Das Altglas-Erbe der Fotokatalog-Könige
Aus heutiger Sicht haben die Fotokatalog-Könige Neckermann und Quelle für viel Ware auf dem Altglas-Markt gesorgt. Neben echten Scherben finden sich auch gute und günstige Objektive. Als sie das Geschäft mit der Fotografie entdeckten, begleitete den halbjährlich neu aufgelegten Hauptkatalog ein separater Foto-Katalog. Anfangs als dünne Beilage, die später bis zu 80 Seiten Umfang erreichte und irgendwann in den Hauptkatalog integriert wurde. Vermutlich hatten die Einkäufer seinerzeit eine mächtige Verhandlungsposition gegenüber den Herstellern. Für Postzusteller bedeutete die Millionenauflage der Kataloge zweimal im Jahr Schwerstarbeit.
Kameras
Neckermann konzentrierte sich primär auf bekannte Markenprodukte wie Praktica, Yashica, Zenit und andere. Im Katalog Frühjahr/Sommer 1979 finden sich sogar einzelne Zeiss-Objektive, zu dieser Zeit natürlich nur noch ohne Objektivnamen, erkennbar ist ein Tessar als „T2.8/50 aus Jena DDR“. Gut versteckt im Kleingedruckten und „OHNE BILD“: zwei Flektogon Objektive. Das lichtstarke 35/2.4 und ein 135/3.5 zum Stückpreis von je 229 D-Mark. Beim 135er dürfte es sich um ein Zeiss Sonnar gehandelt haben, was mit der juristisch korrekten Bezeichnung „S 3.5/135“ nur schlecht verkäuflich gewesen wäre.
Objektive als Beigabe
Kameras und ihre Technik standen eindeutig im Vordergrund. Objektive wirkten wie Beigaben, Lichtstärke diktierte den Preis, ihr Innenleben war selten mehr als ein Wort wert. Quelle verkaufte, abgesehen von russischen Zenit Kameras und Optiken, ausschließlich Handelsware mit eigenem Label: Objektive als Auto Revuenon und Kameras als Revueflex. Über diese sogenannten OEM-Geschäfte wurde hier berichtet. Auch Cosina zählte zu den OEM-Produzenten, war aber bei Neckermann namentlich genannt: „Kenner kaufen Cosina“. Was mag wohl zu dieser Zeit über Cosina bekannt gewesen sein?
Kurze Produktzyklen
Der halbjährlich erscheinende Katalog erlaubte rasante Sortimentsänderungen, was beide Versender exzessiv nutzten. So war es keine Seltenheit, dass Spiegelreflexkameras nach nur 6 Monaten durch Modelle anderer Hersteller ersetzt wurden. Normalobjektive blieben dagegen durchaus länger im Programm. Meine ersten Spiegelreflex-Erfahrungen sammelte ich 1976 mit einer geliehenen Revueflex und einem für die Zeit typischen 80-200er Zoom. Die Kamera identifizierte sich durch ihre charakteristische Abblendtaste eindeutig als Praktica und gegenüber der eigenen Dacora-Sucherkamera war sie eine Offenbarung. Als ich im Sommer darauf genau diese Revueflex kaufen wollte, bot der Katalog nur noch unbekannte und besonders unförmige Modelle. So wurde es bei mir eine Olympus OM1, bald ergänzt mit einer OM2. Beide OM-Kameras sowie etliche Objektive sind heute wieder vorhanden und die OM2 kommt gelegentlich mit Schwarzweiß-Film zum Einsatz. Die Altglas-Perlen von Neckermann und Quelle habe ich dagegen erst im Laufe der letzten Jahre schätzen gelernt.
Objektive Hinterlassenschaften
Wenngleich viele Katalog-Objektive nur optisches Mittelmaß bieten, finden sich unter den Normalbrennweiten attraktive und günstige Ausnahmen. Beispielsweise das Auto Revuenon 50/1.8 und das Auto Revuenon 50/1.9, die hier zusammen mit den baugleichen Varianten vorgestellt wurden. Warum ein Cosina 50/1.7 nicht zu verachten ist, verrät dieser Beitrag.