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Auto-ISO: eine Geschichte voller Missverständnisse

Manche Kameras erlauben, im Menü der ISO-Automatik eine längste Verschlusszeit festzulegen, und Fotografen wundern sich, dass ihre Kamera dennoch gelegentlich länger belichtet. Dabei hat es damit seine Richtigkeit – und die ISO-Automatik gar nichts damit zu tun.

Die ISO-Automatik (hier bei der Pentax K-1) lässt sich auf einen niedrigsten und höchsten ISO-Wert beschränken; ab wann der ISO-Wert heraufgesetzt werden soll, kann man entweder (wie hier) indirekt oder über eine maximale Verschlusszeit vorgeben.

Digitalkameras greifen Fotografen mit allerlei Automatikfunktionen unter die Arme, falls es diese nicht vorziehen, alle Einstellungen selbst vorzunehmen. Leider kann man beim Zusammenspiel verschiedener Automatiken leicht die Übersicht verlieren und versteht dann nicht mehr, warum die Kamera tut, was sie tut. Ein Beispiel dafür ist die ISO-Automatik, die gerne mit einer Zeitautomatik zur Belichtungssteuerung kombiniert wird.

Verwirrend ist zunächst, dass im Zusammenhang mit der ISO-Automatik auch von Verschlusszeiten die Rede ist, für die ja eigentlich die Zeitautomatik (oder eine Programmautomatik) zuständig ist. Das hängt damit zusammen, dass die ISO-Automatik ein Kriterium dafür braucht, welchen ISO-Wert sie wählen soll. Ginge es nur um die maximale Bildqualität, müsste man stets die Grundempfindlichkeit des Sensors verwenden, denn das ist die Einstellung, mit der die Sensorpixel am meisten Licht sammeln, was wiederum zum geringsten Rauschen und dem größten Dynamikumfang führt. (Entscheidet man sich für einen ISO-Wert unterhalb der Grundempfindlichkeit, geht zwar das Rauschen zurück, aber leider auch der Dynamikumfang.) Arbeitet man allerdings mit available light und ist nicht so viel light available, dann reicht die Grundempfindlichkeit nicht und man muss mit dem ISO-Wert heraufgehen. Die ISO-Automatik kann einem diese Mühe abnehmen, und sie verfolgt dazu, was die Belichtungsautomatik tut: Ist diese drauf und dran, eine recht lange Verschlusszeit zu wählen, weil es bei der Grundempfindlichkeit eben so lange dauert, bis die Speicherkapazität der Sensorpixel optimal ausgenutzt ist, dann hebt sie den ISO-Wert an, damit sich die Belichtungsautomatik für eine kürzere Zeit entscheiden kann. Aber bei welcher Verschlusszeit soll sie aktiv werden?

Die klassische Faustregel besagt, dass man nicht über 1/f gehen soll, den Kehrwert der Brennweite in Millimetern. Diese althergebrachte Regel bezieht sich allerdings auf das Kleinbildformat und muss für andere Bildformate angepasst werden. Außerdem geht sie auf die Schärfeanforderungen in der analogen Kleinbildfotografie zurück, während wir den Digitalbildern oft so genau auf die einzelnen Pixel gucken, dass wir Unschärfen eher bemerken und zu deren Vermeidung noch kürzer belichten müssen. Schließlich berücksichtigt die Kehrwertregel nur Verwacklungsunschärfen, nicht aber Wischeffekte durch die Bewegungen des Motivs, und sie weiß nichts von einem Bildstabilisator, der möglicherweise längere Verschlusszeiten erlaubt.

Abhängig von Kameramodell und Hersteller kann man daher im Menü der ISO-Automatik entweder auch Varianten der Kehrwertregel wählen, so dass die Automatik schon bei kürzeren oder erst bei längeren Zeiten mit dem ISO-Wert herauf geht (siehe das Pentax-Beispiel oben), oder man kann eine maximale Verschlusszeit wählen, die die Automatik möglichst nicht überschreiten soll – damit kann man sicherstellen, dass schnell bewegte Motive mit einer kurzen Verschlusszeit in ihrer Bewegung eingefroren werden. Idealerweise lässt sich beides kombinieren, wobei das jeweils pessimistischere Kriterium Priorität haben sollte.

Welche ISO-Werte die Automatik wählen darf, lässt sich ebenfalls einstellen. Man kann einen Mindestwert vorgeben (sinnvollerweise die Grundempfindlichkeit, wobei man bei Sensoren mit Dual Conversion Gain je nach Situation auch die zweite, höhere Grundempfindlichkeit wählen kann) und auch ein Maximum, wenn man das Rauschen bei noch höheren ISO-Stufen scheut.

Gibt man nun eine maximale Verschlusszeit vor (manche Hersteller übersetzen falsch aus dem Englischen, das statt von der „Verschlusszeit“ vom „shutter speed“ redet, und bezeichnen dies als Mindestverschlusszeit), dann passiert Folgendes: Ist es so hell, dass der Sensor selbst beim geringsten erlaubten ISO-Wert mit der maximalen Verschlusszeit noch überbelichtet würde, dann wählt die Kamera eine kürzere Zeit. Gibt es dagegen so wenig Licht, dass auch der höchste erlaubte ISO-Wert bei der maximalen Verschlusszeit nicht für eine optimale Belichtung reichte, verlängert die Kamera notgedrungen die Verschlusszeit. Dazwischen, also wenn sich die ISO-Automatik für einen ISO-Wert zwischen dem kleinsten und größten erlaubten Werten entscheidet, belichtet die Kamera exakt mit der maximalen Verschlusszeit.

Das gibt zu denken: Die Kamera belichtet mal länger, mal kürzer und mal genau mit der maximalen Verschlusszeit, was ja bedeutet, dass sie je nach den Erfordernissen der Aufnahmesituation mit jeder beliebigen Verschlusszeit belichten kann. Die „maximale Verschlusszeit“ ist also gar kein echtes Maximum, das der Verschlusszeitenwahl eine Grenze setzte. Geht das mit rechten Dingen zu?

Das tut es durchaus. Tatsächlich mischt sich die ISO-Automatik gar nicht in die Wahl der Verschlusszeit ein; das bleibt die alleinige Aufgabe der Belichtungsautomatik – meist einer Zeitautomatik. Wie ihr Name besagt, regelt eine ISO-Automatik den ISO-Wert und sonst nichts. Sie ist eine Art Sidekick der Belichtungsautomatik und ihre Aufgabe besteht darin, dieser den Rücken frei zu halten. Wenn die Belichtungsautomatik in Gefahr gerät, eine allzu lange Zeit wählen zu müssen, grätscht die ISO-Automatik dazwischen und hilft mit einem höheren ISO-Wert aus. Mit welcher Verschlusszeit die Kamera dann aber belichtet, entscheidet die Belichtungsautomatik immer noch alleine. Auch wenn der ISO-Wert bereits am oberen Anschlag ist, so dass die ISO-Automatik keine Unterstützung mehr geben kann, erledigt die Belichtungsautomatik weiterhin ihren Job und sorgt für eine korrekte Belichtung, was dann eben eine längere Belichtungszeit erfordert. Was für eine maximale Verschlusszeit wir uns bei der ISO-Automatik gewünscht hatten, interessiert sie nicht, denn damit hat sie nichts zu schaffen. Die einzige Aufgabe einer Belichtungsautomatik besteht darin, die Blende und/oder die Verschlusszeit so auf die gemessene Helligkeit und den ISO-Wert abzustimmen, dass sich eine optimale Belichtung ergibt, und davon soll und wird sie sich nicht abbringen lassen.

Was aber, wenn es einem wirklich wichtig ist, längere Verschlusszeiten zu verhindern? Klar, man muss dann im Ernstfall eine Unterbelichtung akzeptieren, aber man kann das Bild ja auch später noch im Raw-Konverter aufhellen, und wenn einem die Schärfe wichtiger als ein möglichst wenig verrauschtes Bild ist, macht das durchaus Sinn.

Normalerweise geht das nicht, aber andererseits wäre es für die Kamerahersteller nicht schwer, es zu ermöglichen. An der ISO-Automatik braucht man dazu nichts zu ändern, denn sie tut ja ihren Job. Vielmehr müsste man die Belichtungsautomatiken nach dem Vorbild der ISO-Automatik modifizieren. Bei der ISO-Automatik kann man, wie erwähnt, minimale und maximale ISO-Werte vorgeben, und diese Grenzen werden strikt eingehalten. Nach demselben Muster könnte man der Zeitautomatik eine kürzeste und längste Verschlusszeit vorgeben und der Blendenautomatik eine kleinste und größte Blende, einer Programmautomatik logischerweise beides.

Zusammen mit einer bei der ISO-Automatik angegebenen maximalen Verschlusszeit ließe sich das Verhalten der Kamera damit sehr präzise steuern. Man könnte ihr beispielsweise vorgeben, zunächst den ISO-Wert bis zum Maximum heraufzusetzen, um eine längere Verschlusszeit als 1/1000 s zu verhindern. Wenn der maximale ISO-Wert dazu jedoch nicht ausreicht, soll sie mit der Verschlusszeit gezwungenermaßen bis 1/500 s gehen – aber nicht darüber hinaus, sondern nötigenfalls lieber unterbelichten.

Andererseits: Man könnte auch einfach auf Handsteuerung gehen und sowohl den ISO-Wert wie auch die Verschlusszeit selbst wählen. Eine spiegellose Digitalkamera gibt einem ja alle wünschenswerten Rückmeldungen, die man für eine manuelle Belichtung braucht. In der analogen Zeit und selbst bei DSLRs war das noch etwas schwieriger. Aber wer sich lieber den Automatiken anvertraut, sollte bei seinem Systemhersteller durchaus mal anfragen, ob er es nicht ermöglichen will, neben der ISO-Automatik auch den diversen Belichtungsautomatiken Grenzen zu setzen.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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