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16 bewährte Tipps, um Wanderer in die Irre zu führen

Wandern als semiotischer Prozess betrachtet

Sind Sie schon mal gewandert? Wahrscheinlich schon, oder? Und haben Sie dabei auch seltsame Erfahrungen gesammelt mit der Ausschilderung der Wege? Normalerweise reicht bei mir die Zeit nur für längere Spaziergänge am Wochenende. Wenn es aber mal ein paar Kilometer weiter geht, wo ich mich nicht mehr auskenne, wird es schwierig. Dabei gibt es doch Karten, Handys und vor allem Ausschilderungen entlang der Wanderwege. Aber denen sollte man nicht unbedingt trauen.

Illustration: Doc Baumann

 

Man muss ja im Urlaub nicht mehr CO2 in die Luft pusten als nötig. So gern ich mal wieder nach Rom oder Malta gereist wäre – in Verantwortung gegenüber dem Klima haben wir darauf verzichtet, in ein Flugzeug zu steigen. Es gibt ja auch in Deutschland schöne Ziele.

Nur muss man da erst mal hinkommen. Dabei hat man die Wahl zwischen zwei Übeln: Verstopften Autobahnen, bei denen man, Fahrtstrecke durch Zeit gerechnet, nach etlichen Staus und Umleitungen etwa so schnell vorankommt wie zu Pferde. Oder man bucht einen Platz im Zug. Dieser Schritt ist noch relativ einfach. Problematisch wird es, wenn man die Reise wirklich antreten will. Wer online gebucht hat, erhält im günstigen Fall kurz vor Reiseantritt eine Nachricht, dass der gebuchte Zug leider ausfällt. Irgendwann die nächste, auch der für die Rückreise fiele aus. Aber man kann ja zum Bahnhof rasen und umbuchen. Mit drei-, vier mal Umsteigen und Koffer vom vorgesehenen Gleis zu dem geändert neuen schleppen, das zwei Minuten vor Ankunft über unverständliche Lautsprecheransagen verkündet wird, kommt man auch ans Ziel; mit etwas Glück (Fahrtstrecke durch Zeit) sogar schneller als zu Pferde. Klar, die reservierten Plätze gibt’s nicht mehr. Geld dafür auch nicht zurück, und natürlich haben die umgebuchten Züge so viel Verspätung, dass das mit den Anschlüssen ohnehin nicht klappt. Mit viel Glück schafft man die ursprüngliche Sechs-Stunden-Reise innerhalb eines Tages und muss unterwegs kein Hotel suchen.

Alles nicht so erfreulich. Die Abhilfe: Man sucht sich einen Aufenthaltsort im Fünfzig-Kilometer-Radius und nimmt Land- oder Bundesstraßen. Das hält den Stress in Grenzen und stärkt die heimische Tourismus-Wirtschaft nach Corona. Man muss keine fremden Sprachen lernen, sich nicht auf ungewohnte Sitten einstellen. Perfekt!

Fast vergessen sind angesichts der Nicht-ganz-wie-zu-Hause-Natur vor Ort die schlimmen Erfahrungen früherer Jahre mit den Wanderwegen. Aber es muss ja nicht überall so schlimm sein wie beim letzten Mal! Zudem gibt es eine dreifache Absicherung: Die Ausschilderung der Wege, Wanderkarten, Handy.

Um schreckliche Erinnerungen nicht wieder aufsteigen zu lassen, verzichte ich auf die Beschreibung der aktuellen Erlebnisse. Eine Route z.B. sollte laut Handy-App in rund anderthalb Stunden zu bewältigen sein. Bisschen kurz, aber versprochen wurde eine tolle Fernsicht aus 500 m Höhe. Zurück in der Pension waren wir nach knapp sechs Stunden. (Das Verhältnis der angeblichen Strecke zur tatsächlich gebrauchten Zeit nähert sich damit dem von Auto- und Bundesbahn.)

Jeden Tag eine andere Route, schöne Landschaften, was für Beweglichkeit und Gesundheit getan. Und fast jedes Mal dieselben Erfahrungen mit den Wanderwegen. Einmal kann das schon mal passieren. Erlebt man allerdings nahezu bei jeder Wanderung dasselbe, ahnt man, dass da ein System hintersteckt. Eine nicht nur landes- oder bundesweite, sondern weltweite Verschwörung mit dem einzigen Ziel, Wanderer in die Irre zu führen.

Den Zweck allerdings habe ich noch nicht begriffen. Lauern am Ende des Weges heimtückische Bösewichte, die ausgelaugte Wanderer ausrauben? Will man signalisieren, man freue sich auf Gäste, während man sie eigentlich davon überzeugen will, nie wieder hierher zu kommen? Gibt es im Verborgenen einen knallharten Kampf zwischen App-Anbietern, Karten-Herstellern und Wegeausschilderern, von denen jeder eigene, den anderen widersprechende Angaben macht? Ich weiß es nicht. Ebenso wenig, wer für diese heimtückischem Maßnahmen zuständig ist: Fremdenverkehrsvereine, Ehrenamtliche, Gemeindeverwaltungen, Außerirdische, Nord-Korea …?

 

Auf der Basis langjähriger Erfahrungen bin ich nun immerhin in der Lage, das System dahinter zu verstehen und zu beschreiben. Leider hilft das aber nicht dabei, die Sache umzukehren und so doch noch die richtigen Wege zu finden. Alle folgenden Tipps für angehende Ausschilderer basieren auf meinem letzten Elf-Tage-Urlaub:

  1. Die Tafel am Startpunkt bringe möglichst versteckt an und hüte dich davor, den aktuellen Standort gut erkennbar zu markieren. Zeichne möglichst viele sich kreuzende Wege mit denselben Farben ein, die mit immer neuen Nummern gekennzeichnet sind. (Dieser Schritt kann gern weggelassen werden; denn wenn hier noch alles stimmt und übersichtlich ist, wiegt das die Wanderer in Sicherheit und lässt die Verzweiflung erst dann entstehen, wenn es zu spät ist.)
  2. Auf dem ersten Kilometer des Wanderwegs bringe in Zehn-Meter-Abständen gut und groß lesbare Markierungen mit den Wegnummern an den Bäumen an. Die sind zwar überflüssig, weil es weder Abzweigungen noch Kreuzungen gibt, erwecken aber den Anschein, auf der restlichen Strecke gehe es so weiter.
  3. Etwa 20 Meter vor der ersten und allen folgenden Abzweigungen oder Wegekreuzungen bringe die letzte Markierung an. Im weiteren Umfeld dieser Stelle vermeide dagegen jede Kennzeichnung. Das ist die allerwichtigste Regel für Wanderwegausschilderer: Bloß keine Hinweise und Pfeile an Gabelungen, Abbiegungen und Kreuzungen!
  4. Etwa hundert Meter nach der Abzweigung kann man dann wieder einen gut versteckten Hinweis an einen Baum malen. Wanderer, die den alternativen Weg eingeschlagen haben und eventuell nach ein paar hundert Metern verwirrt umgekehrt sind, können sich so nicht darauf berufen, es hätte gar keine Beschilderung gegeben.
  5. In waldreichen Gegenden sorge dafür, dass eine Abbiegung des Hauptweges oder ein ebenfalls gekennzeichneter Nebenweg möglichst dicht mit Büschen zugewachsen ist. Das hilft dabei, dass Wanderer auf breiten Forststraßen bleiben, bis sie merken, dass sie irgendwas verpasst haben müssen.
  6. Rundwege kann man definitionsgemäß in der einen oder anderen Richtung begehen. Es ist strengstens darauf zu achten, Wegnummern aber nur auf einer Seite von Bäumen anzubringen. Wer so blöd war, die Gegenrichtung zu wählen, muss sich schon mal bei jedem Baum umdrehen um nachzusehen, ob was auf dessen Rückseite gestanden hat.
  7. Ab und zu gibt es neben den Nummern an Bäumen oder Pfählen auch beschriftete Richtungspfeile. Hier stehen etliche Varianten zur Verfügung:
  8. Die Schilder immer so anschrauben, dass sie den Winkel zwischen den theoretisch in Frage kommenden Wegen ungefähr hälftig teilen. So kann sich der Wanderer aussuchen, ob er den richtigen oder den falschen wählt.
  9. Wegen angefaulter Pfähle fallen Wegweiser gelegentlich um. Erstes auf keinen Fall ersetzen, zweitens darauf achten, dass sie am Boden liegend niemals in die ursprünglichen Richtungen zeigen.
  10. Wegnummern und Zwischenziele nie direkt wiederholen! Wenn auf einem Schild „Richtung A“ steht, darf das auf dem nächstfolgenden nicht mehr auftauchen, höchstens wieder bei dem danach.
  11. Bei Rundwegen kann man die Gesamtlänge in Kilometern angeben (richtig oder falsch). Um zu vermeiden, dass erschöpfte Wanderer ahnen, wie weit es zum nächsten Zwischenziel ist, sind solche Entfernungsangaben zu unterlassen. Schöne Verwirrung stiftet auch, wenn die angegebene Entfernung zu einem Ziel immer größer wird, je näher man ihm kommt.
  12. Sollte gar zwischendurch eine weitere Tafel mit Wanderkarte angebracht sein, so sind Sprayer immer gern gesehene Helfer, die ihre ganz persönlichen Zeichen hinterlassen und so vermeiden, dass Wanderer erkennen, wo welche Wege verlaufen.
  13. Gehe großzügig mit der Bezeichnung „Premium-Wanderweg“ um. Wenn sich der am Ende als kilometerlang ungekennzeichneter Pfad erweist, der etwa die anderthalbfache Breite der Wanderschuhe hat und naturbelassen auf beiden Seiten brusthoch mit Brennnesseln, Disteln und Dornengestrüpp bewachsen ist – selber schuld, wer’s geglaubt hat.
  14. Auf den Weg gefallene dicke Bäume sind dort zu belassen, um die Wanderer an Klimakrise und Baumsterben zu erinnern. Je steiler das Wegstück ist, um so länger sollte man mit dem Entfernen warten. Rettungsdienste müssen schließlich auch von irgendwas leben.
  15. Immer gern gesehen sind auch gut gekennzeichnete Wanderwege, die irgendwann abrupt enden – sei es an einer Stelle, an der es in keiner Richtung mehr weitergeht, sei es an einem Wendeplatz für Forstfahrzeuge.
  16. Vermeide schließlich, dass es eine Übereinstimmung gibt zwischen tatsächlichen Wanderwegen und ihren Bezeichnungen, den auf gedruckten Landkarten zu findenden und solchen, die Apps am Handy anzeigen.

Werden alle diese Tipps beherzigt, steht dem Ziel als Profi-Wanderwegskennzeichner nichts mehr im Wege.

 

 

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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3 Kommentare

  1. Lieber Herr Baumann,
    mit überbordender Ironie, Sarkasmus und Zynismus lässt sich viel mental richten. Nicht aber die Realität.
    Im Gegensatz zu Ihrer Schilderung, habe ich zum Einen viel Zeit für Wanderungen und Touren, weshalb ich dieses Phänomen auch gelegentlich erlebe. Zwar nicht in Ihren Dimensionen, aber immerhin würde ich mir hin und wieder eine Markierung oder einen Wegweiser mehr wünschen. Oft stelle ich aber einen Moment später fest, dass ich einfach etwas übersehen habe. Sei es aus Stress, aus Unkonzentriertheit, aus Eile …
    Aber könnte es nicht auch sein, dass sich Ihre katastrophalen Anreiseerlebnisse subjektiv in einer sehr negativen Wahrnehmung manifestiert haben.
    Ich lebe in der Nähe des Chiemsees, der Chiemgauer Alpen und der Berchtesgadener Alpen und würde vor jedem Gericht auf die Bibel schwören, dass Wegmarkierungen (rot-weiß-rot ist die offizielle Farbkodierung) und Wegweiser mit großer Sorgfalt gepflegt werden. Wenn Sie noch den Kunstkniff anwenden, abseits der touristischen Rushhour – sprich Ferien – anzureisen, ersparen Sie sich auch das von Ihnen beschriebene Anreise Tohuwabohu. Sollten Sie einen Wanderführer benötigen, melden Sie sich bei mir!

    Beste Grüße, Klaus Schober

    1. Lieber Herr Schober,
      na ja, vielleicht lässt sich damit ja auch ein bisschen Realität richten. Ich habe einen Link zu dem Beitrag auch an den zuständigen Fremdenverkehrsverein geschickt. Eine Antwort kam – unhöflicherweise, aber erwartungsgemäß – nicht, aber vielleicht wird das ja intern weitergeleitet und bewirkt irgendwann doch noch mal was.
      Natürlich ist nicht auszuschließen, dass man beim Wandern auch mal was übersieht; doch zu zweit halbiert sich die Wahrscheinlichkeit dafür. Ich mache diese Erfahrung ja nicht zum ersten Mal, sondern immer wieder in ganz unterschiedlichen Regionen. Inzwischen sind wir etwa an unausgeschilderten Abzweigungen dazu übergegangen, dass jeder eine Gabelung nimmt und wir uns dann zurufen, wenn wir die erste Markierung danach entdeckt haben. Das die wiederholte Erfahrung aller aufgelisteten Mängel irgendwann zu einer „negativen Wahrnehmung“ führt, ist durchaus möglich … und nicht unerwartet.
      Dabei habe ich durchaus im Hinterkopf, dass viele Wanderwege von Ehrenamtlichen gepflegt und ausgeschildert werden, denen man dafür natürlich dankbar sein muss. Nur schließt das in den beschriebene Fällen dann eine Verärgerung doch nicht aus.
      Ich sehe das Problem aber auch in einem sehr viel weiteren Kontext (und auch unter semiotischen Aspekten): Es betrifft nicht nur Wanderwege, sondern ebenso Verkehrsausschilderungen oder Gebrauchsanweisungen, und es scheint mir damit zusammenzuhängen, dass all das wohl meist von Menschen gemacht wird, die sich damit zu gut auskennen und implizit annehmen, die Leser/Betrachter hätten dasselbe Hintergrundwissen. Darum versteht man viele Gebrauchsanweisungen erst dann, wenn man durch Versuch und Irrtum schließlich zum richtigen Handeln gekommen ist, kann nachvollziehen, was gemeint war, und erkennt auch, an welchen „Abzweigungen“ Informationen fehlen, die von den Verfassern als selbstverständlich vorausgesetzt wurden, es aber nicht sind.

      Übrigens begleitet uns dasselbe Problem seit über 20 Jahren auch in DOCMA: Beim Schreiben eines Tutorials, in dem wir erläutern wollen, die man zu diesem oder jenem Ergebnis gelangt, müssen wir uns immer wieder in die Position eines wenig erfahrenen Nutzers versetzen. Das hat auch zur Folge, dass das Aufführen aller nötigen Schritte Fortgeschrittenen und Profis unnötig lang und ausführlich erscheinen mag. Die können solche Redundanzen aber überspringen, während weniger Erfahrene fehlende Schritte nicht ohne weiteres einfügen können. Selbst nach jahrzehntelanger Erfahrung damit passiert es aber auch uns mitunter, dass wir etwas für selbstverständlich Gehaltenes auslassen. Doch da jeder alle Beiträge aller anderen liest, fällt das dann doch auf und kann noch korrigiert werden.

  2. So etwas habe ich auch in Venedig erlebt: Man folgt einem ausgeschilderten Weg, und zunächst ist auch alles klar, aber dann führt der Weg auf eine Querstraße – man kann links herum oder rechts herum gehen, aber wie herum kommt man an sein Ziel? Muss man ausprobieren, denn einen Hinweis sucht man vergeblich …

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