Altglas

Das OEM-Märchen vom Tomioka 55/1.2

Altglas-Report

Es war einmal im Land der aufgehenden Sonne. Dort erschufen findige Zauberer aus geheimnisvollem Glas ein Objektiv. Lichtstark wie nur wenige andere und mit magischen Eigenschaften, die gewöhnliche Fotografien in Meisterwerke verwandelte. Doch erst die letzte Jahrtausendwende brachte den Durchbruch. Als das Internet die Welt eroberte, verbreitete eine schlichte Website das OEM-Märchen vom Tomioka und erzeugte einen sagenhaften Hype. Das technisch simple 55/1.2 erzielte, ebenso wie vermeintlich baugleiche Objektive, satte Preise.

OEM-Märchen vom Tomioka
Selbst die Wayback Machine bietet heute nicht mehr als dieses Bild bei der Suche nach der Tomioka-Website, die das Objektiv in den Himmel lobte. Heute würden die alten Inhalte vermutlich als Fake News gelten. Im beginnenden Altglas-Boom schienen sie sensationell.

Die ersten Normalbrennweiten fürs Kleinbildformat mit Lichtstärke F/1.2 kamen im Lauf der 1960er Jahre auf den Markt. 1966 setze Leica im Noctilux 1:1.2/50 zwei asphärische Linsen ein, die die Abbildungseigenschaften bei Offenblende verbessern sollten. Das Tomioka 55/1.2, ein solides OEM-Produkt ohne High-Tech-Innenleben, basierte auf einer optischen 7/6-Rechnung, einem gängigen Standard dieser Gattung.

Viktor Hälke, bei eBay bekannt als „Kameradoktor“ für seine maßgeschneiderten Lichtdichtungen für analoge Kameras, stieß 2007 auf eine deutsche Tomioka-Website mit haltlosen Behauptungen. Manche erinnern sich vielleicht an die dort gemachten Versprechungen und einige dürften sich davon motiviert auf die Suche nach dem Wunderding gemacht haben. Hälke ging dem Phänomen nach, veröffentlichte seine Entdeckungen – und machte sich damit keine Freunde. Wann die Tomioka-Website verschwand, ist unklar, die Domäne (www.tomioka.de) steht zum Verkauf. Erhalten sind hingegen Hälkes Argumente und seine Email-Antwort an einen Tomioko-Fan, hier unterhaltsam aufbereitet.

Der Hype ist lange vorbei, die Website verschwunden. Dennoch werden bei eBay stolze Preise aufgerufen – und gezahlt. Ungeprüfte, abgerockte M42-Modelle sind um 500 Euro im Angebot. Um 750 Euro gibt es schönere Stücke, die Besten sollen knapp das Doppelte kosten. Dagegen ist ein privat angebotenes, verpilztes Exemplar mit verölten Blendenkamellen und schwergängigem Fokus für 200 Euro fast ein Schnäppchen. Zur Erinnerung: Die Preisliste „Kursblatt“ des Würzburger Fotoversands von 1979 nennt Preise um 500 D-Mark für 1.2er-Modelle bekannter Markenhersteller und das Yashica-ML mit C/Y-Bajonett.

OEM-Märchen vom Tomioka
Beide Yashica-Versionen (M42 und C/Y) dürften von Tomioka stammen und zeigen ein unterschiedlich modifiziertes 7/6-Planar-Design.
Das OEM-Märchen vom Tomioka 55/1.2
Auch bei Porst waren 1.2er-Lichtstärken nur eine Randnotiz. Gefertigt wurde das 55/1.2 sehr wahrscheinlich von Cosina. Der Aufpreis gegenüber dem 1.4er betrug 100 D-Mark. Der Thread im Digicamclub kennt weit über 300 Einträge.
Altglas-Report (Teil IV)
Der Altglas-Report (Teil IV) kennt weitere Details zum Tomioka 55/1.2, wertet den Colorfoto Vergleichstest von 1980 aus und vermittelt in drei zusätzlichen Beiträgen Wissen über historisch-technische Hintergründe und Hürden bei der Entwicklung von F/1.2-Optiken für Spiegelreflexkameras.

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Bernd Kieckhöfel

Bernd Kieckhöfel hat einige Jahre für eine lokale Zeitung gearbeitet und eine Reihe von Fachartikeln zur Mitarbeiterführung veröffentlicht. Seit 2014 schreibt er für Fotoespresso, DOCMA, FotoMagazin sowie c't Digitale Fotografie.

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