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Bildkritik: Immer dieses Misstrauen!

Wie Sie in nur 42 Tagen um Jahrzehnte jünger aussehen

Manche Menschen sehen in Zeiten digitaler Montagen und vor allem KI-generierter Bilder überall nur noch Fälscher am Werk und wollen einfach nicht mehr an die vertrauenswürdige Authentizität solcher Fotos glauben. Nur weil ihre Phantasie nicht ausreicht, sich vorzustellen, dass eine Frau mit einem wundersamen Kosmetikartikel in nur 42 Tagen um 30 Jahre jünger aussehen kann, erklären sie einfach solche Fotos für fragwürdig. Ein Jammer!

Garantiert authentisches Foto aus Ägypten, das beweist, welche verblüffende Wirkung eine Verjüngungs-Kosmetik auf das Gesicht einer Jahrtausende alten Mumie hatte. Ich sehe die Kommentare schon vor mir: Von wegen Fotos, das ist KI-generiert! Lasst Euer Misstrauen doch mal stecken und glaubt einfach dem, was Ihr mit eigenen Augen seht!

 

Kürzlich erhielt ich eine Mail von unserem Leser Jo Steinmetz, der mir schrieb:

„Schlimmer geht nimmer? Doch! Hier der Beweis: siehe Anlage (JPG). Es stellt sich die Frage: Wurde eine junge Frau auf „alt getrimmt“ oder eine alte auf „jung“! Möglicherweise stammen beide Frauen auch aus einer KI-Schmiede! Ich wollte Sie über dieses zumindest unseriös in Szene gesetzte „Wundermittel“ in Kenntnis setzen. Da traut man (fast) seinen Augen nicht!“

Warum müssen die Menschen immer so misstrauisch sein und können nicht einfach mal akzeptieren, dass die moderne Wissenschaft tatsächlich wahre Wunder vollbringen kann. Von wegen KI-generiert! Das sieht man doch auf den ersten Blick, dass das authentische Fotos sind. Außerdem habe ich neulich von derselben Firma ebenfalls eine solche Werbung eingeblendet bekommen – aber mit einer ganz anderen Frau. Es wird doch keiner behaupten wollen, jemand würde sich die Arbeit machen wollen, diesen tollen Effekt gleich zweimal zu faken, wenn man einfach das Wundermittel einer Frau aufs Gesicht schmieren kann und dann nur 42 Tage warten muss, bis sie aussieht wie ihre eigene Tochter.

Wie viel Mühe die Fotografen sich gegeben haben, sieht man schon daran, dass sie bei dem ersten exakt denselben Hintergrund gewählt haben, pixelgenau bis zu jedem Blümchen – vor allem aber, dass es die Visagistin geschafft hat, jedes einzelne Haar bei der 42-Tage-später-Aufnahme in exakt dieselbe Position zu bringen wie beim ersten Foto. Haargenau, sozusagen. Man mag sich gar nicht vorstellen, was das für eine unglaublich akribische Arbeit gewesen sein muss. Und bei dem anderen Foto nochmal genau dasselbe. Umwerfend! So was geht doch wahrscheinlich mit KI gar nicht … oder?
(Dass es in den zwei Zeilen der großen Bildunterschrift gleich drei typographisch-grammatische Fehler gibt, hat ja nichts mit der Wirksamkeit des Mittels zu tun.)

Für eine tausendprozentige Authentizität bürgt zudem das über jeden Zweifel erhabene Gremium „Die Höhle der Löwen“, wo dieses Mittel laut Werbung vorgestellt wurde.

Nun bin ich bei meinen Recherchen im Web, ob eine solche Wirkung tatsächlich möglich ist, zufällig auf eine ägyptische Website gestoßen mit dem Titel „makhba alnamir“ (übersetzt „Der Unterschlupf der Tiger“). Dort wird berichtet – leider auf arabisch, können Sie ja wahrscheinlich sowieso nicht lesen –, dass im ägyptischen Fernsehen ein Mittel angeboten wurde, das vergleichbare kosmetische Wirkungen versprach. Eine skeptische Praktikantin des Museums, die bei Ausgrabungen nahe dem kleinen Ort Alqaryat alati dufin fiha alkalb beteiligt war, hatte probeweise ein ganzes Fläschchen der neuen Kosmetikflüssigkeit auf das Gesicht einer dort gefundenen Mumie geschüttet. Erwartungsgemäß passierte … nichts!

Die Mumie wurde verpackt und in das neue ägyptische Museum in Kairo gebracht. Erst 42 (wenn das nichts mit Douglas Adams zu tun hat!) Tage später wurde sie dort wieder ausgepackt. Doch wer beschreibt die Verwunderung und das Entsetzen der Archäologen, als sie die Verpackungsschichten entfernten! Ich will Sie gar nicht mit einer Beschreibung dessen langweilen, was sie sahen. Worte können ja lügen. Aber das garantiert authentische Foto am Anfang dieser Seite zeigt die nun unbezweifelbare Wirkung – ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte und ist absolut vertrauenswürdig.
(Mancher wird jetzt vielleicht sagen: Na gut, aber die Mumie war ja auch hervorragend erhalten. Da ist eine solche Verjüngung doch kein Kunststück. Zugegeben – aber ich finde die Wirkung trotzdem beeindruckend.)

Das leidige Misstrauen Bildern gegenüber zeigt auch ein anderes Beispiel aus der Werbung. Da wird das Buch eines Unternehmensberaters präsentiert. Einsenderin Ute kommentiert das so:
„Dass das eine völlig daneben gegangene Montage ist, erkennt man auf den ersten Blick. Der Herr auf dem Foto hält sein Buch ja nicht mal in der Hand, sondern es schwebt ein paar Zentimeter darüber. Und es ist doppelt so groß wie sein Kopf und müsste dann knapp einen halben Meter hoch sein; dabei kann man leicht nachschlagen, dass es nur 22,9 cm hoch ist.“

Schon wieder dieses Misstrauen! Warum soll das denn bitteschön kein echtes Foto sein? Warum soll ein Buch nicht ein bisschen schweben? Luftballons und Bienen schweben ja auch. Vielleicht hat er es einfach gerade ein bisschen in die Höhe geworfen. (In der Bildunterschrift heißt es sogar ausdrücklich: „Dieses Buch ist von einer tiefen Weisheit getragen.“ Und deren Hand ist ja bekanntlich unsichtbar.) Hätte man den Eindruck erwecken wollen, das Buch sei größer, als es wirklich ist, hätte der Herr es ja einfach näher an die Kamera halten können. Dabei lässt sich die Argumentation von Ute kinderleicht vom Kopf auf die Füße stellen: Das Foto ist echt und das Buch ist 22,9 cm hoch. Fertig! Und wenn der Kopf dann etwas kleiner wirkt – übrigens bei weitem nicht um die Hälfte, sondern immerhin 55% der Buchhöhe –, dann ist er eben nur 12,6 cm hoch. Gibt’s dagegen irgendwelche diskriminierenden Einwände?

Vielleicht bin ich mit meinen Bildkritiken der letzten Jahrzehnte ja sogar ein wenig mit Schuld an diesem Misstrauen Bildern gegenüber. Aber wir sollten die Kuh mal auf dem Eis lassen, oder wie das Sprichwort auch immer heißen mag.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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