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Als die Digitalfotografie erwachsen wurde

Wer die erste Phase der Digitalfotografie in den 90ern und den Nullerjahren erlebt hat, wird sich an die unkonventionellen Kamerakonzepte von damals erinnern. Warum ist das Kameradesign später eigentlich so langweilig und konventionell geworden?

Das fragte sich jüngst der Teilnehmer nightstalker im Fuji X Forum. „Wieso sind diese innovativen Ansätze eigentlich verschwunden? Ich meine, die Dinger waren ja alles andere als erfolglos. Trotzdem haben wir jetzt relativ langweilige Ansätze, und vor allem im Kompaktbereich sehen die Kameras grundsätzlich alle gleich aus.“ Da ist etwas dran. Zu den unkonventionellen Kameramodellen, die nightstalker erwähnte, zählten die Nikon Coolpix 9xx-Modelle, bei denen das eigentliche Kameramodul mit Objektiv, Sensor und Sucher über ein Drehgelenk mit der Elektronik verbunden war. Zum Fotografieren verdrehte man beide Teile um 90 Grad und nutzte das Elektronikmodul als Griff. Oder die Fuji FinePix 6800 und deren Nachfolger FinePix F601, die eine ungewöhnliche, dabei aber sehr handliche Hochkantform hatten. Aus der Reihe fielen ebenso die Sony DSC-F505, DSC-F707 und DSC-F828, deren Objektiv man nach unten und (was immer ein kleines bisschen obszön wirkte) nach oben kippen konnte.

Ich erinnere mich selbst noch gut daran, denn die Sony DSC-F505 war meine zweite Digitalkamera gewesen und die Fuji FinePix 6800 wäre fast meine dritte geworden, wenn ich mich nicht für deren Schwestermodell 6900 entschieden hätte.

Oktober 2001: Mein Test der Sony DSC-F707 in computerfoto

Ungewöhnliche Kamerabauformen waren damals ganz gewöhnlich, aber schon wenige Jahre später kam das Ende dieser experimentellen Phase, und das Design konvergierte langsam zu einem Standard, der sich erstaunlich nahe an den Kameras aus der analogen Zeit hielt.

Ein IR-Foto im Nightshot-Modus der Sony F707

Übrigens beschränkte sich die seinerzeitige Experimentierfreude nicht auf die äußere Form der Kamera. Die Sony F707 konnte im Infrarotlicht fotografieren und war mit einer Laserdiode ausgestattet, die ein holografisches Muster projizierte, auf das der Autofokus dann scharfstellte. Der Sensor der F828 hatte Farbfilter für Rot, Grün, Blaugrün und Blau, mit denen sich Farbtöne zwischen Grün und Blau besser differenzieren ließen, und die Fuji 6800 und F601 besaßen SuperCCD-Sensoren mit Pixeln im Honigwabenmuster, die die effektive Auflösung verbesserten. Damals wurde manches ausprobiert, das später wieder aufgegeben wurde, obwohl es sich durchaus bewährt hatte.

Dass die Kameraentwickler neue Bauformen ausprobiert hatten, war nur folgerichtig gewesen, denn die digitale Kamertechnik hatte alte Beschränkungen aufgehoben. Tatsächlich hatte das schon ein paar Jahre früher, in der analogen Zeit begonnen, nachdem Hersteller wie Canon von der mechanischen Übertragung der Belichtungseinstellungen zu einer elektronischen Steuerung übergegangen waren. Die Blende musste nicht mehr mit einem Blendenring nahe dem Blendenmechanismus selbst eingestellt werden und die Verschlusszeit nicht mehr mit einem Einstellrad unmittelbar über dem Schlitzverschluss; der Zwang zu kurzen und direkten Einstellwegen war weggefallen. Die dedizierten Blendenringe und Verschlusszeitenräder wurden in der Folge durch in ihrer Funktion konfigurierbare Rändelräder ersetzt, die man dort positionierte, wo sie für die Finger optimal erreichbar waren. Ein motorisierter Filmtransport machte den Schnellspannhebel und die Rückspulkurbel überflüssig und der Auslöser wanderte an eine ergonomisch günstigere Position weiter vorne.

Die digitale Kameratechnik ging noch einen Schritt weiter, denn nun musste auch kein Film mehr transportiert und zurückgespult werden; der Platz für die Filmpatrone links und die Aufwickelspule rechts wurde frei (daraufhin allerdings von der Elektronik mit Beschlag belegt). Allein der optische Strahlengang vom Objektiv bis zur Bildebene hatte sich nicht verändert – bis die Konstrukteure nach Lösungen für ultraflache Kameras suchten und auf die Periskopbauweise verfielen: Das senkrecht verbaute Objektiv schaute oben durch ein Prisma nach vorne, und der Sensor lag auf dem Kameraboden. Viel später haben Smartphone-Hersteller dieses Konstruktionsprinzip wieder aufgegriffen.

Wie kam es dann aber zum Backlash, zur Rückkehr zu konventionellen Bauformen? Selbst dedizierte Einstellringe für Blende, Verschlusszeit und ISO-Wert sind heute wieder populär. Lag es an den Kunden, die für Experimente und Spielereien zu konservativ waren? Dagegen spräche allerdings, dass die genannten Modelle zu ihrer Zeit durchaus beliebt waren.

Vielleicht lag die Ursache gerade im Erfolg der Digitalfotografie begründet. Schneller als einst gedacht hatte sie sich gegen die analoge Technik durchgesetzt. Nach einem nur wenige Jahre dauernden Umbruch war die Digitalfotografie nichts Besonderes mehr, sondern einfach die übliche Art, zu fotografieren. In ihrer Anfangszeit hatte man die Digitalkameras noch kaum ernst genommen; sie galten vielfach als Spielerei und entsprechend spielerisch ging man bei ihrer Entwicklung vor. Aber ähnlich wie Jugendliche zum Berufsanfang von Jeans und T-Shirt in einen seriösen Anzug wechselten, hatte nun auch für die Digitalkameras der Ernst des Lebens begonnen, und der schien ein spießig konventionelles Outfit zu erfordern.

Aber muss das wirklich so sein? Ich würde den Herstellern mehr Mut zu Experimenten und generell mehr Lässigkeit wünschen. Wenigstens ein Casual Friday sollte doch drin sein.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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