Tilt-Adapter für Vollformat-Objektive
Ein Tilt-Objektiv weicht die üblichen Grenzen der Schärfentiefe auf. Durch Kippen der Optik (tilten) lässt sich der Schärfeverlauf beispielsweise diagonal im Bild ausrichten oder in die Tiefe ausdehnen. Die Schärfe reicht so über einen größeren Bereich, als es mit Abblenden möglich wäre. An Großformatkameras war das, neben der Shift-Funktion zur Vermeidung stürzender Linien, eine Selbstverständlichkeit. Kleinbildkameras benötigen dazu spezielle Tilt-Shift-Objektive, die unter anderem in der Architektur-Fotografie zum Einsatz kommen. Das bekannte Lensbaby erschloss diesen Effekt für kreative Anwendungen und schuf das Marktsegment sogenannter Funlinsen. Vergleichsweise neu sind Squeezerlenses. Sie ermöglichen den Anschluss verschiedener Kleinbild- und Mittelformat-Objektive an unterschiedliche Kamerasysteme.
Lensbaby
Die Idee stammt von Craig Strong, der das Objektiv einer alten Großformatkamera über einen flexiblen Schlauch mit einer modernen Kamera verband. Mittlerweile ist das Lensbaby erwachsen geworden. Es hat sich vom günstigen Ur-Modell Spark über eine Double-Glas-Optic Variante zum Composer Pro II mit Wechselobjektiven und Systemcharakter entwickelt.
Beim Lensbaby Tilt-Transformer handelt es sich um einen dreh- und schwenkbaren Adapter, der Vollformat-Objektive von Nikon aufnimmt und kreatives Potenzial mit exzellenter Schärfeleistung verbindet. Vollformat-Objektive erlauben auf kleineren Sensoren einen vergleichsweise großen Schwenkbereich und bieten eine sehr gute Abbildungsqualität.
Mittlerweile ist dieser Adapter für Sony Nex- und MFT-Kameras nur noch gebraucht erhältlich. Olympus OM-D sind durch ihre Bauform nicht kompatibel. Tipps zur Auswahl einer passenden Zweitkamera auf dem Gebrauchtmarkt finden sich in diesem Beitrag.
Squeezerlens
Wer sich mit dem Lensbaby-Angebot nicht anfreunden kann und weder nach einem gebrauchten Tilt-Adapter suchen will noch eine passende Kamera dafür hat, wird möglicherweise bei den Squeezerlenses fündig. Die Auswahl ist mittlerweile auf Familienstärke gewachsen, vier verschiedene Varianten für Spiegelreflex- und spiegellose Systemkameras stehen zur Auswahl. Die Verbindung von Objektiv und Kamera erfolgt über einen Faltenbalg und zum Fokussieren wird selbiger gebogen, gedrückt und gequetscht. So entstand 2014 der Name Squeezerlens, Frank Baeseler fertigt sie auf Bestellung in Eigenregie. Auf seiner Website finden sich neben einer anregenden Auswahl von Aufnahmen, die mit Squeezerlenses entstanden sind, alle Informationen zu möglichen Kamera-Objektiv-Kombinationen. Aber Vorsicht, die Bilder können süchtig machen! So ging es mir zumindest.
Erste Squeezerlens-Erfahrungen
Die Handhabung erfordert anfangs ein wenig Übung. Ich habe mir angewöhnt, das Objektiv, je nach Abstand zum Motiv, grob vorzufokussieren und anschließend den Fokuspunkt durch „squeezen“ präzise zu bestimmen. Meine ersten Versuche waren zugegebenermaßen frustrierend, doch überraschend schnell traf ich zumindest den gewünschten Fokuspunkt recht zuverlässig. Die Fokuspeaking-Funktion spiegelloser Systemkameras verbessert die Trefferquote und visualisiert auch den Schärfeverlauf im Bild, der durch leichtes Kippen des Objektivs gesteuert wird. Jetzt besteht die Herausforderung darin, den Verlauf in die beabsichtigte Richtung zu lenken, ohne dabei einen anvisierten Fokuspunkt im Vordergrund wieder zu verlieren. Was im Nahbereich deutlich schwieriger ist als auf größere Entfernungen. Auch das klappte keineswegs auf Anhieb, doch nach einem weiteren Nachmittag an einem stillgelegten Bahngleis wurden die Ergebnisse sichtbar besser. Was das Vertrauen in das an die Kamera montierte wabbelige Etwas weiter stärkte. Besonders verblüffend waren für mich die möglichen Schärfeverläufe, sie müssen sich keineswegs an übliche Sehgewohnheiten halten und lassen im übertragenen Wortsinn ziemlich schräge, leicht irritierende Bilder entstehen. Das machte mich neugierig auf weitere Experimente.
Zwei Beispiele, die ohne Squeezerlens nicht möglich gewesen wären (Nikon Vollformat & Zeiss Flektogon 50mm für Pentacon – den Adapter hat mir Frank Baeseler damals dankenswerterweise noch als Einzelstück gefertigt):
https://500px.com/photo/144867255/Lovelocks-by-Joerg-Witzsch
https://500px.com/photo/144545823/I-love-Hamburg-by-Joerg-Witzsch
Das wunderbare an der Squeezerlens ist für mich die Unmittelbarkeit – klassische Tilt-Shift-Objektive benötigen viel Zeit zum Einstellen, bei der Squeezerlens ist das „Drücken und Schieben“ nicht nur unmittelbar & schnell, sondern auch nicht exakt reproduzierbar, was wiederum jedes Foto einzigartig macht.
Hinweis:
Frank Baeseler ist leider verstorben – es gibt die Squeezerlenses also nicht mehr (neu).
Ich habe nun eben doch zu lange gezögert…