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Bild oder Abbild?

Jüngst schrieb ich über die strengen Maßstäbe, die die neuen Eigner der Fotocommunity 500px an dort präsentierte Bilder stellen. Gestern stellte sich mir anlässlich einer Vernissage die Frage, was überhaupt ein Bild ausmacht. Bild oder Abbild? Das ist hier die Frage.

Dass die Bilder, mit denen der Fotograf Michal Karcz jüngst bei 500px aneckte, keine Fotos realer Szenen sind, erkennt man meist auf den ersten Blick; sie sind auch ausdrücklich als Montagen gekennzeichnet. Allerdings sollen sie realistisch wirken; der Betrachter soll den Eindruck gewinnen, dass es das, was das Bild zeigt, tatsächlich geben könnte – und dass ein Foto davon dann genau so aussehen würde. Ähnliches gilt für viele Bilder, die wir in DOCMA vorstellen, und deshalb insistieren wir darauf, dass man sich bei der Perspektive und dem Schattenwurf keine Nachlässigkeiten erlauben darf.

Bild oder Abbild?
Bild oder Abbild? Sinneswandel (Claudia Tejeda)

Aber das ist nur eine Art von Bildern. In der bildenden Kunst ist die realistische Abbildung einer realen oder möglichen Welt schließlich schon lange keine Bedingung mehr. In der abstrakten Kunst ist das offensichtlich – einem ab etwa 1914 entstandenen Mondrian-Gemälde kommt man nicht mehr mit der Perspektive bei, und Malewitschs Schwarzes Quadrat wirft keine Schatten –, aber auch die gegenständliche Kunst hat sich vom Abbild nach den Gesetzen der Optik emanzipiert. Surrealisten wie Max Ernst, René Magritte oder Salvador Dalí haben bewusst gegen die Regeln einer realistischen Wiedergabe verstoßen, aber auch Realisten und Naturalisten – der kunstgeschichtliche Begriff des Realismus bezieht sich mehr auf die Auswahl der Sujets als auf die realistische Malweise – strebten durchweg keinen Trompe-l’œil-Effekt an. Das Bild blieb als Gemälde und damit als physisches Objekt erkennbar, und wenn man näher daran heran tritt, zerfallen naturalistisch dargestellte Details in ein abstraktes Muster einzelner Pinselstriche. Das steht im Gegensatz zur digitalen Kunst, die sichtbare Pixel strikt vermeidet – man soll nicht sehen, woraus das Bild besteht. Entsprechend sollen auch die Quellbilder des Compositing so miteinander verschmelzen, dass das Bild einheitlich wirkt und der Eindruck erhalten bleibt, es könnte die reale Welt abbilden. Der Digital Artist erwartet vom Betrachter eine „suspension of disbelief“, also eine Bereitschaft, sich täuschen zu lassen, aber der Betrachter erwartet seinerseits vom Künstler, dass er die Täuschung nicht durch sichtbare Spuren der Bearbeitung oder gar offenkundige Fehler zunichte macht.

Bild oder Abbild?
Bild oder Abbild? Two circles (Heike Baltruweit)

Wie gesagt, das ist ein künstlerischer Weg, aber es gibt auch andere. Gestern war ich bei der Vernissage einer Ausstellung zweier Hamburger Fotografinnen, die auf ihre Art – die eine legt Wert darauf, unbearbeitete Fotos zu zeigen, während die andere in der Bildbearbeitung in die Vollen geht – Wege beschreiten, auf denen eine realistische Abbildung keine Rolle spielt. Heike Baltruweit beweist in ihrer Fotografie ein Auge für die Formen und Farben alltäglicher Motive, die sie durch den Bildausschnitt isoliert. Die Fotos wirken stets flächig, und wenn Baltruweit mit verschiedenen Ebenen spielt, etwa durch die Einbeziehung von Spiegelungen und verzerrenden Durchblicken durch Glas, ist die Tiefendimension nicht klar erkennbar. Manche ihrer Bilder zeigen bizarre Schlagschatten aus dem Nichts, weil der Schatten werfende Gegenstand außerhalb des Bildausschnitts liegt. Obwohl die Fotos eine so vorgefundene, nicht manipulierte Realität abbilden und keine nennenswerte Bearbeitung erfahren haben, wirken sie allein durch ihre Farben und Formen und gleichen darin abstrakten Bildern.

Bild oder Abbild?
Bild oder Abbild? Abgelutscht (Claudia Tejeda)

Claudia Tejeda kombiniert Fotos mit in einer Mischtechnik hergestellten Bildern, meist von menschlichen Figuren oder Fantasiewesen, die in eine Straßenszene versetzt werden, aufgenommen irgendwo zwischen Hamburg und New York. Der gewollte Bruch der Stile und Techniken macht die Bilder zu Collagen, auch wenn die Komponenten nicht aufeinander geklebt, sondern digital in Ebenen geladen und überblendet werden. Nur farblich passt sie die collagierten Bestandteile aneinander an, was dann zu Lasten einer realistischen Anmutung der Fotos geht – die aber auch nicht angestrebt ist.

(Heike Baltruweit)

Bilder müssen keine Abbilder einer (möglichen) Welt sein. Fotografien brauchen keine problemlos erkennbaren Motive zu zeigen, sondern können allein durch ihre formalen Aspekte wirken, und wer Bilder in Photoshop kombiniert, darf sich die Freiheit nehmen, sichtbare Brüche bestehen zu lassen und auf eine physikalisch plausible, realistische Anmutung zu verzichten.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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3 Kommentare

  1. Ja, Michael Hußmann,
    da liegen wir genau auf einer Linie. Ich stelle genau diese beschriebenen Fotocollagen her und die überwiegende Anzahl der Betrachter meiner Bilder teilt den Standpunkt, das Fotografie auch indiesem Gewand daher kommen darf. Warum sollte diese Art von Bildern weniger zulässig sein als ein „nur“ fotografiertes „unmanipuliertes“ Bild. In der Kunstgeschichte hat es schon so oft selbsternannte Experten gegeben die neue Kunstrichtungen abgetan haben und heute längst eines besseren belehrt wurden.
    Jeder kreative Mensch sollte unbeeinflusst seine Ausdrucksform finden und entwickeln. Vielen Dank für diesen interessanten Artikel.

  2. Es geht um Bilder, bei Bildern werden doch, wie auch bei den meisten anderen Dinge im Leben, die Emotionen angesprochen. Das entscheidet dann, ob ein Bild subjektiv gefällt oder nicht.
    Wenn bei einem Composing, das eine möglicherweise oder phantasievoll gestaltete Szene beschreibt, Perspektive oder Licht und Schatten nicht stimmen, dann bedeutet das ja nur, dass nicht sorgfältig gearbeitet wurde. Gibt es in einem Composing drei Monde und 2 Sonnen, so kann es stimmen, wenn dies durch das Bild erklärt wird.
    Bei den hier gezeigten Bildern mag es zwar für Insider von Relevanz sein wie sie entstanden sind, für den Beurteilung eines Bildes ist es jedoch schnurzegal. Von einem Bild fühlt man sich angesprochen oder nicht, egal ob Öl auf Leinwand, auf Metall, auf Holz, egal ob Pixel oder chemischer Film.

  3. Ic halte es wie ein mir bekannter Kunstsammler: „Ich kaufe nur, was mir gefällt und hänge es an ie Wand. Das kann gegenständlich oder surreal sein!“
    Natürlich sollen Fotos in Reportagen nicht verfremdet werden, aber sonst ist alles erlaubt. Einigen wird es nicht gefallen, anderen schon – wie alles im Leben.
    Destruktiv ist es, ein Höhe-Breite-Verhältnis vorzuschreiben, was kürzlich bei einer Ausstellung passierte. Dies erst, nachdem die Bilder eingereicht wurden. Man wollte exakt Din A3-Abmessungen – notfalls durch Verzerrung oder Beschnitt. Kunst über das Format zu limitieren, finde ich unsinnig, denn das Format sollte dem Bildinhalt folgen.

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