Der Unsichtbare
Der alte Menschheitstraum, sich unsichtbar machen zu können, soll jetzt angeblich verwirklicht sein – von einer kanadischen Firma, die vor allem für das Militär arbeitet. Der Unsichtbare – was ist an der Sache dran?
Die Idee, sich unter einem Tarnumhang unsichtbar zu machen, ist uralt. Auch Siegfrieds „Tarnkappe“ war ja eigentlich ein solcher Umhang – keine Kappe, sondern ein Cape. Guy Cramer von der kanadischen Firma Hyperstealth Biotechnology verkündete nun in einer Pressemeldung, er hätte eine solche Technologie erfunden: „Invisibility is now a reality“. Hinter dem von ihm entwickelten Quantum-Stealth-Material würde man unsichtbar. Das würde zudem auch mit größeren Objekten funktionieren, beispielsweise mit Militärfahrzeugen bis hin zu Panzern. Dabei sei das Material leicht, biegsam, billig herzustellen – und benötige keine Energiezufuhr. Selbst das einst von Douglas Adams in „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ beschriebene, ebenfalls unsichtbar machende Problem-anderer-Leute-Feld brauchte noch eine Batterie. Kann Hyperstealth den Claim „Invisibility invented“ einlösen?
Unsichtbarkeit gibt es in verschiedenen Formen. Oft genügt es schon, sich optisch so wenig von seiner Umgebung zu unterscheiden, dass man nicht wahrgenommen wird. Die Camouflagemuster militärischer Uniformen basieren auf diesem Prinzip. Solche Muster haben längt auch in die Alltagsmode Einzug gehalten, wenn auch vermutlich mit dem gegenteiligen Ziel, nämlich aufzufallen. Ein anderer Ansatz beruht darauf, auftreffende elektromagnetische Wellen nicht zu reflektieren – oder zumindest nicht in die Richtung des Senders. So funktionieren Tarnkappen-Flugzeuge und -Schiffe, die Radarwellen so ablenken, dass sie das Radargerät nicht erreichen. Unsere Augen lassen sich so jedoch nicht betrügen, denn wenn ein Tarnumhang alles Licht schluckte, also pechschwarz erschiene, würde das erst recht auffallen. Für eine perfekte Unsichtbarkeit auch im sichtbaren Licht müsste man transparent sein, so dass ein Unsichtbarer keinen Schatten wirft und man durch ihn hindurch sehen kann.
An einer Technologie, die so etwas ermöglicht, wird schon seit geraumer Zeit gearbeitet. Mit Metamaterialien, also Nanostrukturen, deren Interaktion mit elektromagnetischen Wellen sich gezielt steuern lässt, kann man bereits kleinere Objekte unsichtbar machen. Allerdings funktioniert das bislang nur für deutlich größere Wellenlängen als die des sichtbaren Lichts; außerdem ist es schwierig, Unsichtbarkeit für einen größeren Wellenlängenbereich zu verwirklichen.
Guy Cramers Erfindung ist viel simpler und funktioniert nicht nur im sichtbaren Licht, sondern auch für nahes und fernes Infrarot, also auch für Wärmestrahlung. Der Markenname „Quantum Stealth“ führt allerdings in die Irre, denn mit Quantenphysik hat das nichts zu tun. In einem Video spricht der Erfinder von Phasenverschiebungen und Interferenzen, um dann selbst zuzugeben, dass auch diese nichts mit dem Effekt zu tun hätten. Tatsächlich stecken dahinter seit Jahrhunderten bekannte Gesetze der Optik; nicht einmal die Wellenoptik ist zum Verständnis nötig.
Die biegsame Quantum-Stealth-Folie besteht aus einem Material, wie man es seit Jahrzehnten von Wackel- oder 3D-Bildern kennt; es handelt sich um eine Kunststofffolie, in die ein feines Muster aus senkrechten plankonvexen Linsen gepresst ist. Guy Kramer hat dieses Material weiterentwickelt, indem er zunächst zwei solcher Folien mit leicht versetzten Linsen aufeinander kaschiert, die Breite der Linsen variiert und schließlich mehrere solcher Doppelfolien miteinander verbunden hat.
Die Wirkung dieses Materials ist, dass man zwar scheinbar hindurch sehen kann, die Lichtstrahlen aber vielfältig gebrochen werden und das Licht daher nicht von dort kommt, wo man seinen Ursprung vermuten würde. Ein Gegenstand hinter einer solchen Folie wird unter günstigen Umständen – er darf der Folie nicht zu nah kommen, aber auch nicht zu weit davon entfernt sein – unsichtbar, weil die davor liegenden Lentikularlinsen Licht aus dem Hintergrund links und rechts davon zum Betrachter lenken. Das verborgene Objekt wird so zu einem nicht mehr erkennbaren Schemen verwischt – der Unsichtbare erscheint. Da der Hintergrund verzerrt wirkt, könnte dem Betrachter aber zumindest auffallen, dass da etwas nicht stimmt.
Dieses Prinzip funktioniert in beide Richtungen, so dass auftreffendes Sonnenlicht um das Objekt herum gebrochen wird und dieses daher keinen verräterischen Schlagschatten wirft. In der Praxis könnte das zum Problem werden, denn wenn zwei Menschen auf jeweils einer Seite der Quantum-Stealth-Folie stünden, wären beide für den jeweils anderen unsichtbar. Der Eifersüchtige, der sich unsichbar machen möchte, um den untreuen Partner in flagranti zu ertappen, würde selbst nichts sehen. Wer mit dieser Technologie unerkannt fotografieren möchte, müsste zumindest für das Objektiv ein Loch in das Material schneiden und damit einen Teil der Unsichtbarkeit opfern.
Der Unsichtbare – Fazit: Die Unsichtbarkeit per Quantum Stealth funktioniert – unter den richtigen Bedingungen –, aber sie ist limitiert. Zudem ist das Verfahren im Grunde recht einfach und die Erfindungshöhe gering. Ob Quantum Stealth für mehr als einen Taschenspielertrick taugt, muss sich erst noch erweisen.