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Bibliotheken: Bilder aus Bücher-Labyrinthen

Bibliotheken
Cover der deutchsprachigen Ausgabe von „Die schönsten Bibliotheken der Welt“ © Taschen Verlag

Es gibt etliche schöne Bildbände über Bibliotheken in aller Welt – aber kaum einer dürfte schöner und gewichtiger sein als der gerade im Taschen Verlag erschienene Band von Massimo Listri. Mit großen Fotos und ausführlichen Texten nimmt er Sie mit in die Welt der alten Bücher – lediglich der warme Geruch nach Papier, Leder und Holz fehlt noch. Doc Baumann hat sich das Werk für Sie näher angeschaut.

Irgendwann war ich beim Blättern, Staunen und Lesen auf Seite 410 angelangt – bei der Bibliothek des Klosters Melk. Umgehend begannen die Assoziations-Zahnräder in meinem Gehirn zu rotieren. Die barocke Pracht der abgebildeten Räume verblasste in diesem Augenblick ein wenig. Ich dachte an eine andere Zeit, viele Jahrhunderte zuvor, im Hochmittelalter. Und an eine Gestalt dieser Epoche, die nie gelebt hat und doch vielen Leser/innen weit vertrauter ist als reale Menschen aus jenen Tagen: Adson von Melk.

Erinnern Sie sich an ihn? Über Adson lernte ich die merkwürdigste Bibliothek kennen, die ich jemals betreten habe. Die Seltsamkeiten begannen damit, dass ihr Inneres rund 20 Kilometer von ihrer Außenfassade entfernt war. Hatte man die Eingangspforte passiert, erwartete einen ein düsteres Labyrinth aus fleckigen Steinmauern und und hölzernen Treppen, von denen viele im Nichts endeten.

Bücher oder Regale gab es nur in wenigen Räumen des gigantischen Komplexes. Doch die meisten Bücherwaren inhaltsleer und bestanden lediglich aus den Rücken mit kaum lesbarer Beschriftung. Viele waren noch weniger real und lediglich an die Wände gemalt. Und jene, die sich tatsächlich öffnen und durchblättern ließen, besaßen nur wenige beschriebene Seiten. Diese allerdings zierten mittelalterliche Handschriften und aufwendige Illuminationen – die allerdings, schaute man ganz genau hin, irgendwie unbefriedigend und unecht wirkten.

Adson von Melk? Eine Bibliothek, deren Inneres einen Tagesmarsch von ihren Außenmauern entfernt liegt? Leere Räume, Treppen ohne Anfang oder Ende, leere Bücher … Nein, ich habe keine verbotenen Substanzen zu mir genommen. Hilft vielleicht das Stichwort „William von Baskerville“ weiter? Nun gut, genug geraten: Es geht um den Film „Der Name der Rose“, der 1986 von Jean-Jacques Annaud – unter anderem – in Rom gedreht wurde. Die Hülle des Bibliotheksturms war, so wie das komplette Kloster, nördlich der Stadt im Vorort Prima Porta errichtet worden – sein Inneres auf dem römischen Studiogelände von Cinecitta. Ich habe damals das Buch zum Film verfasst und fotografiert und hatte daher die Gelegenheit, diese merkwürdigste aller Bibliotheken zu erforschen.

Umberto Eco, dessen Roman „Der Name der Rose“ eine Hommage an Bibliotheken ist, hätte seine Freunde an diesem neuen Prachtband aus dem Taschen Verlag gehabt, würde er noch leben … und hätte sich gewiss gern dazu überreden lassen, dafür das Vorwort zu schreiben.

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Das Labyrinth der Bücher. Das in der römischen Cinecitta aufgebaute Innere des Bibliotheksturms aus dem Film „Der Name der Rose“. / Foto Doc Baumann 1986

Die schönsten Bibliotheken der Welt

Wie ich bereits eingangs feststellte: Es gibt etliche Bildbände, die Bibliotheken vorstellen. Manche davon besitze ich (sogar welche mit demselben Titel wie unsere Neuerscheinung); sie stehen – na, wo wohl – in meiner eigenen Bibliothek. Die ist zwar nicht ganz klein, kann sich aber mit den Örtlichkeiten, um die es hier geht, weder vom Volumen her noch von der Ausstattung auch nur ansatzweise messen. Ich habe mich mit schlichten Industrie-Metallregalen beschieden und auf Deckengemälde und Marmorstatuen verzichtet.

Die prachtvollen Räumlichkeiten auf diesen Seiten, welche ungezählte Bücher beherbergen, sind mal kühl und klar wie manche, die der Fotograf Massimo Listri in Spanien aufgesucht hat, mal düster und von edlem Holz beherrscht. Mitunter über mehrere Umgänge an den Außenwänden reiht sich Buchrücken an Buchrücken. Alle sind alt – Neuerscheinungen der letzten paar Jahrhunderte sind kaum zu entdecken. Manchmal scheinen alle Rücken gleich zu sein – das verstärkt den Eindruck von Einheitlichkeit, macht schnelles Auffinden eines Werkes  allerdings schwierig. (Lange Zeit erwarb man lediglich den unaufgeschnittenen Buchblock beim Händler und ließ ihn beim Buchbinder im eigenen Stil und passend zum Rest der Sammlung einbinden und gestalten.)

Viele der gezeigten Bibliotheken kenne ich aus keinem der anderen Bildbände; es ist beeindruckend, dass der Fotograf weite Reisen über den Erdball unternommen haben muss, um all dies aufzunehmen – manchmal für lediglich zwei Doppelseiten.

Er zeigt uns nicht nur die Bücher (die gehen als individuelle Werke natürlich fast unter, kaum ein Verfasser oder Titel ist zu identifizieren), sondern und vor allem ihre oft kathedralenhaften Behausungen mit Säulen, Schnitzereien, Ornamenten, Treppen und Geländern, Statuen, Büsten und Deckengemälden. Übrigens sind diese Hallen bis auf ganz wenige Ausnahmen menschenleer. Auf den Fotos halten nur die uralten Bände Zwiesprache untereinander. (Das erinnerte mich an die Nationalbibliothek von Malta in Valletta, in der ich im letzten Jahr für meinen Roman recherchierte: ein gigantischer Raum, hoch wie ein Kirchenschiff – und mitten darin ein kleiner Schreibtisch mit zwei Bibliothekaren dahinter.)

Bemerkenswert ist der atmosphärische Unterschied zwischen den südlichen und den nördlichen Bibliotheken. Und auch der zwischen institutionellen – von Universitäten, Klöstern oder Museen – und privaten Sammlungen. In denen der ersten Art reihen sich gleichartige Einbände Regal um Regal – in denen der zweiten sind sie bunt durchmischt, unabhängig von Größe und Farbe. Die Besitzer – zumindest ihre Bibliothekare – kennen sich aus in ihren Beständen und arbeiten erkennbar damit. Wiewohl eine Bibliothek ohne Ordnung die Hölle ist – ein unachtsam verstelltes Buch ist so gut wie verloren, weil nicht mehr aufzufinden –, ist die Biblioteca del Convento de San Francisco de Asis von Lima fast die einzige in diesem gewaltigen Bildband, die ersichtlich lebt und den Eindruck hinterlässt, weniger der Repräsentation zu dienen als vielmehr genutztes Werkzeug des Geistes zu sein.

Vielleicht schließt sie den Band aus ebendiesem Grund ab. Der beginnt übrigens sympathischerweise mit einem amerikanischen Plakat gegen die Bücherverbrennungen der Nazis und dem Roosevelt-Zitat, Bücher könnten durch Verbrennen nicht getötet werden. Sein heutiger Nachfolger hat damals unvorstellbare Wege gefunden, die Verbreitung von Wahrheit zu sabotieren.

Der Band wird von einem ausführlichen historischen Text auf edlem Papier eingeleitet, dreisprachig in englisch, deutsch und französisch. Außerdem gibt es am Ende jedes Abschnitts ausführliche Beschreibungen der vorgestellten Bibliotheken – also nicht voreilig ärgern, wenn Sie diese Vertiefung nicht unmittelbar in Zusammenhang mit den entsprechenden Bildseiten finden.

Die ein- oder meist doppelseitigen Fotos sind technisch brillant, die Szenen hervorragend ausgeleuchtet. Es dürfte fototechnisch ein erheblicher Aufwand gewesen sein, perspektivische Verzerrungen bei diesen Aufnahmen zu eliminieren.

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Stiftsbibliothek Kremsmünster, Kremsmünster, Österreich / © Massimo Listri / TASCHEN

Massimo Listri. Die schönsten Bibliotheken der Welt, ergänzende Texte von Georg Ruppelt, Elisabeth Sladek. Taschen Verlag 2018, Hardcover, Großformat 29 × 39,5 cm, 560 Seiten, 150,– Euro


Nachtrag

Wenn dieses Buch nun, nachdem ich es rezensiert habe, in meiner Bibliothek stehen wird, lässt sich die Frage, ob „Die schönsten Bibliotheken der Welt“ Bestandteil einer Bibliothek sein können, eindeutig mit ja beantworten. Probleme dieser Art – Mengen, die sich selbst (nicht) als Mengen enthalten – sind aber nicht immer so leicht zu klären. Beispiel: In einer kleinen Stadt gibt es einen Mann, der alle Männer rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Frage: Rasiert er sich selbst oder nicht? Bevor Sie aufgeben oder den Verstand zu verlieren drohen, schauen Sie in Ihrer Bibliothek mal nach „Russellsche Antinomie“! Oder, wenn Sie’s dort nicht finden, im Web.

Klosterbibliothek Ottobeuren, Ottobeuren, Deutschland (Detail) / © Massimo Listri / TASCHEN
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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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