Werkstattaufenthalt machte die Sache nicht besser, und so kaufte ich aus Frust das damals brandneue Sigma 50mm F/1.4 Art – und war doppelt zufrieden.

Zum direkten Vergleich, um dem Poesie-Faktor einer Blende f/1.2 auf die Spur zu kommen: Hier eine Rote Agave aufgenommen mit Blende 8.
Zum direkten Vergleich, um dem Poesie-Faktor einer Blende f/1.2 auf die Spur zu kommen: Hier eine Rote Agave, aufgenommen mit Blende 8.
Allein die Veränderung zu Blende f/1.2 entfernt viele der störenden Hintergrundlemente.
Allein die Veränderung zu Blende f/1.2 entfernt viele der störenden Hintergrundlemente.

Das Bokeh erschien zwar nicht ganz so ausgeprägt, aber dafür hatte ich nun auch in Sachen Bildschärfe eine Premium-Optik. Auf Dauer konnte aber auch das neue Sigma meine Bokeh-Sucht nicht ganz befriedigen, und so habe ich mir im Laufe der Zeit eine ganze Reihe lichtstarker 50er zugelegt. Fast alle hatten mehr Nachteile als Vorteile. So manch ausdrucksstarkes Bokeh war mir nach einigen Wochen zu langweilig oder zu aufdringlich. Manuelle Objektive dieser Art sind – vorsichtig ausgedrückt – eine Herausforderung. Ein (für meinen Geschmack) wirklich perfektes Bokeh in Kombination mit maximaler Schärfeleistung und hoher Alltagstauglichkeit fand ich vor dem neuen Sigma 1.2/50mm DG DN Art nur bei Sonys 1.2/50mm GM.

Persönliche Meinung

Auch als Hintergrundberuhiger für Porträts eignen sich lichtstarke 50mm f/1.2-Objektive. Es darf dann nur nicht zu hell sein.
Auch als Hintergrundberuhiger für Porträts eignen sich lichtstarke 50mm f/1.2-Objektive. Es darf dann nur nicht zu hell sein.

Wenn ich mich demnächst zwischen den beiden entscheide, werde ich vermutlich dem Sigma 1.2/50mm DG DN Art den Vorzug geben, vor allem wegen des um rund 800 Euro günstigeren Listenpreises. Die etwas schlankere Bauform bei fast gleicher Länge und das um 38 Gramm geringere Gewicht sind aus meiner Sicht nur eine nette Zugabe. Technische Details zum Sigma 1.2/50mm DG DN Art finden Sie hier.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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