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Der Kommentarfunktion-Knigge

 

Was mit „Kommentarfunktion“-Knigge“ gemeint sein könnte, ahnt wahrscheinlich jeder. Aber lassen Sie sich überraschen – diese Ahnung trügt. Und behält schließlich ganz am Ende doch wieder recht. Kurz gesagt: Es geht darum, wie ich mir den angemessenen Umgang mit der Kommentarfunktion unseres DOCMA-Blogs wünschen würde.

Knigge? Klar, kennt doch jeder. War das nicht der, der ein Buch darüber geschrieben hat, welches Glas man für Weiß- oder Rotwein wählt, wie man ein Fischbesteck korrekt handhabt und wer wem die Tür aufhält? Nein, war er nicht.

Richtig ist allerdings, dass Adolph Freiherr von Knigge ein Buch verfasst hat mit dem Titel „Über den Umgang mit Menschen“ – nur stehen da ganz andere Sachen drin. Jeder, der sich in Bezug auf Tischsitten und Etikette auf den Freiherrn beruft, beweist damit peinlich nur eines: Dieses Buch nie gelesen zu haben. Von Werken wie Hunde-, Autofahrer- oder Internet-Knigge ganz zu schweigen.

Was hat das mit den Kommentaren zu unserem DOCMA-Blog zu tun? Auch dort geht es um den „Umgang mit Menschen“. Lassen Sie mich vorausschicken, dass ich insgesamt auf den höflichen Umgang unserer Leserinnen und Leser mit uns, den Autoren, und ebenso untereinander stolz bin. Beschimpfungen oder Beleidigungen habe ich dort zum Glück noch nie entdeckt. Außer unserem eigenen lese ich kaum andere Blogs, aber selbst die Kommentare bei Spiegel Online – wo ich naiv erwartet hätte, es mit zivilisierten Menschen zu tun zu haben – sind oft auf einem beschämendem Niveau.

Diese generelle Wertschätzung der DOCMA-Kommentare vorausgeschickt – etliche Anmerkungen zu einigen meiner Beiträge in den letzten Wochen haben mich verärgert (was man sicherlich auch meinen Antworten darauf entnehmen konnte). Verärgert hat mich nicht, dass mir jemand zu widersprechen wagte; das sollte selbstverständlich sein, aus Widerspruch lernt man meist mehr als aus bloßer Bestätigung. Aber leider hatte ich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Eindruck, dass die Kritiker meiner Thesen sich in drei Gruppen unterteilen ließen:

  • Die einen hatten meine Texte nicht richtig gelesen, sondern nur überflogen, oder nicht verstanden.
  • Die zweiten hatten nur den Vorspann gelesen und sich den Rest geschenkt und ihren Widerspruch an ein paar Reizworten aufgehängt, ohne sich die Mühe zu machen, der Argumentation auch nur ansatzweise zu folgen.
  • Die dritten schließlich hatten den Text offensichtlich überhaupt nicht gelesen, sondern nur andere Kommentare, deren unangemessene Behauptungen über das, was ich angeblich geschrieben haben soll, für wahr gehalten, und dann auf diese Information aus zweiter Hand reagiert.

Hinzu kommt eine weitere unangenehme Gewohnheit vieler Menschen: Nicht auf die Argumente einzugehen, sondern das anzuwenden, was man in der Rhetorik argumentum ad hominem nennt: Den Autor zu diskreditieren, indem man negative oder abwertende Behauptungen über ihn aufstellt. (Beispiel: In meinem Beitrag zur IBAN-Nummer hatte ich mich über die Praxis vieler Firmen beschwert, diese Zahlenmonster in einer langen Kette ohne die vorgegebene Unterteilung in Vierergruppen auf Rechnungsformulare zu drucken. In einem Kommentar wurde daraus der alte Mann, der sich neuen Technologien verweigert. Fast keiner der negativen Kommentare – es gab auch viele positive – ging wirklich auf meine Argumentation ein.)

Wenig später das gleiche Spiel. Ich hatte es gewagt, unnötige und äußerst heftige Abweichungen von den vertrauten Naturgesetzen im neuen Star-Wars-Film zu kritisieren. Sofort fielen die Fans über mich her – und wieder ging kaum jemand auf meine Argumente ein. Ich könne nicht zwischen Unterhaltung und Dokumentation unterscheiden und habe wohl keine Ahnung von Phantastik, Science Fiction und Märchen, wo eben alles anders und alles erlaubt sei. (Ich verlange ja nicht, dass die Kommentatoren vorher nachschlagen und dann feststellen, dass ich zu ebendiesen Themen bereits vor 25 Jahren zwei Bücher verfasst habe – nur müssen sie sich dann gefallen lassen, ins Unrecht gesetzt zu werden, weil diese Behauptungen nicht stimmen und ich mich in diesen Genres und in der Logik des Phantastischen eben sehr gut auskenne.)

Ich möchte hier nicht noch einmal ausführlich auf das Verhältnis von Wahrscheinlichkeit, Realität und fiktionaler Handlung eingehen. Wer mag, lese dazu das neunte Kapitel der Poetik des Aristoteles. Jedenfalls ist die Annahme falsch, im Bereich des Phantastischen oder gar der Unterhaltung insgesamt (als Film, Buch … oder auch Bild) sei alles möglich und erlaubt. Natürlich dürfen die uns bekannten Regeln und Gesetze außer Kraft gesetzt werden, sofern das für den Fortgang der Handlung sinnvoll und notwendig ist. Aber die selbst gesetzten Vorgaben müssen dann durchgehalten werden. Damit eine Story nachvollziehbar bleibt, müssen Handlungsstränge in gewissem Maße vorhersehbar sein, indem man Erfahrungsregeln anwendet. Wenn alles möglich wäre, wäre nichts vorhersehbar. Und je unwahrscheinlicher eine Vorgabe ist, um so mehr Aufwand muss der Autor oder Regisseur (eigentlich) treiben, um uns bei der Stange zu halten.

Ich bin selbstverständlich gern bereit, mich mit ernsthafter Kritik an meinen Texten auseinanderzusetzen; wenn ich etwa in meinen Bildkritiken in DOCMA von falschen Annahmen ausgegangen bin, hatte ich nie Probleme damit, das nach entsprechenden Leserhinweisen im nächsten Heft ausdrücklich zu korrigieren. Aber wie soll man sich Kommentaren gegenüber verhalten, die etwas widerlegen oder angreifen, was man nie geschrieben hat? (So hatte ich etwa angemerkt, dass es zwar im Vakuum keine Schallübertragung geben kann, dass ich es aber für akzeptabel hielte, vorbeifliegende Raumschiffe oder gar Laserstrahlen dröhnen und zischen zu lassen, weil es die Dramatik steigert. In den Kommentaren wurde das auf den Kopf gestellt, nicht einmal das könne ich ertragen. Dann waren da noch jene, die schrieben, vieles von dem, was wir heute für selbstverständlich halten, habe noch vor 150 Jahren als unmöglich gegolten. Wohl wahr – aber auch in 150 Millionen Jahren wird im Vakuum kein Schall übertragen werden.)

Ich würde mir also wünschen, dass die Verfasser/innen von Kommentaren die Texte, auf die sie sich beziehen, zuvor wenigstens lesen und im optimalen Falle zunächst versuchen, der Argumentation zu folgen. Wenn diese Argumentation logisch oder empirisch falsch sein sollte, muss das natürlich aufgegriffen und richtiggestellt werden. Wenn sie richtig ist und die daraus gezogenen Konsequenzen nicht der Meinung der Kommentierenden entsprechen, haben sie alles Recht, ihre eigene Meinung dagegen zu setzen – und das möglichst zu begründen. Das ist dann aber kein Grund, den Vertreter der anderen Meinung runterzuputzen. (Beispiel: „Statt Science Fiction zu schauen, würde ich Ihnen vorschlagen, doch lieber wieder zurück ans Fenster zu gehen und über die bösen Falschparker/Jugendlichen zu schimpfen.“)

Zurück zu Knigge – einem bedeutenden deutschen Vertreter der Philosophie der Aufklärung (und, nur am Rande, führendem Mitglied des „berüchtigten“ Illuminaten-Ordens). In der Tat hat Knigge dieses Buch „Über den Umgang mit Menschen“ geschrieben; leider mehr oder wenige das einzige aus seiner Feder, das noch heute einer breiteren Öffentlichkeit „bekannt“ ist. Wobei sich, wie eingangs erwähnt, diese Bekanntheit meist auf seinen Namen beschränkt, vielleicht noch auf den Buchtitel – gelesen aber hat es offensichtlich kaum jemand. Denn das, was Knigge dort tatsächlich beschreibt, dreht sich nicht um Fischmesser oder Weingläser, sondern um den human angemessenen, von Standesdünkeln und Klassenunterschieden freien Umgang der Menschen miteinander – im Sinne der Aufklärung und als „demokratische“ Forderung an eine von Adel und Kirche beherrschte Gesellschaft.

Insofern ist – im üblichen platten Sinne verstanden – das Anregen eines Kommentarfunktion-Knigges Unsinn, weil es den Namen Knigges missbraucht. Folgt man jedoch den echten Intentionen des Freiherrn, ist der Wunsch durchaus angemessen. Ihm zu folgen, wäre nicht schwer: Es verlangt lediglich Respekt vor den Meinungen anderer, und als eigentlich selbstverständliche Voraussetzung, dass man die Argumente, die zu kritisieren man sich berufen fühlt, zuvor wenigstens gelesen und vielleicht sogar durchdacht hat.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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7 Kommentare

  1. Ich glaube wir haben hier den typischen Kampf gegen Windmühlen.
    Gut, dass ich Don Quijotes Geschichte kenne (freundlicher Sarkasmus), der sogenannte Knigge interessiert mich, ehrlich gesagt wenig. Ich vertraue auf mein Gefühl und meiner, aus meiner Sicht, guten Erziehung und lasse mich durch veraltete Richtlinien in mein Handeln hindern. Trete ich in ein Fettnäüfchen, muss ich die Konsequenzen ziehen. Ich habe schon aus so vielen Fehlern gelernt, dass ich gern weitere machen werde!
    Ich denke die hier beschriebenen, „netten Diskussionsmitglieder“ werden sich diesen Beitrag wohl auch nicht durchlesen und weiterhin ihren billigen Senf dazugeben. So wie in allen andern Foren auch.
    Was soll man tun, ausser diese Beiträge zu Ignorieren?
    Den klassischen Medien (Radio, TV, Print) folgen, die keinen Feedback zulassen und das Mitdiskutieren abschalten?
    Ich denke das wäre ein Rückschritt.

  2. Ach ja, einmal mehr die dummen Leser! Zitat: „Die einen hatten meine Texte nicht richtig gelesen…“ „Die zweiten hatten nur den Vorspann gelesen…“ „Die dritten schließlich hatten den Text offensichtlich überhaupt nicht gelesen…“. Und einmal mehr der meistens missverstandene Doc Baumann. Man könnte auch sagen: 1. Doc Baumann hat immer Recht. 2. Sollte er einmal nicht Recht haben, tritt automatisch Regelung 1 in Kraft. 3. Alle Leseverweigerer sollen sich an die Punkte eins bis zwei halten! Das Beste wäre wohl, Doc Baumann könnte einen Blog ohne Kommentarfunktion betreiben, bei dem nur er posten kann und die Leser nur die Möglichkeit hätten auf einen „Daumen hoch“ Button zu klicken. Soweit über den „Umgang mit Menschen“. Fazit: Kritik an Doc Baumann’s geistigen Ergüssen ist unerwünscht! Wer das noch nicht kapiert hat, dem wird per se unterstellt, er könne/wolle nicht lesen und solche Menschen kann man ja wohl auch nicht „Leser“ nennen. Die sollen sich gefälligst jegliche Kritik verkneifen.

  3. zu yves.lib: Nach der Lektüre Ihres Beitrags stellt sich mir eine Frage: Warum lesen Sie überhaupt Docma? Im übrigen hat Doc Baumann mit seinem Beitrag absolut recht. Es wird in Foren nicht mehr SACHLICH!!! diskutiert.

    1. Dieser Stammtischphilosophie logisch folgend, könnte man auch gleich argumentieren: Warum schaut sich Doc Baumann überhaupt Star Wars an?!

      Oder bei Ihrem eigenen Post: „billiger Senf“, „Warum lesen Sie überhaupt Docma“

      Wo bleibt da der Knigge?

      Doc Baumann hat eindeutig einen (unbewusst) perfiden Schreib- und Denkstil, der prädestiniert ist, solch „unsachliche“ Diskussionen immer wieder anzustacheln.
      In 50 Zeilen Text werden 2 bis 3 Zeilen eingestreut, die dem aufmerksamen und sachkundigen Leser nur aufstoßen können.

      Oft sind es aber genau diese paar wenigen Zeilen, die die Essenz seiner Aussagen verkörpern (in dieser Diskussion zum Beispiel: „…wo ich naiv erwartet hätte, es mit zivilisierten Menschen zu tun zu haben – sind oft auf einem beschämendem Niveau).

      Keine zivilisierten Menschen, beschämendes Niveau…
      Wer soll da noch sachlich bleiben?

      V. a. hinsichtlich der Tatsache, dass auch keine Kommentare/Korrekturen wie oben versprochen („…wenn ich etwa in meinen Bildkritiken in DOCMA von falschen Annahmen ausgegangen bin, hatte ich nie Probleme damit, das nach entsprechenden Leserhinweisen im nächsten Heft ausdrücklich zu korrigieren“) eingehalten werden?
      Siehe dazu: https://www.docma.info/docma-artikel/bildkritik-falsche-spiegelung

      Wo bleibt da jetzt der Knigge?

  4. Hallo Doc & Freunde,

    einfach einen Knigge für den Kommentarfunktions-Knigge:

    „Sei ernsthaft, bescheiden, höflich, ruhig, wahrhaftig. Rede nicht zuviel. Und nie von Dingen, wovon Du nichts weißt.“
    Adolph von Knigge (1752-96)

    Meinen herzlichen Glückwunsch und Dank für 300+ DOCMA Newsletter, anregend, streitbar, hilfreich und informativ.

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