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Bildkritik: In aller Öffentlichkeit …

Ich bin ja nicht so leicht zu schockieren. Aber das Großwandplakat, das uns unser Leser Alfred Ruby zugeschickt hat, hat mich dann doch wirklich vom Hocker gehauen! Wie kann es sein, dass in #MeToo-Zeiten eine Frau mit einer so intimen Geste in aller Öffentlichkeit präsentiert wird? Da gehen doch wahrscheinlich auch Kinder vorbei. Deren wird immer wieder gesagt, sie sollen nicht an sich rumspielen … und dann so was …

Auch Alfred Ruby war entsetzt, als er dieses Plakat an einem Supermarkt-Parkplatz in Nieder-Ramstadt entdeckte. Sogar gleich zweimal. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, wofür dort geworben wird, auch die Webseite, die ich ergoogelt habe, macht mich nicht viel schlauer.“ Geht mir genau so. Auch ich bin nicht dahintergestiegen, was diese „Icon League“ ist, was sie macht und zu was diese Werbung motivieren will. Wenn nicht dazu, hinterhältig unsere Kinder auf schreckliche Gedanken zu bringen?

Doch bevor Sie weiterlesen, muss ich gleich zurückrudern! Obwohl ich mir den fraglichen Bildauschnitt extra in stark aufgehellten Zustand angeschaut hattte, liege ich mit meiner Kritik an der angeblichen Bildbearbeitung wohl daneben. Wenn, dann haben wahrscheinlich ich, Einsender Alfred Ruby und dann auch noch der Fotograf Kritik verdient, der ein so missverständliches Foto verwendet hat.

Dennoch lösche ich den weiteren Text nicht, damit Sie sehen, wie leicht man sich irren kann, wo doch alles so gut begründbar ist. Richtiggestellt hat das in seinem Kommentar auf der DOCMA-Website mein Kollege Michael J. Hussmann, der feststellte, dass es sich bei dem fraglichen Stück Haut nicht um einen deplatzierten Arm handelt, sondern um den Bauch – die scheinbare Rundheit kommt daher, dass der Schatten der darauf fallenden kurzen Lederjacke diese Fehlinterpretation erlaubt. (Ich hatte das zwar auch gesehen, aber da ich bezüglich weiblicher Mode nicht auf dem Laufenden bin, hatte ich angenommen, eine Jacke könne nicht so kurz sein.) Außerdem hatte mich, auch wenn ich diese Alternative erwogen hatte, die absolut senkrechte linke Kante des Hautbereichs irritiert, die ebenfalls durch den Rand der Lederjacke verursacht sein dürfte.

Also, lesen Sie den Rest – falls Sie das unter diesen Umständen nicht ohnehin für Zeitverschwendung halten – als Eingeständnis eines Irrtums. Immerhin sind sind Alfred Ruby und ich nicht damit allein – die freundlichen Like-Vergeber sind ebenso darauf hereingefallen.

 

Immerhin weist der Name „Icon“ darauf hin, dass es hier irgendwie um Bilder gehen muss. Also sollten wir das Bild ernst nehmen und uns in guter ikonographischer Tradition fragen, was es aussagen könnte.

Vier Männer und eine Frau. Das ist ja schon mal verdächtig. Gibt aber nicht viel her. Viel verdächtiger ist, dass die drei hellhäutigen Männer auf dem Bild überdeutlich ihre beiden Arme präsentieren, als wollten sie ausdrücken: Wir waren’s nicht! Nur einer versteckt beide Arme. Nehmen wir kriminalistisch die Maxime von Sherlock Holmes zu Hilfe: „Wenn Sie das Unmögliche ausgeschlossen haben, muss das, was übrigbleibt, wie unwahrscheinlich es auch sein mag, die Wahrheit sein.“ Bleibt nur einer übrig, der in Frage kommt. Das Plakat ist also nicht nur frauenfeindlich, sondern auch noch rassistisch.

Natürlich muss man sich fragen – „wie unwahrscheinlich es auch sein mag …“ –, wie der es schafft, aus dieser Entfernung gezielt in die Hose zu fassen. Eigentlich kennt man diese Formulierung ja nur von der „Gegenseite“ – der lange Arm des Gesetzes. Hier wäre es ein ungesetzlich langer Arm.

 

Aber halt! Woran erinnert uns das? „Wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles tun. Du kannst alles tun […] Ihnen an die Muschi greifen. Du kannst alles tun.“ Wer hat’s gesagt? Nicht die Schweizer, sondern der frühere und künftige Präsident der USA, Donald Trump, gewählt von Abermillionen Frauen. Das Plakat visualisiert also ein Trump-Zitat, und da die Bildsprache sich von der Aussage nicht distanziert, propagiert sie es offensichtlich auch noch. Da kommt ja einiges zusammen …

Irgendwie erinnert das ja auch noch migrantentechnisch betrachtet an: „Zum Beispiel ist ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt worden, im Bereich Unterweser (…) wenn so etwas passiert und man greift aus political correctness nicht ein und macht Täter nicht dingfest, das ist Anarchie dann.“ Das hat nicht Donald Trump gesagt, sondern der AfD-Politiker Uwe Wappler. Schlimme Zeiten – blöd nur, dass der Vorfall gar nicht passiert ist, was er dann auch eingestand. Die übliche Taktik: erst laut anprangern, und wenn sich das Gerücht ausreichend verbreitet hat, kleinlaut zurückrudern.

Aber noch mal zu Sherlock Holmes. „Wenn Sie das Unmögliche ausgeschlossen haben …“ Eigentlich kann ein Arm ja gar nicht so lang sein. Was bedeuten würde, dass keiner der Männer hier übergriffig wurde, sondern sie selbst untergriffig? Man mag sich’s gar nicht vorstellen.

Das war also die klassische ikonographische Interpretation.

 

Aber Moment mal – gerade lese ich am Ende der Mail von Alfred Ruby noch die Zeile: „Einzig interessant ist für mich, dass es augenscheinlich auch jenseits der generativen Bilder noch schöne klassische Fehlleistungen bei der Montage gibt.“ Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen 😉 Also noch mal Holmes: „Wenn Sie das Unmögliche ausgeschlossen haben …“ Ja, in der Tat – verlängert man den anstößigen Unterarm nach oben, so endet er irgendwo im Halsbereich, aber gewiss nicht am Schultergelenk der Frau. Und weil es auch nicht möglich ist, dass bei dieser Ausrichtung jemand ungefragt von hinten Trump-mäßig aktiv wird, bleibt tatsächlich – Dr. Watson sei’s gedankt – nur eine Option übrig: die angesprochene „Fehlleistung bei der Montage“. 

Umgehende Entschuldigung bei allen zu Unrecht Verdächtigten! Hellt man das Bild stark auf, ist zu erkennen, dass der anrüchige Arm oben in einem schwarzen Ärmel steckt und sogar noch eine Schulter dranhängt, die bis in den Ausschnittbereich der Frau ragt. An dieser Stelle kann aber niemand stehen, nicht einmal jemand, der kurz zuvor von der Guillotine gestiegen ist. So bestätigt sich also nach Ausschluss aller Unmöglichkeiten der Schluss: Der Bildbearbeiter war’s! Offen bleibt, ob aus Unfähigkeit, Schlamperei … oder Rache? Jedenfalls hat’s mal wieder keiner gemerkt in Bildbearbeitung, Agentur, Auftraggeber, Druckerei …  

Wie gut, dass KI demnächst Menschen ersetzen wird! Wahrscheinlich wird sie’s besser machen, und wenn nicht, war wenigstens niemand schuld.

 

Na ja, vielleicht sollte bilderkennende KI auch Bildkommentatoren ersetzen, damit solche Pannen nicht mehr vorkommen.

 

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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7 Kommentare

  1. The Icon League findet man in Wikipedia.
    https://de.wikipedia.org/wiki/The_Icon_League
    Der erblondete Mann in der Mitte sollte in Deutschland ein nicht unbekannter Fußballspieler sein.
    Über die Qualität des Werbeplakats zu urteilen ist, wie immer bei Geschmacksfragen, müßig.
    Warum die Abbildung der Frau so ungeschickt manipuliert wurde muss man den Gestalter fragen. Abgesehen von der mehr als seltsamen Position des Arms stellt sich mir die Frage, warum sie rechts eine glänzedne Jacke zu tragen scheint, links eher eine stumpfschwarze Jacke oder Weste oder wie immer die Mode solche Klamotten zur Zeit nennt. Mode unterliegt ebenso einer beliebige Beurteilung, also sinnbefreit.

  2. Vielen Dank für die Aufklärung in Sachen Fußball. ich muss gestehen,dass das nicht gerade ein Bereich ist, der mich sonderlich interessiert – weswegen mir auch die abgebildeten Petrsonen nicht bekannt waren.

    Über Geschmacksfragen zum Plakat hatte ich mich übrigens gar nicht geäußert, sondern nur zu einem ganz konkreten Element, das – sofern man nicht gerade Donald Trump heißt – ziemlich danebengegangen ist.

  3. Ich vermute, dass der vermeintliche Arm gar keiner ist. Die Frau trägt unter einer kurzen Lederjacke ein bauchfreies Top, und die Haut, die wir hier sehen, ist ihr Bauch. Ich meine sogar links einen Bauchnabel zu erkennen, möglicherweise mit einem Piercing unten. Dass der Bauchnabel relativ zur Jeans nicht mittig ist, könnte daran liegen, dass sie den Oberkörper zur Seite dreht, nicht aber ihre Hüfte. (Übrigens eine Pose, die man schon in Gemälden der Renaissance findet: Hüfte gerade, Oberkörper zur Seite verdreht, aber die Augen dann wieder geradeaus).

    Was die „Icon League“ eigentlich ist, habe ich auch nach flüchtigem Durchsehen der Website nicht verstanden, aber da dort nur eine einzige Frau dabei ist, müsste es sich um die Fußballreporterin Laura Wontorra (https://de.wikipedia.org/wiki/Laura_Wontorra) handeln; ich hätte sie auf diesem Bild allerdings nicht erkannt.

    1. Also ein Bauchnabel in dieser Position ist anatomisch unmöglich bei dieser Schulter- und Hüftposition.
      Hier wird es sich um eine Delle im Plakat (durch einen Nagel darunter oder Ähnliches) handeln, zumal dieser „Nabel“ in digitalen Versionen des Bildes nicht vorkommt.

  4. Ich habe mal alle fünf hier Abgebildeten zu identifizieren versucht: Ganz links steht Felix Kroos, rechts davon wohl Laura Wontorra, in der Mitte Toni Kroos, auf der rechten Seite vermutlich Niklas-Wilson Sommer (nie gehört …) und ganz rechts vielleicht Luka Ouzounis. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannte Fußballspieler sind aber eigentlich nur die Kroos-Brüder.

  5. Ach du heiliger Bimbam. Der Anfang allen Übels stammt von mir: ich bin derjenige, der das Bild fotografiert und missinterpretiert hat -und dann habe ich auch noch den von mir verehrten Altmeister der Bildkritik, dessen Schule des Sehens mir sehr viel bedeutet, damit auch noch auf die falsche Spur gelenkt. Ich bedauere das sehr und bitte um Vergebung.

    1. Nee, nee, so geht’s ja nicht! Ich heiße doch nicht Christian Lindner und sage jetzt, das hat mir ein Leser zugeschickt, ich habe das damals aber nicht zur Kenntnis genommen – dann aber trotzdem veröffentlicht, ohne mir das Bild noch mal angeschaut zu haben. Vielleicht haben in der Tat Zusendung und Kommentar meine Wahrnehmung in gewisser Weise beeinflusst – „Bias“ nennt man das mittlerweile –, aber ich bin, trotz Aufhellung des Bildes, zum selben Ergebnis gekommen wie er, und da Michael J. Hussmann mit seiner Analyse höchstwahrscheinlich recht hat, ist es einfach ein schlechtes und undurchdachtes Foto. Nicht, um die Schuld von mir (uns) abzuschieben, sondern weil das Foto auf den ersten (und auch noch zweiten und dritten) Blick diese Fehlinterpretation sehr nahelegt. Auf jeden Fall kann ich mich nicht damit herausreden, unser Einsender sei schuld. Ich fand seine Bildkritik auch nach einer Überprüfung überzeugend und richtig., und nun sind wir dennoch eines Besseren belehrt worden. Das Bessere ist, wie schon Voltaire schrieb, der Feind des Guten. Oder meinetwegen auch der Freund.

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