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Stephen Hawkings Treffen mit Gott

Stephen Hawkings Treffen mit Gott
Stephen Hawkings Treffen mit Gott / Foto und Montage: Doc Baumann

Der vor wenigen Tagen verstorbene Physiker und Kosmologe Stephen Hawking war Atheist, und Doc Baumann, der Verfasser dieses Textes, ist es ebenfalls. Das schützt allerdings nicht davor, sich in stillen Momenten doch einmal zu fragen: Was wäre, wenn die Atheisten Unrecht und die Christen (oder andere Gläubige) Recht hätten; wenn wir nach unserem Tod ganz unerwartet doch – sozusagen – vor der Himmelspforte stünden?

Stephen Hawking hat Gott in seinen Büchern zwar mitunter erwähnt und ist auch in Interviews auf entsprechende Fragen eingegangen, aber er hat stets betont, dass er nicht an einen Gott glaubt und sich die Entstehung des Universums sehr gut ohne einen Schöpfer vorstellen kann.

Am 14. März 2018 ist Stephen Hawking gestorben. Die Menschheit verliert damit einen ihrer größten Wissenschaftler. In den vergangenen 50 Jahren hat er bedeutsame Theorien über die Entwicklung des Kosmos erarbeitet. Ein halbes Jahrhundert Leben und Arbeiten, die eigentlich gar nicht möglich schienen, nachdem er Mitte der Sechziger die Diagnose seiner Nervenkrankheit erfuhr – und dass er nur noch kurze Zeit zu leben habe.

Hawking hat mich – in Form eines Fotos an der Wand meines Arbeitszimmers – seit den Achtzigern begleitet. Und das nicht in erster Linie, weil mich seine Theorien so begeistert haben; ich bin in diesen Bereichen ein – wenn auch sehr interessierter – Laie und habe lediglich seine popularisierten Sachbücher halbwegs verstanden, in denen er ohne komplexe Formeln auskommt. Nein, für mich war dieses Foto immer Ansporn, mich zu passenden Gelegenheiten selbst in den Hintern zu treten und mir zu sagen: Mann, stell dich nicht so an wegen dieser Kleinigkeit! Wenn es einem schlecht geht, dann ist das Stephen Hawking – und lässt der sich dadurch von seiner Arbeit abhalten?


Tod. Und dann: Stephen Hawkings Treffen mit Gott


Die Existenz Gottes lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Alle sogenannten Gottesbeweise sind peinlich gescheitert; inzwischen versucht das gar niemand mehr (sieht man mal von Robert Spaemanns gewundenem „Der letzte Gottesbeweis“ ab, der ebenfalls keiner ist und mit seinem Titel hoffentlich wegweisend wirkt). Damit ist die Wahrscheinlichkeit seiner Existenz allerdings nicht 50:50. Die Nichtexistenz von Kobolden und Heinzelmännchen lässt sich ebenso wenig beweisen, und doch würde kaum jemand behaupten, die ihre Existenz Bezweifelnden seien Heinzelmännchen-Leugner.

Zu den Gottesbeweisen gehört natürlich immer auch die Schöpfungsgeschichte, das Erschaffen des Universums aus dem Nichts. Gläubige halten uns Atheisten gern entgegen, wir würden doch das Prinzip von Ursache und Wirkung anerkennen, und wenn wir an einem Nullpunkt angekommen seien (nennen wir ihn Urknall), könnten wir diese Kausalkette nicht einfach willkürlich abschneiden und behaupten: „Das Universum entstand aus dem Nichts“, sondern müssten weiter fragen: „Woher kam es denn? Wer hat es gemacht?“

Das Problem dabei ist nur, dass Gläubige diesen kritisierten Schritt lediglich um eine Stufe nach hinten verlegen. Denn sie haben zwar die Antwort: „Das Universum verdankt sich Gottes Schöpfung“, doch wenn wir nun fragen: „Na gut – und wo kommt Gott her?“, dann schneiden nun sie die Kausalkette ab und erklären: „Gott ist ewig und außerweltlich und er existierte schon vor der Zeit, so dass die Frage nach einem Zuvor sinnlos ist.“

Das kann man so behaupten. Aber über außerweltliche Entitäten können wir keine sinnvollen Aussagen machen und bei Bedarf alles Mögliche darüber postulieren; solche Aussagen sind schlicht bedeutungslos, da sie sich jenseits aller Erfahrung bewegen. Viel schlimmer ist jedoch Folgendes: Der Schöpfer muss notwendig komplexer sein als das von ihm Geschaffene. Gläubige versuchen also, die Existenz einer komplexen Sache wie dem Universum durch eine noch komplexere zu erklären, die aber ihrerseits keine Ursache und Geschichte haben soll. Das ist im besten Falle unbefriedigend. Nach dem philosophischen Prinzip von Ockhams Rasiermesser ist  stets die einfachere Erklärung eines Sachverhaltes einer komplizierten, die mehr Voraussetzungen verlangt, vorzuziehen. Die Selbstorganisation der Materie ist sicherlich schwer zu verstehen, aber weit einfacher als die Annahme eines Schöpfers, der die Naturgesetze geplant hat.

Nun könnten wir Atheisten uns natürlich trotzdem irren. Die Tatsache, dass die Existenz eines ewigen und außerweltlichen Gottes sehr schwer vorstellbar ist, ist kein Argument gegen seine Existenz. Die verrückten Prozesse und Wechselwirkung in der Welt der Quanten können wir uns ebenso wenig vorstellen, und doch müssen wir davon ausgehen, dass sie real sind (bis der Fortschritt der Physik sie vielleicht irgendwann einmal ganz anders erklärt).

Nehmen wir also als Arbeitshypothese an, es gäbe einen Gott und er sei der Schöpfer des Universums. Es gibt ja so schwierige Theorien wie das anthropische Prinzip oder die sogenannte Feinabstimmung, die einen als Ungläubigen schon ins Grübeln kommen lassen können. Nehmen wir an, die Feinabstimmung sei nachweisbar – was bedeutet, dass eine Vielzahl von Naturkonstanten kaum von ihren gemessenen Werten abweichen dürfte, weil sonst die Existenz unseres Universums in der Form, wie wir es kennen, unmöglich wäre. In diesem Fall gäbe es nicht nur keine stabile Materie, sondern auch kein Leben – und damit nicht uns, die wir über solche Probleme nachdenken. Es wäre recht unwahrscheinlich, dass diese Feinabstimmung zufällig und ungeplant ist. Also gäbe es „jemanden“, der (meinetwegen auch die) sie konzipiert und realisiert hat. Diesen Jemand könnte man dann wohl Gott nennen.

Um das Gedankenexperiment weiter zu spinnen: Der große Kosmologe ist tot. Und kurz nach dem Ableben kommt es zu Stephen Hawkings Treffen mit Gott. Für Hawking ist das ziemlich unerwartet – für Gott natürlich nicht. Sicherlich könnte der Schöpfer dem Physiker eine ganze Menge offener Fragen erklären, wie das denn nun wirklich ist mit den Schwarzen Löchern, dem Ereignishorizont, den in die Singularitäten eingesaugten Informationen, dem Urknall und überhaupt. Und er wäre vielleicht ein bisschen stolz auf sein „intelligent design“ – und vielleicht ein bisschen verärgert, weil Hawking das nicht erkannt hat.

Gläubige stellen sich das sicherlich etwas anders vor, nicht so naiv, wie ich es hier beschrieben habe. Aber nehmen wir die von ihnen, die nicht nur ihre Bibel kennen, sondern auch einigermaßen in den Naturwissenschaften bewandert sind, einmal ernst. Gott ist also der Schöpfer des Universums, er hat die Naturgesetze und die Feinabstimmung geschaffen und das Ganze so eingerichtet, dass nach 10 Milliarden Jahren ein Planet entsteht, sich auf diesem irgendwann Leben entwickelt und als dessen „Krone“ (nun ja!) der Mensch, der zu denken und schließlich zu beten beginnt. (Nach anderen Anschauungen hat er das Ganze nicht nur wie ein aufgezogenes Uhrwerk in die Welt gesetzt und lässt es wie einstmals geplant abspulen, sondern greift weiter in seine Schöpfung ein. Das wäre die theistische – das erste die deistische Variante.)


Stephen Hawkings Treffen mit Gott – welchem Gott?


Halten wir kurz inne und sammeln uns. Die Gläubigen unter Ihnen halten das für eine – mehr oder weniger treffende – Beschreibung ihrer Anschauungen; die Ungläubigen lassen sich zumindest vorübergehend auf das Gedankenexperiment ein, um zu sehen, was dabei herauskommt.

Und? Da haben wir also Stephen Hawkings Treffen mit Gott, bei dem der Physiker all seine offenen Fragen beantwortet bekommt. Sofern ihn der Schöpfer nicht sofort, noch bevor so ein Gespräch überhaupt beginnen kann, seiner Leugnung wegen der ewigen Verdammnis überantwortet. Das wäre der Gott der Bibel. Der rachsüchtige und eifersüchtige des Alten Testaments, und – je nach Auslegung – auch der des Neuen. Was insofern merkwürdig wäre, da Gott nach Ansicht fast aller Theologen unwandelbar ist. Aber sei’s drum.

Da er – oder seine Seele oder was auch immer – den Schöpfer von allem nun direkt vor sich hat, führt Stephen Hawkings Treffen mit Gott notgedrungen zu einer Änderung seiner atheistischen Anschauungen. Er muss zugestehen: Gott existiert. Allerdings: Was hat sein „Gesprächspartner“ mit dem gemeinsam, was die Gläubigen über ihn behaupten? Hawkings Gott ähnelt eher einem freundlich lächelnden Albert Einstein mit gestricktem Pullover als irgend einer anderen Gestalt, die sich seine Anhänger vorstellen.

Ja, es könnte ein Wesen geben, das unser Universum geschaffen hat, das alle Naturkonstanten bis auf eine Billiarde Stellen hinter dem Komma geplant und dann hat Wirklichkeit werden lassen. Ob im ursprünglichen Schöpfungsplan angelegt oder durch spätere Eingriffe bewirkt: Am (vorläufigen) Ende der kosmischen Evolution steht das Leben und der Mensch mit seiner Erkenntnis über den Kosmos und seine Gesetze (zumindest, was unser kleines Sonnensystem in einem abgelegenen Spiralarm unserer Milchstraße betrifft, einer von Hunderten Milliarden von Galaxien). Oder, wie Hegel es ausgedrückt hat: Damit kommt der Weltgeist zu sich selbst.)

Man muss zugeben, dass die Tatsache, dass wir uns vieles nicht vorstellen können, kein Argument dagegen ist, dass es dieses Viele nicht dennoch gibt und es sich einfach unserer Erkenntnis entzieht. (Oder, wie es J.B.S. Haldane formulierte: „Das Universum ist nicht nur seltsamer, als wir es uns vorstellen, sondern seltsamer, als wir es uns vorstellen können.“)

Ich kann mir eine ganze Menge vorstellen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Gott, der zu solchen Schöpfungstaten in der Lage ist, sich nach mehr als 13 Milliarden Jahren ausgerechnet einem unbedeutenden Nomadenstamm im Nahen Osten offenbart, sich einen Tempel bauen und sich dort anbeten lässt, seine Zeit damit verbringt, seinen Anhängern über 600 Gesetze vorzuschreiben (die aus heutiger Sicht doch etwas befremdlich und sehr zeitbezogen wirken), still zuschaut, wie sich seine Gläubigen gegenseitig die Schädel einschlagen wegen solch weltbewegender Fragen wie denen, ob die Oblaten aus gesäuertem oder ungesäuertem Teig herzustellen seien, ob der Heilige Geist nur vom Vater oder auch vom Sohn ausgehe (filioque-Streit) und ob sich die Rechtfertigung aus den guten Werken oder der Gnade herleite. Der Lobpreisungen braucht, abgeschnittene Vorhäute, Weihrauch und Kerzen, Vaterunser und Glaubensbekenntnis. Da nehmen sich die Geschöpfe vielleicht doch ein wenig zu wichtig …

In Carl Sagans – auch er Atheist – Roman „Cosm“ finden Wissenschaftler heraus, dass nach zahllosen Nachkommastellen der Zahl Pi, dargestellt in einer mehrdimensionalen Matrix, sich plötzlich die Form eines Kreises zeigt. Oder auch offenbart. Was bedeuten würde (könnte), dass Pi nicht einfach ein bestimmtes konstantes Verhältnis wiedergibt, sondern „geschaffen“ wurde. Eine schöne, eine erhabene Idee.

Stephen Hawkings Treffen mit Gott brächte für den Physiker die unerwartete Erkenntnis mit sich, dass Gott doch existiert – aber ebenso, dass er mit dem Gott, den Juden, Christen und Muslime anbeten, so gut wie nichts zu tun hat.

Ende des Gedankenexperiments.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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5 Kommentare

  1. Lieber Herr Baumann,
    es tut gut – ich habe einmal Philosophie studiert – Ihre Abhandlung zu lesen.
    Was mich so anspricht ist nicht die Behauptung einer ultima ratio, sonder der schon fast spielerische Umgang mit beweisbaren und/oder sehr wahrscheinlichen Möglichkeiten.
    Gibt es da vielleicht noch mehr Beiträge?
    Toni Rosenberger

    1. Lieber Herr Rosenberger,
      eigentlich geht’s auf dieser Seite ja primär um Bildbearbeitung. Aber da ich – im Unterschied zu manchen unserer LSeer/innen – meine, dass einen die Begeisterung für Photoshop nicht daran hindern sollte, zu passendem Anlass über den Tellerrand zu schauen und aktuell Wichtigeres zu kommentieren, finden Sie solche Beiträge von mir auf docma.info immer wieder. Geben Sie einfach oben auf der seite nebem dem Lupen-Symbol „baumann“ ein, dann noch mal auf die Lupe klicken, und Sie finden alle Beiträge von mir der letzten Jahre. Meist lässt sich schon aus dem Titel ableiten, ob es ein bildbezogenes Thema ist (ich habe Kunstwissenschaft studiert und über „Bedingungen der darstellungsfunktion von Bildern“ promoviert) oder ob es um etwas anderes geht.
      Mit freundlichem Gruß
      Doc Baumann

  2. Liebe Freunde im Geiste,

    leider bin ich völlig anderer Ansicht.
    Als Gnostiker und Absoluter Konstruktivist (man vergesse bitte nicht die Rückbezüglichkeit dieser nicht schizoid gedachten Aussage) sehe ich, dass wir uns mit dem hier Gesagtem zwar zeitgenössisch nachvollziehbar, aber dennoch auf glattem Eis bewegen.
    Es liegt in der Natur der Sache, dass Gott weder beweisbar noch zu leugnen ist. Konstruktivistisch gedacht ist Eins wie das Andere schlecht ausgedacht und alle Schlussfolgerungen beruhen dann auf einem ‚Anderes gibt es nicht‘. So?

    Doch liebe Freunde, lasst euren Scharfsinn spielen: Es gibt weiteres, was unsäglich schwer zu verstehen ist und ganze Bibliotheken füllen könnte und sogar tatsächlich füllt. Ich kann das nur andeuten.

    ‚Priester‘ per se glauben nicht! (Gab und gibt es die? Das lasse ich offen, um mich nicht in Unsinn zu verstricken.) Da, wo Priester anfangen zu glauben, denken sie sich wirklich Unglaubliches aus und haben in der theologischen und der Geistesgeschichte der Menschen eine unheilige Unordnung (cui bono) geschaffen. Und dann werden die Menschen noch mit Waffengewalt gezwungen, das zu glauben. Also nichts mit Gott, denn das ist das Prinzip Satan.

    Ich bin trotz meines Alters immer noch ein wenig ‚gebügelt‘, dass die schlauesten Menschen dieser Erde sich in ihrer Beziehung zu ‚Gott‘ (???) eher mit diesem Unsinn beschäftigen, den man sich über Gott ausgedacht hat, statt mit ‚Gott‘ (???) selbst. Nach (sagen wir) 10000 Jahren Arbeit von Priestern hinter den Priestern (gibt es die?) können wir gewiss sein, dass wir noch weitere 10000 Jahre vor uns haben werden, wenn wir bis dahin nicht die Erde ohnehin zugrunde gerichtet haben.

    So mache ich jetzt eine vermeintlich ultimative philosophische Bemerkung: So wie es keine Steigung in einem Punkt gibt, wir aber ein Steigungsdreieck dazu geben und es anschließend wieder wegnehmen, so könnten wir auch ganz pragmatisch Gott verstehen und den Kern des Gottesbegriffes der Jahrtausende erahnen, ohne den ‚tiefenpsychologischen‘ Umtrieben der Priester, Gottesbefürworter und Gottesgegner glauben zu müssen. Man verzeihe mir den Ausdruck ‚tiefenpsychologisch‘, aber irgendwie muss auch ich mich zeitgenössisch ausdrücken. Wenn euch das vielleicht meditativ berühren kann, so versteht ihr vielleicht: Die Stimme der Stille: In der Tiefe unseres Herzens wohnt ein unsterblicher göttlicher Keim. Wenn wir beginnen, den zu behüten, dann berühren wir das, was die Theologen das Ewige Leben nennen. Alles Andere ist Sand von einem Haufen auf den anderen schaufeln.

    Ansonsten, liebe Freund: Es ist Alles ausgedacht. Manches besser, manches schlechter. Aber ‚irgendetwas‘ existentielles gibt es, und das berührt sogar uns philosophierende Dinosaurier.

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