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DDR-Fotoindustrie: Trümmer, Triumph und Pleite II

Altglas-Report

Nachdem Amerikaner die erste und Sowjets die zweite Riege von Zeiss-Fachleuten deportiert hatten, profitierte Zeiss in Oberkochen nach 1945 vom Zustrom gut ausgebildeter, aus der DDR geflüchteter Fachkräfte. Die heutige Sicht auf die DDR-Fotoindustrie ist vom Staatsbankrott und Beschaffungskrisen geprägt. In den Jahren nach der Wende hinterließen Besuche nachhaltige Eindrücke des Ruins.

Pentacon 30/3.5. DDR-Fotoindustrie: Trümmer, Triumph und Pleite II
Rätselhafte Zeichen: Äußerlich waren keine Spuren einer vorherigen Demontage am Pentacon 30/3.5 erkennbar. Diese Markierungen kennzeichnen sehr wahrscheinlich die bestmöglichen Passungen von Einzelteilen mit unterschiedlichen Toleranzen. Der VEB Feinoptisches Werk Görlitz musste vielfach mit ausgemusterten Zeiss-Maschinen produzieren.

Licht und Schatten im VEB Pentacon

Gerhard Jehmlich nennt neben klarer Kritik auch zahlreiche technische Highlights, im Hinblick auf erfolgreich etablierte Prozesse – trotz politisch diktierter Einschränkungen. Beispielsweise wirkten hochwertig galvanisierte Plastik-Gehäuseteile der Praktica-Kameras wie aus Metall gefertigt und weckten auf Messen auch die Neugier japanischer Hersteller. Als Highlight gilt auch der vorne schräg an der Kamera angebrachte Auslöser. Ein Kniff, der Erschütterungen beim Auslösen bestmöglich minimierte.

Praktica SLR. DDR-Fotoindustrie: Trümmer, Triumph und Pleite II
Einige blanke Gehäuseteile wirken wie Metall, sind aber aus metallisiertem Plastik. Die Galvanisierung erforderte Chemikalien, deren Import für Neuentwicklungen eigentlich verboten war. Beschafft wurden sie trotzdem – irgendwie.
Buchcover
Insider-Bericht: Sachlich-nüchtern und ausführlich dokumentiert Gerhard Jehmlich die Geschichte der Dresdner Kamera-Industrie von 1945 bis 1990 in seinem 2009 veröffentlichten Buch. Er war über 20 Jahre Direktor für Forschung und Entwicklung beim VEB Pentacon.

Blick in Abgründe

Bemerkenswerte betriebswirtschaftliche Einblicke in DDR-Kostenstrukturen ergaben sich nach 1989. Die Gestehungskosten einer Praktica-Kamera betrugen rund 1000 D-Mark – sie erlöste aber mit 200 D-Mark nur 20% davon. Die Kamerakrise traf jetzt auch die neuen Bundesländer. In der BRD war die Kameraproduktion bereits ab 1971 eingestellt worden. Der Rückblick auf Teil I des Beitrags findet sich hier.


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Bernd Kieckhöfel

Bernd Kieckhöfel hat einige Jahre für eine lokale Zeitung gearbeitet und eine Reihe von Fachartikeln zur Mitarbeiterführung veröffentlicht. Seit 2014 schreibt er für Fotoespresso, DOCMA, FotoMagazin sowie c't Digitale Fotografie.

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8 Kommentare

  1. Meine erste „richtige“ Kamera war ja eine Praktica, und ich habe mich immer gewundert, warum die Idee des schräg vorne platzierten Auslösers nicht wieder aufgegriffen wurde. Zumal es heutzutage ja längst keine mechanischen Übertragungswege mehr gibt und man den Auslöser völlig frei positionieren kann. Gerade bei flachen spiegellosen Kameras wäre diese Position praktisch; bei Kameras mit ausgeprägtem, weit vorspringendem Handgriff liegt der Auslöser sowieso schon weiter vorne.

  2. Möglicherweise hatte der VEB den Schrägauslöser patentieren lassen. Und nach Ablauf des Schutzes gab es kein Interesse mehr. Andere Idee: In der BRD war der „Ostanschluss“ (M42) und andere DDR-Technik verpönt. M42 wurde notgedrungen für die letzten Zeiss-Ikon Kameras übernommen – konnte sie aber auch nicht mehr retten. Ich bin dem nie nachgegangen.

  3. Ob das mit den Kostenstrukturen so stimmt, wage ich mal zu bezweifeln.
    Bereit zu Anfang der 1970er Jahre kosteten Prakticas im Ostblock deutlich mehr als 1000 Ostmark und konnten somit die Gestehungskosten decken. Wenn diese Kameras im Westen für 200 DM verschleudert wurden, so bleibt immer noch der Wechselkurs von 1:4 bis 1:5.

    Von der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es zum Ost-Westhandel einen sehr ausführlichen Bericht.
    https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/30717/innerdeutscher-handel-als-wegbereiter-der-entspannungspolitik/

    1. „Bereit zu Anfang der 1970er Jahre kosteten Prakticas im Ostblock deutlich mehr als 1000 Ostmark und konnten somit die Gestehungskosten decken.“

      Die Aussage war allerdings, dass die Gestehungskosten bei 1000 DM lagen, nicht 1000 Mark der DDR. Und sie bezog sich auf die Zeit nach 1989. Im Juni 1990 kam die Währungsunion, die für viele DDR-Betriebe das Aus bedeutete. Vor der Wende wurde natürlich mit der Wurst nach dem Schinken geworfen; der Export Richtung Westen brachte wertvolle Devisen, und da verkaufte man die Kameras (und nicht nur die) auch mal unter Wert. Vor allem konnte man die Kameras aber zu regulären Preisen in den RGW-Staaten absetzen. Mit der Währungsunion wurden Industrieprodukte der DDR im Osten zu teuer und damit unattraktiv, und auch im Westen konnte man sie nicht zu einem kostendeckenden Preis absetzen – zumal „Made in GDR“ gerade damals kein Verkaufsargument war. Das ursprüngliche Geschäftsmodell war vollständig zusammengebrochen.

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