KI als künstlerisches Medium

Ob eine generative KI eigenständig Kunst produzieren kann, mag man bezweifeln. Michael J. Hußmann begründet, weshalb wir sie dennoch als Mittel des künstlerischen Ausdrucks akzeptieren sollten. Wo soll man die Grenze ziehen zwischen einem künstlerischen Ausdrucksmittel und einem bloßen Hilfsmittel zu Aneignung fremder Leistungen? Im zeitgenössischen Kunstbetrieb sind die Grenzen weiter gezogen denn je. Der Pinsel des Malers, die Feder des Zeichners, der Stichel des Holzschneiders und der Meißel des Bildhauers sind seit Jahrhunderten akzeptiert, schon weil ihr Gebrauch Mühe und Talent voraussetzt. Wer sagt, etwas sei „keine Kunst“, will damit durchweg keine Diskussion über das Wesen der Kunst starten; gemeint ist vielmehr, dass das Werk keinerlei Anstrengung und keine Begabung erfordert und daher auch keine Bewunderung verdient hätte. Das Diktum „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ stimmte allerdings noch nie uneingeschränkt. Schon zu Rembrandts Zeiten ließen sich Maler von Assistenten zuarbeiten, auch wenn am Ende nur sie das Bild signierten. Heute beeinträchtigt es Auktionserlöse nicht, wenn ein Werk nach Anweisungen des Künstlers vollständig von Helfern produziert worden ist. Niemand würde erwarten, dass beispielsweise der Bildhauer Richard Serra (1938–2024) seine Skulpturen aus tonnenschweren Stahlplatten selbst in Form gebogen hätte; das war die Aufgabe darauf spezialisierter Handwerker und von Maschinen. Das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch (1879–1935) könnte man mit wenig Talent malen [1]. Marcel Duchamps (1887–1968) Fountain, ein massenhaft produziertes Urinal aus dem Sanitärfachhandel, war ein Readymade; es musste nur noch signiert und auf einen Sockel gestellt werden [2]. Konzeptkunst kommt ohne ein materielles Werk aus: Maurizio Cattelans mit Klebeband an einer Wand befestigte Banane wurde 2019 für 120 000 Dollar verkauft, aber bezahlt hatte der Käufer für die Idee, die er jederzeit mit einer frischen Banane realisieren konnte. Foto: Tretyakov Galerie Foto: Alfred Stieglitz Dass man Bilder am Computer malen kann, ist längst akzeptiert; zwischen dem Farbauftrag mit einem physischen Pinsel und der digitalen Farbe des Pinselwerkzeugs in Photoshop besteht kein wesentlicher Unterschied, was den Kunststatus der Malerei betrifft. David Hockneys auf einem iPad gemalten Werken misst man denselben künstlerischen Rang wie seinen Acrylbildern zu, obwohl diese Arbeitsweise weniger mühsam ist. Die Fotografie, deren künstlerisches Potential heute nicht mehr in Frage gestellt wird, erzeugt allein durch den Druck auf den Auslöser Bilder mit perfekter Perspektive und einem realistischen Schattenwurf. Warum soll man sich also nicht von einer generativen KI unter die Arme greifen lassen, wenn man im Umgang mit den klassischen Malutensilien nicht besonders geschickt ist? Warum sollten Talent und Anstrengung überhaupt relevante Kriterien sein, wenn sie doch auch die Qualifizierungen eines kompetenten Handwerkers sind, der keinerlei künstlerischen Anspruch für seine Arbeit erhebt? Die Sache ist komplizierter. Ein vorgefundenes Objekt wie ein Urinal zum Kunstwerk zu erheben, war ein revolutionärer Akt – aber man kann das nur einmal tun. Hätte Duchamp danach den Sanitärfachhandel als Quelle weiterer Kunstwerke genutzt, wäre daraus eine bloße Masche geworden. Malewitsch hatte nach seinem ersten Schwarzen Quadrat von 1915 noch weitere gemalt, aber künstlerisch waren diese unerheblich. Aus der Wiederholung eines simplen Rezepts entsteht keine Kunst; es fehlt die Auseinandersetzung mit Hindernissen im künstlerischen Prozess. Bildende Künstler kämpfen mit der Widerständigkeit des Materials, wenn sie ihre Ideen verwirklichen wollen. Die brasilianische Künstlerin Tita do Rêgo Silva erzählte mir einmal, dass sie sich mit dem physisch anstrengenden Holzschnitt ihre Hand ruiniert hätte, aber sie würde deshalb nicht auf die verwandte grafische Technik des Linolschnitts ausweichen, der keine Herausforderung böte. Das relativ weiche Linoleum lässt sich mit wenig Kraftaufwand schneiden, und als homogene Masse erlaubt es, den Stichel in beliebigen Richtungen anzusetzen. Dagegen muss ein Holzschneider die Faserstruktur des Holzes beachten, also nicht gegen das Material arbeiten, sondern mit ihm – oder es geschickt überlisten. Das Kunstwerk entsteht in der kreativen Auseinandersetzung mit dem Medium. Auf eine solche Widerständigkeit des Materials stößt man bei vielen künstlerischen Techniken. Ein Beispiel aus dem Bereich der Plastik ist der David von Michelangelo (1475–1564). Als Michelangelo 1501 den Auftrag dazu erhielt, hatte der dafür vorgesehene Marmorblock bereits 25 Jahre im Hof der Dombauhütte gelegen; zwei Bildhauer waren zuvor an der Aufgabe gescheitert. Der Quader aus dem in Carrara gebrochenen bianco ordinario erschien weder von seiner Form noch von seiner Struktur her gut geeignet; zudem war er lange der Witterung ausgesetzt gewesen. Dennoch gelang es Michelangelo, eine überzeugende Lösung zu finden, die im Ergebnis nicht mehr erkennen lässt, welche Schwierigkeiten er zu überwinden hatte [3]. Ein schwarzes Quarat ist ruckzuck gemalt (1) und ein fertig gekauftes Urinal schnell signiert (2); eine Statue aus einem Marmorblock zu schlagen erfordert dagegen großes Geschick (3). Foto: Jörg Bittner Unna (CC-BY 3.0) Auch wenn man seine Vorstellungen mit einer generativen KI umzusetzen versucht, gelingt das selten auf Anhieb. Sie versteht nicht genau, was man will, ignoriert manche Vorgaben und interpretiert andere nicht im gewünschten Sinn. Wer sich trotzdem beeindrucken lässt und Bildergebnisse übernimmt, die zwar nicht völlig der eigenen Intention entsprechen, aber den Werken bewunderter Vorbilder ähneln, bleibt im populären Mainstream und oft im Kitsch stecken. Die Realisierung visueller Ideen mittels der KI ist nicht mühelos; sie erspart einem lediglich physische Anstrengungen und verlangt keine besonderen feinmotorischen Fähigkeiten. Eine generative KI präzise in die gewünschte Richtung gelenkt und dabei auch deren unverlangt beigetragene Details kreativ verarbeitet zu haben, mag nicht dieselbe Befriedigung verschaffen wie ein mit den eigenen Händen geschaffenes Werk, aber das Prompting ist dennoch ein respektables künstlerisches Verfahren mit seinen eigenen Herausforderungen.