Am Vormittag des 13. April 1945 betrat der erste amerikanische Soldat das Zeiss-Werk in Jena. Wenig später rückte die 80. amerikanische Infanteriedivision ein. Güter im Wert von 13 Millionen Reichsmark wurden beschlagnahmt und in die USA verschifft. Darunter befanden sich auch einzigartige Zeiss Prototypen aus der Objektivsammlung – die nie wieder auftauchten.
Wissenschaftler in Uniform mit erstaunlichen Kenntnissen über Produkte und Kennzahlen hatten die Hinterlassenschaften gründlich untersucht. Dazu gehörten 80.000 technische Zeichnungen, zahlreiche Laborgeräte und die Zeiss-Objektivsammlung. Unter requirierten Zeiss Prototypen befanden sich verschiedene Tessar-Objektive mit asphärischen Linsen. Ein mit Balsam gefüllter Raum zwischen zwei Linsen war möglicherweise das erste asphärische Kunststoffelement im Objektivbau.
A Lens Collectors’s Vademecum
Das Werk von Wilkinson und Glanfield in der Ausgabe von 2001 hat verfügbare Informationen zusammengetragen. Die Zeiss Prototypen wurden in den USA intensiv examiniert und in sechs Typen klassifiziert. Dazu gehören neben den Tessaren eine Reihe extrem lichtstarker Teleoptiken, vermutlich für Nachtsichtgeräte und Luftaufnahmen entworfen. Soweit möglich zeigen die Autoren auch Linsenschnitte ähnlicher Konstruktionen. Nach der Analyse ließ das Interesse an der Sammlung nach und sie landete vermutlich in Secondhandshops. Um keine falschen Erwartungen zu wecken: Die Informationen umfassen ungefähr 1,5 DIN A4 Seiten, zuzüglich der Linsenschnitte im Anhang.
Nur der gute Name war geblieben
Die von der amerikanischen Militärregierung später ausgezahlten 13 Millionen spielten beim Aufbau des Oberkochener Zeiss-Werks eine wichtige Rolle. Ebenso wie die nach der Währungsreform erstatteten 23 Millionen D-Mark für 80.000 verschwundene Zeichnungen und verschiedene Laborgeräte. Armin Hermann beschreibt die abenteuerliche Unternehmensgeschichte von Carl Zeiss. Das Buch ist exzellent recherchiert, liest sich wie ein Wirtschaftskrimi und beginnt mit dem ersten US-Soldaten im Zeiss-Werk. Hermann war bis 2001 Professor für Geschichte an der Universität Stuttgart.
Der Altglas-Report Teil IV
Über den systematischen Niedergang von Carl Zeiss in der DDR und den Machenschaften im Objektivbau nach 1945 berichtet der Altglas-Report (Teil IV). Dazu gehören auch Links zu sehenswerten Dokumentarfilmen, die den Aufstieg und Fall des Unternehmens mit historischen Filmaufnahmen und Zeitzeugen-Berichten unterlegen. Zu sehen sind Film-Sequenzen von 1928, Ausschnitte aus DDR-Imagefilmen, die Einblick in die Produktion gewähren, ebenso wie politische Dimensionen in Ost und West im Kontext mit Zeiss. Ihren eigenen Reiz entwickeln Interviews mit einem abgeklärt wirkenden Wolfgang Biermann, dem letzten Generaldirektor des Unternehmens.