Die Photoshop- Stilgeschichte (Teil 3/3)

Seit der Erfindung von Photoshop vor über 30 Jahren sehen wir in den Medien fast nur noch optimierte, stilisierte oder inhaltlich manipulierte Abbildungen. Christoph Künne betrachtet die Entwicklung dieser von Photoshop & Co beeinflussten ästhetischen Entwicklung. Eine visuelle Reise durch die letzten zwei Jahrzehnte. Ausdifferenzierung Alles perfekt. Ein als übersteigerte Parodie angelegtes Motiv aus einer Zeit, als die Bildbearbeitung begann, die Alltagsästhetik. wie zum Beispiel die Titel von Fernsehzeitschriften, zu dominieren. Entstanden im Rahmen eines DOCMA-Tutorials als Gemeinschaftswerk von Calvin Hollywood (Foto) und Doc Baumann (Montage). Am Ende der Nuller Jahre hatten sich die ersten Begeisterungsstürme bei vielen Neueinsteigern gelegt. Verlockungen der digitalen Fotografie in Kombination mit den kreativen Möglichkeiten der Nachbearbeitung verblassten, als der Kameramarkt immer weniger Innovationen hervorbrachte. Aber das war nicht der einzige Grund. Viele begeisterte Digitalfotografen, die hier ein neues Hobby gefunden hatten, besaßen bereits mehrere Generationen eines Kameramodells und waren inzwischen technisch weit über ihre eigentlichen Bedürfnisse hinaus ausgestattet. Hinzu kam, dass die Bildqualität der Sensoren eine komplexe Nachbearbeitung nicht mehr zwingend erforderlich erscheinen ließ. Eine große, eher technikbegeisterte Fraktion der Profis und der Passionierten mit professionellem Anspruch investierte jetzt in bessere Objektive, künstliches Licht und in Kameras mit immer höherer Auflösung. Ihr Ziel waren brillante, übernatürlich differenzierte Bilder mit den unzähligen Details, die Auflösungen jenseits der 20 Megapixel mit sich bringen. Eine kleinere Gruppe eher inhaltlich orientierter Anwender wandte sich von der technischen Seite des Bildermachens und Bilderoptimierens ab. Sie nutzten die Möglichkeiten der Bildmontage und gestalteten opulente Fantasiewelten in fotorealistischer Qualität. In einigen, meist professionellen Kontexten vermischten sich beide Ansätze zu sehr eindrucksvollen, hochauflösenden, fotorealistischen Bilderwelten. Diese Schöpfungen sind oft äußerst komplex und erforderten neben einem sehr großen Fachwissen vor allem enorm viel Zeitaufwand. Supernatural Überhöhung ist für Porträtisten und Werber schon immer eine zentrale Aufgabe gewesen. Schließlich sind Abbilder für viele erst dann wirklich schön, wenn sie zeigen, was sein könnte, und nicht, was wirklich ist oder war. Calvin Hollywood ist das Verdienst zuzuschreiben, dass er eine großen Zahl von Personen, die bis dahin eher wenige Berührungspunkte mit der Welt der Kreativen hatten, in die Lage versetzte, sich selbst und die Menschen ihres Umfelds mit einfachen Photoshop-Techniken in einer Art von magischem Realismus in Szene zu setzen. Ihre Selbstdarstellungen orientierten sich dabei in ästhetischer Hinsicht vor allem an den Vorbildern, die das Privatfernsehen zu jener Zeit popularisierte. Fotomontagen mit einer anders angelegten Übernatürlichkeit als der üblichen, bei der es um die Optimierung von Motivdetails, Kontrasten und Farben geht. Das Konzept, visuell unauffällige Motive auf inhaltlicher Ebene ad absurdum zu führen, ist die Grundlage für den Erfolg des schwedischen Fotokünstlers Erik Johansson. Überhöhung mit Humor: Überscharfe, extrem detailreiche, erkennbar kontrastverstärkte Porträts oder Inszenierungen mit deutlich überzeichneten, an Karikaturen erinnernde Motive genossen über Jahre hohe Popularität. Dieses Bild stammt von Rainer Raschewski und entstand im Ramen einer Koproduktion der Berliner Fotogruppe „Drei-st“. Emotionale Montagen Rein technisch betrachtet, macht es Photoshop seinen Anwendern mit neuen Werkzeugen immer leichter, eigene Ideenwelten ins Bild zu setzen. Kreative nutzen das ausgiebig, und so entstanden in den sozialen Medien oft Fan-Kulte um die Fantasiewelten einzelner Bildermacher. Clean, lustig und perspektivisch nicht immer korrekt: Ein typischer Vertreter der ersten Phase, in der Photoshop-Künstler auf den noch relativ neuen Sozialen Medien nach Followern suchten, ist der Werber Ralf Mack. Er fiel mit Arbeiten auf, die Inhalte unterschiedlicher Aufnahmen einer komplexen Situation wie in einem historischen Gemälde verdichten. Im Vordergrund steht hier die Wirkung, nicht der handwerkliche Anspruch auf peinlich korrekte Perspektivgestaltung. Eine riesige Fangemeinde faszinieren Ende der zehner Jahre dunkle, morbide, fast schon dystopische Motive, die Olaf Giermann bereits meisterhaft beherrschte, als er noch am Anfang seiner Karriere stand. Da unsere Wirklichkeit nicht so aussieht, sind diese Themenwelten mit Bühnenbau und Kostümierung begleitet. Soll der fotografische Aufwand übersichtlich bleiben, ist viel Photoshop erforderlich und der ein oder andere Griff in die noch komplexere Trickkiste der 3D-Welten. Als Gegentrend zur montierten Dystopie entwickelten sich Harmonie-orientierte Märchenwelten als Sujet für Montageprojekte. Jannette „Schnette“ Woitzik ist eine frühe Vertreterin dieses Genres, das meist kleine, ebenso aufgeräumte wie fröhlich-surreale Kunst-Welten zeigt, die beim Betrachter vor allem ein wohliges Gefühl auslösen wollen. Kommerz Die Grenzen der Realität mit relativ einfachen Mitteln sprengen zu können, ist für die Werbewirtschaft eine stetige Verlockung. Aber auch andere gewerbliche Einsatzgebiete profitieren von den Möglichkeiten. Bilder wie die aus der Bukarester Pixelschmiede Carioca Studio verbinden relativ einfache Gestaltungstechniken zu eindrucksvollen Montagen. Inhaltlich geht es hier um eine McDonalds-Kampagne, bei der die Bilder zeigen sollen, was passiert, wenn die arbeitende Bevölkerung auf den Morgenkaffee verzichten muss. Mit ähnlicher technischer Komplexität gestaltet der Bremer Lasse Behnke Composings, die er inhaltlich möglichst offen hält, um sie über Microstock-Portale im großen Stil verkaufen zu können. Hier bestand die Aufgabe für den Hamburger CGI (Computer Generated Imagery)-Spezialisten Aljoscha Brunk darin, ein Foto des prominenten Moderators Aiman Abdallah so vor ein zerschellendens Auto zu montieren, dass der Eindruck entsteht, der Moderator hätte es wie ein Betonpfahl gestoppt. Die Komplexität lag natürlich vor allem im Bereich der CGI und weniger in Photoshop. Kunst Der Bereich der Fotografie, in dem die Bildproduzenten ihre freien Arbeiten im käuferfokussierten Gebrauchskunstmarkt anbieten, wird von drei Richtungen dominiert. Sergey Romanov, ein Moskauer Fotograf, inzeniert seine Modelle inhaltlich wie ästhetisch kontraststark und etwas grell. Er bedient damit eine Geschmackswelt, die vor allem in den Kreisen der junger, erfolgreichen Unternehmer Osteuropas beheimatet ist. Igor Volushin aus der Ulkraine schöpft ästhetisch aus dem kulturellen Fundus der Malerei, setzt seine Arbeiten aber mit einem Mix modernster Werkzeuge um, wie 3D, digitalen Fotos und komplexen Photoshop-Techniken. Yoram Roth inszenierte in seinem damaligen großen und opulent ausgestatteten Berliner Studio ganze Mikrokosmen, in denen er seine Geschichten mit erheblichem Aufwand in Sachen Bühnenbild und Kostümierung zum Leben erweckt. Der weibliche Blick Fotografinnen ziehen mit ihren Bildern viel Aufmerksamkeit auf sich. Die Motive verkörpern so etwas wie den „weiblichen Blick“. Sie sind stimmungsvoll, malerisch, oft detailverliebt und lassen mit ihrem Storytelling viel Raum für Interpretationen. Prototyen dieser fanatsievollen Porträts zwischen Märchenwelt und Bonbonfarben sind die Arbeiten von Laura Helena, die rund drei Jahre lang an der Spitze des Trends stand. Elena San Francisco steht eher für offenherzige, urbane, oft ein wenig Tarantino-inspirierte Bilderwelten, die zwar inszenierte, aber im Kern authentische Menschen zeigen. Detailverliebt, bisweilen opulent und immer mit zumindest einem Zitat aus dem weiten Feld der Kunstgeschichte – Janamri Liors bildgewordene Ausstattungsorgien sind legendär. Cineastische Inszenierungen Komplexe, durchkomponierte Inszenierungen, die formal an alte Gemälde erinnern, und mit maximalem fotografischem Aufwand realisiert sind, hat die Niederländerin Gemmy Would-Binnendieck zu ihrem Markenzeichen gemacht. Mitte der Zehner Jahre setzt in den Photoshop-Bilderwelten eine weitere neue Ära ein. Sie ist vor allem vom Geschmack einer jüngeren, auf sozialen Bildermedien – wie Instagram – aktiven, Gruppe von einflussreichen „Content Creators“ geprägt. Die Sensortechnik der Kameras ist längst nebensächlich geworden. Technisch interessant sind allenfalls die Entwicklungen der Einsatzmöglichkeiten von Smartphones, KI und virtueller Fotografie. Inhaltlich hat man oft den Eindruck, eine an Spielfilmen orientierte Inszenierung der Alltagswelt zu betrachten: Alles wirkt etwas zu wirklich: Die Gesichter sind glatt, die Farbwelten reduziert und die Details zu hochauflösend, um real zu sein. Trotzdem sieht es einladend authentisch aus und weckt den Wunsch, mehr sehen zu wollen – fast wie eine gut gemachte Serie bei Netflix. Beim Crowdfunding-Kalenderprojekt „Blitzgeschichten“ setzen das Kretivtrio Meike Willner, Ansgar Dlugos und Philipp Niggemeier aus Bochum dem ehemaligen Opel-Standort und den Klassikern der Marke eine fotografisches Denkmal – jeweils inszeniert im Stil der Zeit, als die Wagen modern waren. Der Promi-Fotograf Robert Maschke inszeniert für seine Kunden aus Musik und Showbiz farbreduzierte Sujets, die oft düster sind und immer hoch emotional – wie dieses Cover des Albums „Leben 2“ des Rappers Azad.