Altglasvirus löst HWS-Syndrom aus
Es ist erwiesen: Das Altglasvirus löst HWS-Syndrom aus. Anfangs ist es nur der juckende Bieten-Finger, nervös über der Maustaste schwebend. Dann steht HWS noch für das Haben-Wollen-Syndrom. Schmerzlich ist in dieser Phase nur, bei eBay überboten zu werden. Später, wenn der Rücken die Lasten des Kaufrauschsammelwahns nicht mehr erträgt und der Arzt HWS diagnostiziert, kann es richtig wehtun.
Schmerzhaft schneidet der Gurt einer überladenen Fototasche ein. Das Schulterpolster verrutscht ständig und wird laufend zurecht gezerrt. Versucht der Körper intuitiv die einseitige Belastung auszugleichen, verlagert sich der Schmerz ein wenig. Je schwerer die Tasche, desto häufiger bewegt sie sich ungewollt beim Fotografieren. Genau dann, wenn man sich der optimalen Bildkomposition im Sucher noch ein Stückchen weiter entgegenreckt, gibt es einen unschönen Ruck.
Hoffnungsträger
Ein Slingbag lindert den Schmerz, zudem entwickelt das Ding weniger Eigendynamik. Die ultimative Lösung ist der Fotorucksack. Damit schleppen sich schwere Lasten bis zum Zusammenbruch am besten. Allerdings ist der Inhalt schlecht erreichbar, „mal eben“ kommt man kaum an irgendetwas heran. Um in den Untiefen des Innenlebens zu wühlen, muss der Rucksack runter. Und will anschließend wieder hochgewuchtet werden. Auf ruckartige Drehbewegungen bei einseitiger Belastung reagieren Bandscheiben ziemlich zickig.
Qual der Wahl
Eine Altglasvirus-Infektion löst bei schweren Verläufen auch Stress vor einer Foto-Tour beim unvermeidlichen Packen aus: Welche Objektive müssen unbedingt dabei sein? Welche dürfen noch mit? Auch der Kleinkram will mit Bedacht gewählt werden: Streulichtblenden, Filterringe zur Anpassung, Adapter und so weiter. Antworten auf die Wo-ist-Frage fallen zunehmend schwerer. Wohl dem, der glaubt, dass Ordnung das halbe Leben ist.
Letztlich keine Erlösung
Kleinere Taschen bieten keinen Schutz vor Infektionen. Infektionen, ausgelöst durch die Fotos anderer und selbstredend mit Altglas aufgenommen, bleiben eine Gefahr. Da hilft keine Maske, aber vielleicht eine Augenbinde. Ist nur im Alltag nicht besonders praktisch. Kann man sich eigentlich bei Flickr & Co sperren lassen? So wie bei einer Spielbank? Mich verführten Bilder mit einem Yashinon DX 50/1.7 zum Kauf. Was weiterhin fehlt: die Lust früh aufzustehen und auf dem Bauch liegend durch nasse Wiesen zu robben. Beide „Zutaten“ waren mir bekannt.
Objektive Erfahrungen
Nüchtern betrachtet spielt das Objektiv bei reizauslösenden Aufnahmen eher eine Nebenrolle. Nur Trioplan-typische Bilder erfordern unbedingt ein Triplet. Entscheidend sind das Licht sowie die Relation der Distanzen zwischen Kamera, Motiv und Hintergrund. Wichtig ist auch das Sensorformat. Die möglicherweise von einem Vollformat-Chip in den Randbereichen der Aufnahme übertragene magische Anziehung fällt beim MFT-Sensor schlicht weg. Die Gründe wurden hier beschrieben.
Der amerikanische Fine Art-Fotograf George Barr formulierte es so: „Was erreiche ich mit dem neuen Objektiv, was mir jetzt noch nicht gelingt?“ Die Antwort könnte ernüchtern. Mit dem vorhandenen Tessar 50/2.8 und einem Helicoid kam ich meinem Motiv nah genug. Trotzdem kaufte ich ein Makro-Tessar. Nein, kein Kilfitt. Nur ein Pentax 50/4, welches wie das Klifitt Makro-Kilar auf einem Tessar-Design basiert. Immerhin kann ich über das Objektiv noch schreiben, bereits der Kauf entwickelte Krimi-Qualitäten.
Helfershelfer
Das Vintageobjektiv-Buch enthält in der aktuellen Auflage ein zusätzliches Kapitel, das bei der Auswahl von Objektiven unterstützen will. Das neue Altglas-E-Book bietet in der 5. Auflage zusätzlich Möglichkeiten, sein Wunschobjektiv anhand typischer Merkmale zu identifizieren. Gegen das Altglasvirus und HWS-Attacken hilft nur Abstand halten – von Blogs, Facebook-Gruppen, Foren und der Bilderflut. Und das stoische Fotografieren mit nur einem Objektiv!