Fotografie als Erlebnis

Generative KI stellt die Zukunft der Fotografie in Frage. Christoph Künne macht sich Gedanken über die neue Rolle der klassischen Kamerafotografie. Vor einigen Jahren war ich zu einer Veranstaltung des letzten deutschen Kameraherstellers Leica eingeladen. Dort berichtete ein Seminarleiter interessierten Hobbyfotografen von einer Fotowanderung. Er sprach davon, wie seine Gruppe am frühen Morgen einen Berg erklommen und ein Tal durchquert hatte, als plötzlich die Sonne durch die Wolken brach. Bei diesem Anblick, so berichtete er, habe er der Gruppe zugerufen „Das ist der Leica-Moment!“, und alle hätten ihre Kameras gezückt, um diesen Augenblick umgehend fotografisch festzuhalten. Ich verließ fluchtartig den Raum, denn ich konnte mir ein lautes Lachen nicht verkneifen. Viel später musste ich aber erkennen, dass diese Beobachtung nur oberflächlich betrachtet lustig war. Das Erlebnis als Ergebnis Wenn ich an meine ersten Erfahrungen als Hobbyfotograf Anfang der 80er Jahre zurückdenke, muss ich gestehen: Damals ging es mir in erster Linie darum, die Technik zu beherrschen. Die fotografische Qualität der Bilder, die dabei herauskamen, blieb zweitrangig. Allerdings war das Fotografieren – verglichen mit heute – eine sehr komplexe Angelegenheit. Automatische Funktionen zur Bestimmung von Belichtungszeit oder Fokus gab es kaum. Die Bildkontrolle erfolgte oft erst Wochen nach der Aufnahme. Und um aus einem mittelmäßigen Negativ einen vorzeigbaren Abzug zu machen, konnte schon mal eine halbe Nacht in der Dunkelkammer vergehen. Als Photoshop die Dunkelkammer ablöste, die sofortige Bildkontrolle der Digitalkameras das Fotografieren schneller erlernbar machte und die Abzüge auf Knopfdruck aus dem Tintenstrahler kamen, verlor der fotografische Prozess an Erlebnisqualität. Man musste nun halbwegs gut mit Kamera, Photoshop und Drucker umgehen können. Generative Bild-KI ist dagegen fast voraussetzungsfrei. Es reicht im Grunde, ihr zu sagen (oder zu zeigen), was auf einem Bild sein soll. Am Ende ist das Ergebnis qualitativ oft auch noch besser als vieles, was man selbst fotografisch zustande gebracht hat. Prozesse neu denken Überspitzt formuliert könnte man sagen: KI-Bilder sind die Quickies der Bildproduktion. Wobei das nicht ganz richtig ist, denn man muss oft sehr viele Formulierungen bemühen, bis das Bildergebnis konkreteren Vorstellungen genügt. Aber an treffgenauen Formulierungen zu arbeiten ist etwas völlig anderes, als ein fotografisches Bild mit Licht, Perspektive, Accessoires und vielleicht auch noch durch den Dialog mit etwaigen Fotomodellen aufzunehmen. Während professionelle Fotografen bald nicht mehr umhin kommen, bei der Bildproduktion auch mit Prompts zu arbeiten, sieht die Situation für Fotoamateure ganz anders aus. Sie müssen in der Regel mit ihren Bildern kein Geld verdienen, könnten sich ganz auf den Prozess konzentrieren und die KI nur dort einsetzen, wo es hilfreich erscheint. Erlebnisse gestalten Ein Ansatz wäre, Kamera und Ausrüstung, die Rahmenbedingungen des Fotografierens, die Nachbearbeitung und auch die Arbeit mit Modellen und am Set stärker in den persönlichen Fokus zu rücken. Klar, das ist nicht neu, das kann man so ähnlich in fast jedem Fotoseminar erleben. Aber bisher handelt es sich dabei um das Unausgesprochene im Programm, denn dort steht immer noch das vermeintlich bessere Bild im Vordergrund. Die Zukunft der Amateurfotografie liegt wahrscheinlich in der Inszenierung des fotografischen Erlebnisses. Begleitetes Reisen mit der Kamera ist schon heute sehr beliebt. Auch die fast schon zeremonielle Nachbearbeitung in Lightroom und Photoshop praktizieren viele als Ritual. Wer weiß, was sich daraus noch entwickeln lässt. Nach dem Leica-Erlebnis habe ich jedenfalls jahrelang darüber nachgedacht, ob und wie man einen „DOCMA-Moment“ inszenieren könnte. Bisher leider ohne ein Ergebnis, bei dem ich nicht laut auflachen musste. Munter bleiben!