Farbe bekennen
Ein Buch mit 400 Seiten zum Thema Farbe – muss das sein? Was gibt es Einfacheres und weniger Erklärungsbedürftiges als Farben? Wir sehen sie und verwenden sie in unseren Bildern. Das sollte doch ausreichen. Tut es aber nicht. Über Farbe kann man viel schreiben – und zeigen. Markus Wäger tut das in seinem Band „Das ABC der Farbe“. Doc Baumann hat es sich angeschaut.
Ich muss Farbe bekennen: Zu meinen peinlichsten Erinnerungen gehört eine vorlaute Wortmeldung in einem Kunstphilosophie-Seminar. Mein Professor hatte gerade ausgeführt, dass es Farben „objektiv“ gar nicht gäbe, und dass man daher im strengen Sinne auch nicht sicher sein könne, ob das, was die eine als „rot“ bezeichnet, von einem anderen in genau derselben Weise wahrgenommen werde.
Da ich damals vehement auf der objektiven Existenz von allem und jedem beharrte, gefiel mir dieser Gedanke gar nicht, und ich wandte ein: Rot sei nun mal rot, und das brauche keine große menschliche Interpretationsleistung. Schon eine Biene mit ihrem winzigen Gehirn erkenne eine rote Blüte, lerne, dass es dort Nektar gibt, und fliege das nächste Objekt mit derselben Farbe an. Also sei „rot“ eine objektive Eigenschaft. Na ja – knapp daneben ist auch vorbei.
Zu meiner Ehrenrettung sei ergänzt, dass ich wenig später in diesem Seminar dann doch noch einen farbbezogenen Geistesblitz hatte: Eine Kommilitonin behauptete, dass ein Maler unter LSD-Einfluss (das war etwa 1973), der Farben nun ganz anders sehe, vielleicht einen gelben Himmel malen würde. Falsch, warf ich triumphierend ein. Wenn er den Himmel gelb sieht, wählt er für seine Darstellung eben die Farbtube, auf der er ebenfalls eine gelbe Markierung zu erkennen meint. Was zur Folge hat, dass er trotz verschobener Wahrnehmung einen blauen Himmel malen wird.
Bald lernte ich: Wir können uns zwar auf den Sprachgebrauch einigen, dass etwa der sommerliche Himmel blau sei, und wir wissen, dass er Licht identischer Wellenlänge in alle Augen sendet – aber ob aus identischen Reizen womöglich unterschiedliche Empfindungen entstehen, lässt sich vielleicht nie feststellen. Eigentlich gibt es nur „farblose“ Oberflächen, die Licht reflektieren, mehr nicht. Farben gehören nicht der Realität an, sondern sind Leistungen unseres Gehirns, das unterschiedliche Wellenlängen elektromagnetischer Strahlung in Empfindungen übersetzt. Das Ganze ist also eine hoffnungslos subjektive Angelegenheit.
Doch wenn man solche erkenntnistheoretischen Fragen mal als gegeben voraussetzt, kann man Farben in der Praxis durchaus so behandeln, als seien sie Eigenschaften von Dingen. Wir machen es uns daher einfach und sagen nicht: Dieses Blatt reflektiert den Teil des weißen Sonnenlichts auf unsere Netzhaut, der übrig bleibt, nachdem bestimmte Spektralbereiche absorbiert wurden, und diesen Rest interpretiert unser Gehirn als „grün“ – wir reden schlicht von einem grünen Blatt.
Nach dieser „knappen“ Einleitung kann ich nun endlich zu dem kommen, worüber ich eigentlich schreiben will: Wägers Buch „ABC der Farbe“. Bücher zu diesem Thema gibt es viele, und jedes hat seine Verdienste und Schwerpunkte. Der Autor ist Grafikdesigner, und so liegt der seine dort, wo auch die meisten DOCMA-Leser/innen etwas damit in ihrer Praxis anfangen können. Dabei lässt er die notwendigen Grundlagen nicht unter den Tisch fallen: Bevor sich die letzten rund 150 Seiten mit Gestaltung und der Verwendung von Farben befassen, erfahren Sie zunächst vieles, das Ihnen bei dieser Verwendung hilft:
Es beginnt mit einem Kapitel zum Thema „Licht“, gefolgt von „Farbe“, dann „Farbwahrnehmung“. Da es nicht um „Farben an sich“ geht, sondern das Ganze in den Umgang mit ihnen mündet, befasst sich Kapitel 4 mit „Farben und Wirkung“. Danach wird’s mit „Farbsystemen“ – unvermeidlich – ein wenig theoretisch.
Alle Texte sind anschaulich und gut nachvollziehbar illustriert. Da sich der Autor inzwischen vor allem als Fotograf versteht, wundert es nicht, dass der überwiegende Teil des Bandes Bilder zeigt. Aber so ist das in unserem Metier: Warum soll man seitenlange Erklärungen abdrucken, wenn sich ein Phänomen durch ein treffendes Bild selbst erklärt? (Das wäre übrigens ein kleiner Kritikpunkt: Anteil und Größe der Fotos sind vielleicht ein wenig zu opulent geraten; Bilder, die drei Viertel einer Doppelseite einnehmen und denen knapp eine Viertelseite erklärender Text gegenübersteht, sind zwar schön anzusehen und machen die Lektüre auch zu einem visuellen Vergnügen, sind aber nicht immer unbedingt notwendig, um das Beschriebene zu illustrieren.)
Fazit: Ein umfassender, lehrreicher und gut verständlicher Band zum Thema Farbe mit einem breiten Überblick zu allen seinen Aspekten und Verästelungen.
Markus Wägers „Das ABC der Farbe“ ist gerade beim Rheinwerk Verlag erschienen, der 22 x 24 Zentimeter große Hardcoverband hat 393 Seiten mit zwei hilfreichen Registern und kostet 39,90 Euro.